Frankreich:Wo der Lavendel brummt

Region Sault, Provence Frankreich

Lavendelblüte in der Region Sault in der Provence.

(Foto: Alain Hocquel/PR)

Lavendel aus der Provence ist eine Weltmarke. In ihm wurzelt das Image der gesamten Region - Touristen kommen mittlerweile bis aus China, um durch die Felder zu hopsen.

Von Stefan Fischer

Die Provence klingt hier heroben, auf dem Plateau von Sault, nicht mehr nach der Provence. Das so typische schrappende Zirpen der Zikaden, das einen entlang der Rhône mit einer zum Teil enervierenden Beharrlichkeit den Sommer über begleitet, ist auf mehr als 700 Metern Höhe verstummt. Stattdessen hört man ein tiefes Brummen, das umso lauter wird, je weiter man sich zum Boden hinabbeugt.

Für einen Augenblick kann man sich in einer David-Lynch-Szenerie wähnen: Der Regisseur hat in seinem Klassiker "Blue Velvet" eine Idylle inszeniert, wie auch die Lavendelfelder eine sind. Sie legen noch bis Mitte August einen violetten - oder soll man sagen: blausamtenen? - Teppich über die Landschaft, hier südlich des Mont Ventoux ebenso wie in weiten Teilen der gesamten Provence, vor allem in den Tälern der Rhône und der Durance. Die Kamera kriecht in "Blue Velvet" jedoch alsbald in eine Wiese hinein, immer ohrenbetäubender und bedrohlicher surren die in Makroaufnahme gefilmten Insekten, bis die Hauptfigur Jeffrey Beaumont zwischen den Grashalmen ein abgeschnittenes Ohr findet.

Ein kleiner Tag-Albtraum, der in der Mittagssonne von Sault rasch verfliegt. Wer keine Scheu vor Bienen und Hummeln hat, die zu Tausenden die Lavendelblüten umschwirren, der hat nichts zu fürchten, auch wenn die Insekten beim Pollen- und Nektarsammeln einen gewaltigen Geräuschpegel erzeugen. Das Wunderlichste, das einem widerfahren kann, ist eine durch den Lavendel hopsende Chinesin. Man sieht chinesische Touristen inzwischen allenthalben in der Provence, erste Weingüter sind bereits von Chinesen gekauft worden.

Im vergangenen Jahr, sagt Jerôme Pons vom Tourismusbüro in Sault, seien während der Lavendelsaison in seinem Städtchen elf Prozent der Besucher Chinesen gewesen: "Ein Foto von sich in einem provenzalischen Lavendelfeld gilt in China derzeit als Statussymbol." Die vor fünfzig Jahren in Manosque im östlichen Luberon gegründete Kette "Occitane en Provence", die natürliche Kosmetika mit ätherischen Ölen provenzalischer Pflanzen vertreibt, unterhält in China mittlerweile hundert Filialen. Und das, obwohl sich in der Provinz Xingjiang eine der acht weltweit wichtigsten Gegenden für den Lavendelanbau befindet, es also jede Menge heimischen Lavendel gibt in China.

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Lavendel aus der Provence, das ist eine eigene Marke. Das zeigt sich besonders jetzt, da es mit ihrer Kraft gelungen ist, eine Krise zu überwinden. Eine Zikadenart hat die Lavendelpflanzen geschädigt, was schlechte Ernten und eine Verringerung der Anbauflächen zur Folge hatte. Wer sommers regelmäßig in die Provence fährt, konnte in den letzten Jahren durchaus bemerken, dass die Felder seltener wurden links und rechts der Autobahn, auf denen in diesen Tagen alle Tafeln, die nicht einen Stau ankündigen, zu "Liberté, Égalité, Fraternité" aufrufen und zur Solidarität mit Nizza.

Frankreich ist längst nicht mehr der größte Lavendelproduzent in Europa, diesen Rang hat inzwischen Bulgarien inne. Das weiß nur kaum jemand. Der Lavendel ist und bleibt nun einmal die Image-Pflanze der Provence, daran kann auch der Schädling nicht ernsthaft knabbern: Auf Reiseführern zeigt das Titelbild in der Regel ein Lavendelfeld, und Postkarten ohne Lavendelmotive sind in der Minderzahl. Inzwischen sind die Lavendelbauern des Schädlings einigermaßen Herr geworden: Häufelt man vor der Blüte weißen Lehm um die Pflanzen, verdeckt der den Duft. Die Tiere werden in der für das Wachstum kritischen Phase nicht angelockt.

In der Provence verdienen, anders als etwa in Bulgarien, am Lavendel nicht nur die Bauern sowie die weiterverarbeitenden Betriebe. Er bringt auch touristische Erträge. Catherine Touche etwa profitiert davon: Im vor allem von Touristen frequentierten Maison des Producteurs in Sault sind Hersteller von Lavendelerzeugnissen wie ätherischen Ölen, Seifen, Honig und Duftkissen zusammengeschlossen. "Die Männer, vor allem Belgier, gehen Rad fahren. Die Frauen bleiben im Ort und bummeln durch die Geschäfte." Zur Bestätigung sieht man in der Avenue de la Promenade ein Paar, das sich zum Essen im Restaurant Ô Pichoun verabredet hat. Er trägt ein Rad-Trikot mit der Aufschrift "Ventoux Finisher", sie ein paar Tüten, unter anderem aus der Maison-des-Producteurs-Boutique.

Viele Lavendel-Destillerien sind nicht nur Handwerksbetriebe oder kleine Fabriken, sondern auch Besuchsziele für Urlauber: In Sault auf der Ferme Aroma' Plantes beispielsweise oder in Apt bei Les Agnels spielt der Direktvertrieb eine wichtige Rolle. Auch kann man sich das Verfahren der Ölgewinnung erklären lassen. Es funktioniert nicht viel anders als das Schnapsbrennen, nur hat man am Ende ein ätherisches Öl. Und als großen Rest Eau florale, ein Blumenwasser also. Gibt man einen Löffel voll davon in einen Liter Wasser, hat man ein erfrischendes Sommergetränk. Der Pool für die drei Ferienhäuser, die bei Les Agnels vermietet werden, wird mit Wasser aus einer eigenen Quelle befüllt, welches ebenfalls mit Eau florale versetzt ist.

"Lavendel ist das Schweizermesser der Aromaindustrie"

À propos Schnapsbrennen: In Coustellet gibt es ein privates Lavendelmuseum, vor 25 Jahren initiiert von der Familie Lincelé, die seit fünf Generationen Lavendelbau auf dem Château du Bois in Lagarde d'Apt betreibt. Dort gibt es einen Destillierwagen zu sehen, in dem bis Ende der 1950er-Jahre tatsächlich sommers Lavendel und winters Alkohol destilliert worden ist - und der dann von den Steuerbehörden "totgeschossen" worden ist, wie es die Museumsangestellte Marie Weiser ausdrückt: Die Destillierapparatur wurde mit einigen Kugeln durchlöchert und somit unbrauchbar gemacht. Wegen des weitverbreiteten Alkoholismus war das Schnapsbrennen 1959 mit einer hohen Steuer belegt worden, was es für manche tatsächlich unrentabel machte. Die Behörden wollten trotzdem sichergehen, dass eine stillgelegte Brennanlage tatsächlich nicht mehr benutzt werden konnte.

In dieser Zeit, einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, beginnt der Anbau von Lavendel im großen Stil - und damit auch die optische Neugestaltung der Provence. "Die Heilwirkung ist seit der Antike bekannt", sagt Marie Weiser: Vor allem das aus dem Lavendel gewonnene ätherische Öl wirkt beruhigend, es hilft bei Erschöpfung, Einschlafstörungen, Migräne, bei nervösen Magen-Darm- und Gallenbeschwerden, Verspannungen und rheumatischen Beschwerden. Außerdem hat es eine antibakterielle Wirkung. Überdies wird die Pflanze für viele kosmetische Produkte verwandt. "Lavendel ist das Schweizermesser der Aromaindustrie", sagt Weiser.

Lange Zeit wurden die Rispen wild wachsender Pflanzen von Hand mit Sicheln geerntet. Dieser Lavande fine oder echte Lavendel wächst nur oberhalb von mindestens 600 Metern. Nur aus ihm lässt sich hochwertiges Öl gewinnen. 130 Kilo Blüten sind nötig für einen Liter dieses Huile essentielle. Aller Lavendel, der im Rhônetal wächst, und der meiste, der im Luberon erblüht, ist eigentlich Lavandin: eine sterile Kreuzung aus echtem und Speiklavendel. Als Heilmittel ist Lavandin nicht geeignet, er wird industriell verarbeitet als Duftstoff für Reinigungs- und Pflegemittel, etwa Seifen oder Waschmittel. Weil es sich um einen geklonten Hybrid handelt, ähnelt eine Lavandinpflanze der anderen. Deshalb sehen Lavandinfelder auch so akkurat aus.

Hochwertige Naturseifen werden jedoch aus echtem Lavendel hergestellt. Einen kleinen Trick müssen die Produzenten allerdings anwenden: Lavendelseife ist von Haus aus weiß. Die violette Färbung kommt nicht vom Lavendel. Eric Bauffe und Liana Czentarra, die in Sault in ihrer Bulles d'Arome 50 verschiedene Seifen in Handarbeit herstellen, verwenden dazu Ockersande, die sie aus dem nahe gelegenen Roussillon beziehen. Im Château du Bois benutzen sie Blaukraut.

Seifen sind es auch, die neben dem ätherischen Öl am häufigsten gekauft werden, sagt Catherine Touche vom Maison des Producteurs in Sault. Das bestätigt sich in diversen Hofläden. Was man mit Lavendel daneben gastronomisch anfangen kann, zeigt sich in Apt. Das hübsche Städtchen im Luberon wird oftmals übersehen, viele Touristen zieht es in die pittoreskeren Dörfer Roussillon, Gordes oder Bonnieux. In Apt gibt es deshalb noch einen vom Tourismus nur touchierten, aber nicht vollkommen vereinnahmten Alltag der Einheimischen. Aber auch hier ist der Einfluss der Urlauber zu spüren: Einige Restaurants bereiten Gerichte mit Lavendel-Produkten zu.

"Das hat in der provenzalischen Küche eigentlich keine Tradition", sagt Martine Dicicco vom Tourismusbüro der Stadt. Aber es verschafft den Urlaubern ein vermeintlich typisch provenzalisches Erlebnis. Einen Besuch wert ist insofern die Pâtisserie Au Pierrot Blanc von Frédéric Bianco in der Rue des Marchands. Sein Vater hat bereits 1975 ein Lavendeleis kreiert, das der Sohn nach wie vor herstellt. Frédéric Bianco wiederum hat "Le roi du Luberon" erfunden, einen königlichen Kuchen mit Eau florale aus Lavendel, das er von der Destillerie Les Agnels bezieht, garniert mit kandierten Früchten. Auch bäckt er Baguette mit Lavendelblüten. Der Laden brummt, ganz so wie ein Lavendelfeld.

Info

Anreise: Mit dem Flugzeug nach Lyon oder Marseille. Von dort mit dem Auto in ein bis zwei Stunden nach Sault oder Apt.

Mit der Bahn ab zum Beispiel München oder Frankfurt/Main nach Marseille und zurück in acht bis zehn Stunden, regulär ab ca. 160 Euro, Sparpreise zum Teil günstiger.

Übernachtung: Die Destillerie Les Agnels bei Apt vermietet drei Ferienhäuser für 7 bis 12 Personen ab 600 Euro pro Woche. www.lesagnels.com

Weitere Auskünfte: Musée de la Lavande, 276 Route de Gordes, 84220 Coustellet, Tel.: 0033 / 4 90 76 91 23, www.museedelalavande.com, sommers von 9-19 Uhr geöffnet. Destillerie Aroma' Plantes, Route du Mont Ventoux, 84390 Sault, Tel.: 0033 / 4 90 64 14 73, www.distillerie-aromaplantes.com. Seifenfabrik Bulles d'Arome, Route de Saint Trinit, 84390 Sault, www.lasavonnerie.com. Allgemeine touristische Informationen: www.provenceguide.com

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