Freeriden:Gefährliche Freiheit

Freeriden Zillertal Tiefschnee

Unverspurte, weite Hänge, hier im Zillertal, locken immer mehr Skifahrer. Trotz des Off-Piste-Booms im Wintersport hat die Zahl der Lawinenopfer in den vergangenen Jahren nicht zugenommen.

(Foto: Tirol Werbung/dpa-tmn)

Michael Schumachers Unfall in den französischen Alpen zeigt die Risiken des Skifahrens - besonders abseits der Piste. Aber Freeriden ist beliebter denn je. Sportartikelhersteller befeuern diese Entwicklung mit gezieltem Marketing.

Von Janek Schmidt

Die Verhältnisse waren nicht günstig. Wie die deutschen und österreichischen Teile der Alpen haben auch die französischen Bergregionen in diesem Winter bislang wenig Schnee abbekommen. Damit liegen viele Gefahrenstellen nur unter einer dünnen Schutzdecke, und zugleich müssen die meisten Skigebiete noch immer einige Abfahrten sperren.

Umso enger geht es auf den geöffneten Strecken zu, und desto mehr drängt es viele Skifahrer über die Pistenabsperrungen hinaus in die letzten unverspurten Schneeflächen. Michael Schumacher fuhr im französischen Skiort Méribel in den Tiefschnee zwischen zwei Pisten, wie es Tausende Menschen derzeit täglich im Winterurlaub tun. Manche suchen gezielt den Kitzel des freien Geländes. Das sogenannte Freeriden oder Off-Piste-Fahren wird immer beliebter - und birgt Risiken.

"Seit ein paar Jahren haben immer mehr Menschen den Drang, ins Gelände zu fahren", sagt Andreas König, Sicherheitsexperte des Deutschen Skiverbands (DSV). Diese Entwicklung habe mehrere Ursachen. "Freeriden gilt als cool und vermittelt einen Lifestyle von Freiheit", sagt er. Sportartikelhersteller befeuern diese Entwicklung mit gezieltem Marketing. Sie haben Material entwickelt, das das Tiefschneefahren erleichtert. So gibt es inzwischen spezielle Bindungen mit besserer Kraftübertragung auf große Skier, und die werden immer breiter im sogenannten Rocker-Design gebaut - mit aufgebogenen Spitzen, die besseren Auftrieb im Pulverschnee garantieren. "Mit so einer Ausrüstung muss man kein Ski-Crack sein, um im Gelände fahren zu können", sagt König.

Das Abseitsfahren an sich sei jedoch nicht unbedingt riskanter als das herkömmliche "Pisteln". "Es bestehen dabei unterschiedliche Gefahren", sagt König. Deshalb werden die Strecken abseits der Pisten in drei Kategorien unterteilt: Zum einen gibt es Skirouten, also markierte Abfahrten im Skigebiet, die zwar meist nicht präpariert sind, aber keine Gefahr wie Lawinen oder überraschende Hindernisse wie Felsen bergen. Die zweite Kategorie sind Strecken unmittelbar neben der Piste, wo es zwar kaum Lawinen gibt, dafür aber Baumstümpfe oder Felsen, wie sie auch Schumacher zum Verhängnis wurden. Schließlich gibt es noch das Hinterland. Dorthin gelangen nur noch Tourenski-Geher oder Variantenfahrer, die mit dem Lift hochfahren und sich dann weit vom Skigebiet entfernen. Dabei geht die größte Gefahr von Lawinen aus.

Doch nach einer Studie des Schweizer Instituts für Lawinenforschung (SLF), ereignen sich dort 40 Prozent der Todesfälle aufgrund von Fahrunfällen, Stürzen in Gletscherspalten oder dem Abbruch von Wechten, also Schneeverwehungen an Geländekanten. Eine SLF-Studie kommt zu dem Schluss: "Wintersport abseits der Pisten ist weniger gefährlich als alpine Hochtouren, dafür gefährlicher als Felsklettern oder Bergwandern."

Verbesserte Sicherheitsausrüstung

Dabei fällt auf, dass zwar immer mehr Skifahrer abseits der Pisten unterwegs sind, die Zahl der Verletzungen aber sinkt. "In der vergangenen Saison haben sich 43.000 Deutsche auf ihren Skiern Blessuren zugezogen", sagt DSV-Sicherheitsexperte König, vor allem an Knien, Schultern und Hüften. Nur sieben Prozent der Verunglückten hatten Kopfverletzungen. Vor 30 Jahren sei das Verletzungsrisiko um fast 60 Prozent höher gewesen, sagt König.

Auch die Zahl der Lawinenopfer ist trotz des Freeride- und Skitouren-Booms seit mehr als 20 Jahren etwa konstant. Frank Techel, Forscher am SLF, sieht dafür vor allem zwei Gründe. So habe es Fortschritte beim Wissen über Schnee und Lawinen gegeben. Vor allem habe sich die Sicherheitsausrüstung verbessert. Am meisten helfen neue Suchgeräte für Verschüttete, Airbag-Rucksäcke und Handys, die das Absetzen eines Notrufs erleichtern.

Während Rettungskräfte laut SLF vor 20 Jahren zur Bergung eines Lawinenopfers durchschnittlich 105 Minuten benötigten, sind es heute nur noch 60 Minuten. Bergpartner, die bei einem Lawinenabgang bereits in der Nähe sind, brauchten damals für das Ausgraben des Verschütteten 15 Minuten, heute schaffen sie es in zehn. Bei Schumacher seien die Rettungskräfte "innerhalb von drei Minuten" eingetroffen, wie der Manager des Skigebiets Méribel in einem Interview sagte.

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