Franz-Senn-Hütte in den Stubaier Alpen:Volles Haus

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In den Stubaier Alpen erinnert eine Hütte an den Pfarrer und Tourismuspionier Franz Senn. Der würde sich heute wundern, denn statt durchgeknallter Engländer ziehen nun sportliche Tourengeher Richtung Gipfel.

Dominik Prantl

Dieser Beitrag ist erschienen am 5. April 2012. Wir haben die Übernachtungspreise aktualisiert. Darüber hinaus ist der Text unverändert.

Nachts herrscht ab 22 Uhr Ruhe auf der Franz-Senn-Hütte. In den frühen Morgenstunden ziehen die Skitourengehern zu den umliegenden Dreitausendern. (Foto: Horst Fankhauser)

Wenn Franz Senn das auch nur geahnt hätte: Am Parkplatz der kleinen Siedlung Seduck in den Stubaier Alpen stehen am ersten, sonnigen Aprilsonntag handgezählte 81 Autos aus fünf Ländern. Wo die Wagenzeile endet und die sulzige Schneedecke beginnt, nimmt gerade ein Skidoo-Fahrer einer Gruppe Skitourengeher für 1,40 Euro pro Kilogramm den Gepäcktransport zur Hütte ab.

Nach drei Stunden gemütlichem Anmarsch darf der Hochtourist erstens einen Platz für seine Skischuhe im Skikeller erkämpfen und zweitens froh sein, rechtzeitig reserviert zu haben. "Wir sind ausgebucht", sagt Thomas Fankhauser, Wirt der immerhin 180 Schlafplätze fassenden Franz-Senn-Hütte. "Mittlerweile ist das an solchen Tagen normal."

Als Franz Senn lebte, gab es keine ausbuchten Alpenvereinshütten, keine Skitourengeher, und überhaupt galt das Bergsteigen als Selbstbestätigung weniger durchgeknallter englischer Gentlemen. Eine Gedenktafel an der nach ihm benannten Hütte würdigt heute Senn, Spitzname Gletscherpfarrer, als Seelsorger, Alpinist, Gründungsmitglied des Deutschen Alpenvereins (DAV) und Tourismuspionier. In Neustift, wo der gebürtige Ötztaler als Priester wirkte und im Januar 1884 starb, trägt eine Straße seinen Namen.

Denn er sah im Fremdenverkehr einen Dynamo für die wirtschaftliche Entwicklung der Alpentäler, plädierte für Hütten, Wege und die Kartierung hochalpiner Regionen. Er glaubte an die Anziehungskraft, die Berge nicht nur auf eine kleine Gesellschaftsschicht ausüben, sondern auf die großen Massen, ob Frankfurter Krankenschwester oder Wiener Jurist. Und zwar zu jeder Jahreszeit.

Wenn man so möchte, hat Senn es geschafft. Und das beste Beispiel ist jenes Denkmal, das ihm 20 Monate nach seinem Tod gesetzt und später mehrmals umgebaut wurde. Als Heimat für die Bergsüchtigen, als Tempel für Tourengeher jeglichen Kalibers. Hier oben auf 2147 Metern herrscht im April noch immer Winter, auch wenn er an den Südhängen von der Frühlingssonne so langsam vertrieben wird.

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Falls nicht demnächst der Sommer mit voller Wucht eintrifft, läuft die Skitourensaison auf der Hütte noch bis MItte Mai - und zwar gar nicht schlecht. "Winter- und Sommergeschäft halten sich in etwa die Waage", sagt Thomas Fankhauser, der Wirt, "aber im Winter ist es für uns gemütlicher." Ist der Skitourengeher denn ein guter Gast? "Ein sehr guter Gast", meint Fankhauser.

Früher konnten die Gäste besser mit Launen der Natur umgehen, dafür sind sie heute fitter (Foto: Dominik Prantl)

Während die Wanderer im Sommer eher spontan und unangemeldet über die Höhenwege und vom Tal herbeiströmen, ist auf den Skitourengeher Verlass. Fankhausers Winterbesucher reservieren in 95 Prozent der Fälle und buchen beinahe ebenso häufig die Halbpension. Sie ist das tägliche Brot des Hüttenwirts, da er an den vom Alpenverein vorgegebenen Übernachtungspreisen kaum etwas verdiene, wie er sagt.

Die Wintergäste brechen frühmorgens schon allein wegen der im Tagesverlauf steigenden Lawinengefahr beinahe gleichzeitig auf, was dem Wirt eine Pause verschafft. Um halb acht - so lange gibt es Frühstück - zieht eine ganze Karawane zum Alpeiner Gletscher, ehe sich die Wintersportler auf die verschiedenen Anstiege verstreuen. Zudem hält sich der Wintergast an die Hüttenruhe, ist erstaunlich rücksichtsvoll und pflegeleicht. Rund zehn Angestellte beschäftigt Fankhauser während der Skitourensaison. Im Sommer braucht er etwa drei mehr. Auch der DAV stellt fest, dass immer mehr Sektionen eine Öffnung ihrer Hütten in der kalten Jahreszeit trotz der schwierigen Logistik zumindest erwägen.

Und doch ist auch bei den Wintergästen jenes Verhalten zu bemerken, das Tourismusforscher im Tal als "Trend zu mehr Flexibilität und Individualität" bezeichnen.

Horst Fankhauser nennt es "ein ständiges Kommen und Gehen". In 31-jähriger Tätigkeit als Pächter der Franz-Senn-Hütte hat er mehrere Generationen Skitourengeher erlebt, bevor er die Geschäfte 2006 an seinen Sohn übergeben hat. Früher sei gar nicht so viel weniger Betrieb gewesen, doch die Gäste seien im Normalfall von Sonntag bis Samstag und auch einmal 14 Tage am Stück geblieben. Heute flüchten die Bergliebhaber bei schlechtem Wetter, stornieren Buchungen oder fordern kurzfristig eine Übernachtungsgelegenheit, am besten im Doppelzimmer.

Wurden für das Jahr 1891 insgesamt 97 Bergsteiger registriert, trifft diese Zahl heute manchmal innerhalb weniger Stunden ein. Zugleich habe sich laut Fankhauser senior der Bezug zu der umliegenden Hochgebirgswelt der Stubaier Alpen verändert. "Früher konnten die Menschen eher mit den Eigenheiten der Natur umgehen. Heute sind sie fitter." Der Dreitausender ist für die neue Generation nicht mehr Drohkulisse, sondern Sportgerät.

Mit dem Verhalten der Skitourengeher hat sich auch die Franz-Senn-Hütte gewandelt. Fankhauser junior mag auf den ersten Blick etwas hemdsärmlig erscheinen, doch ist er längst mehr Hotelier als bloßer Hüttenwirt. Er denkt strategisch. Wlan, Webcam und Wetterstation gehören zum Inventar. Die Webseite wird regelmäßig aktualisiert, damit sich die Spontanen sofort ein Bild machen können. Das abendliche Vier-Gänge-Menü ist Standard. Zwar meint Fankhauser verlegen: "Ein Zweibettzimmer mit Halbpension kostet für Nicht-Alpenvereinsmitglieder so viel wie ein Vier-Sterne-Haus unten in Neustift", doch will er noch weiter gehen.

Die großen Schlafeinheiten seien nicht mehr zeitgemäß. Obwohl seine Eltern früh auf Qualität setzten, übersteigt die Nachfrage an kleineren Zimmern längst das Angebot. "Wir sollten den Mut haben, mehr zu bieten und mehr zu verlangen", findet Fankhauser. Dreitausender sind ja schön und gut. Noch schöner und besser lebt es sich zwischen ihnen aber im Zweibettzimmer.

Was der Gletscherpfarrer dazu sagen würde? Wahrscheinlich würde der Alpinist Franz Senn über die Bergsteigerkarawanen kurz den Kopf schütteln, der Geistliche Senn würde manchen Tourengeher in seine Gebete einschließen - und dann in der Funktion als Tourismuspionier beim Anblick seines Denkmals zufrieden grinsen.

Informationen

Anreise: Von München in etwa zwei Stunden über Innsbruck und Neustift im Stubaital zum Weiler Seduck. Von dort in drei Stunden auf Skiern oder Schneeschuhen zur Hütte.

Übernachtung: Familie Fankhauser, Franz Senn Hütte, Neustift im Stubaital, Tel.: 0043/52 26/22 18, www.franzsennhuette.at, Übernachtung ab 19,50 Euro, mit Halbpension ab 50 Euro, AV-Mitglieder zahlen jeweils 9 Euro weniger.

Tourenmöglichkeiten: Als Eingehtour eignet sich die Kräulscharte. Unter den zahlreichen Tourenmöglichkeiten sind vor allem das Wilde Hinterbergl (3288 m/4 bis 5 Std.) und die Ruderhofspitze (3473 m/6 Std.) beliebt. Viele Skitouren führen über Gletscher und verlangen daher einer entsprechende Ausrüstung.

© SZ vom 05.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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