Bretagne:Küstenstreifen

In der Marinière, dem blau-weißen Ringelshirt, sahen schon Picasso und Jeanne Moreau gut aus. Das Kleidungsstück erzählt heute noch viel über die Bretagne.

Von Ingrid Brunner

Matrosen trugen Streifenpullis, damit sie im Wasser besser zu erkennen waren, wenn sie über Bord gingen - so lautet eine gängige Erklärung, wie sich der Streifen seinen Platz in der maritimen Bekleidung erobert hat. Auch die Deutsche Barbara Weber, die seit gut 30 Jahren bei Armor-lux arbeitet, erzählt es so.

Das Unternehmen gilt als Erfinder eines Kleidungsstücks, das viele Menschen sofort an die Bretagne, Leuchttürme und die wilde, unbezähmbare Brandung denken lässt: die Marinière, jenes blau-weiß gestreifte Shirt, das schon Picasso trug und Jeanne Moreau als Catherine im Kultfilm "Jules und Jim". Ebenso James Dean und Brigitte Bardot, die Stilikonen ihrer Zeit. Der blau-weiße Ringelpulli ist eine nun schon 80 Jahre lang währende Erfolgsgeschichte.

Armor-lux ist eine Wortschöpfung aus dem bretonischen Wort Armor für Küste und dem lateinischen Lux für Licht. Küste des Lichts, ein passender Name, denn die Firma mit Hauptsitz in Quimper im Departement Finistère gilt als bretonisches Traditionsunternehmen. Die meisten Mitarbeiter kommen aus der Region, sie identifizieren sich mit der Firma, und noch immer wird ein Großteil der Kleidungsstücke per Hand genäht, gebügelt und verpackt.

Am alten Standort in Quimper sind noch die Färberei und die Strickerei untergebracht. Die anderen Abteilungen sind nach einem Hochwasser im Jahr 2000 an den Stadtrand umgezogen. Besucher des Fabrikverkaufs in der neuen Firmenzentrale können den Mitarbeitern bei der Arbeit zusehen. "Unsere Ringelpullis werden immer noch per Hand geschnitten, damit die Streifen von Vorder- und Rückenteil exakt aufeinander passen", erklärt Weber. Keine Maschine könne das, weil sich der Trikotstoff so leicht verziehe. Zuschneiden und Nähen wollen gekonnt sein. Doch Näherinnen werden in Frankreich nicht mehr ausgebildet. Deshalb sei man gezwungen gewesen, einen Teil der Produktion dorthin auszulagern, wo es noch Näherinnen gibt: nach Marokko und Tunesien.

Die Shirts gibt es in vielen Farben. Aber das alte Modell verkauft sich am besten

Nicht nur deshalb hat die Geschichte vom zutiefst bretonischen Ringelshirt Löcher. Denn es war ein Schweizer, der Textilingenieur Walter Hubacher, der 1938, vor 80 Jahren, das Unternehmen gegründet hat. Hubacher war drauf und dran, in die USA auszuwandern, und ist dann doch am westlichen Rand des europäischen Kontinents hängen geblieben, hat eine Belgierin geheiratet und eine Trikotagenfirma gegründet. Wichtigste Erzeugnisse waren zunächst Nacht- und Unterwäsche, für die Armor-lux in Frankreich noch heute so bekannt ist wie Schießer oder Triumph in Deutschland.

Außerdem stellt das Unternehmen Berufskleidung her, stattet etwa die Bediensteten der französischen Post, der Eisenbahn und der Nationalpolizei aus. Über Frankreich hinaus bekannt aber ist Armor-lux dank der Marinière. Sie wird mittlerweile in 27 Länder exportiert, mehr als ein Drittel des Exports geht nach Deutschland. "Made in France" sei im Ausland eben immer noch ein starker Magnet, sagt Weber. Längst gibt es jedes Jahr eine neue Kollektion, die auch Röcke, Kleider, Hosen, Pullover, Accessoires umfasst. Bunte Streifen in immer neuen Farbstellungen und Schnitten. Doch am besten verkauft sich nach wie vor die Marinière mit dem U-Boot-Ausschnitt und exakt 21 Streifen.

Eigentlich paradox: Das Kleidungsstück und die Bretagne gehören zusammen wie der Wind und das Meer. Doch Fischer oder andere Einheimische, die das Streifenhemd tragen, sucht man meist vergeblich. Arnaud Montebourg wollte das mal ändern: Um heimische Produkte zu unterstützen, posierte der nur für kurze Zeit amtierende Wirtschaftsminister 2012 mit französischer Armbanduhr, einem Mixer von Moulinex und der Marinière am Körper auf dem Titelblatt der Tageszeitung Le Parisien. Er musste viel Spott für seinen Einsatz ertragen - er hatte halt nicht die Coolness von James Dean, den Sexappeal von Brigitte Bardot.

Ob mit oder ohne Marinière: Es ist ein Glück, überhaupt noch einen Fischer zu treffen. Seit Jahrzehnten wandern Bretonen in die Städte ab und kehren dem entbehrungsreichen Leben an der Küste den Rücken. Besonders die Inseln leiden unter Bevölkerungsschwund. Noch vor 100 Jahren lebten etwa auf der Insel Ouessant rund 3000 Menschen. Heute sind es im Sommer 850, im Winter nur noch circa 150. Den umgekehrten Weg gingen Ondine Morin und ihr Mann Jean-Denis Le Pape. Er war vorher zur See gefahren, sie arbeitete als Fremdenführerin in der Region. Seit 2011 sind sie nun Fischer und leben auf der Insel. Damals hatte die EU jungen Fischern ein wenig Geld zum Kauf eines Bootes beigesteuert, sie schlugen zu. Die Behörden machten es nicht zur Auflage, sie verpflichteten sich selbst zum nachhaltigen Fischfang. "Wir fangen streng nach Saison und Quote und ausschließlich mit Leinen", erklärt Ondine Morin.

Einen Teil des täglichen Fangs verkauft sie an ihrem kleinen Stand in Lampaul, dem Hauptort von Ouessant. Zurzeit hat der Pollack, eine Dorsch-Art, Saison. Auf jedem Fisch in der Auslage klebt eine Marke, die Auskunft gibt über Fisch-Art, Herkunft, Name des Fischers und Fangdatum. Ondine Morin ist auf Ouessant aufgewachsen, das machte es leichter für das Paar, hier als Fischer Fuß zu fassen. Statt Marinière tragen die beiden wind- und wasserabweisende Outdoorkleidung.

Zum Leben reicht die Fischerei allein nicht aus. Deshalb nehmen sie Gäste mit hinaus im Fischerboot. Und Ondine führt weiterhin Touristen über ihre Insel. Auch eine nächtliche Tour auf den Leuchtturm Le Stiff ist darunter. Le Stiff ist der älteste Leuchtturm der Bretagne. Der Baumeister Vauban ließ ihn von 1695 an auf der Insel errichten. In 30 Meter Höhe auf dem umlaufenden Aussichtsbalkon erklärt Ondine den Gästen die blinkenden Lichtpunkte am Horizont: Es sind die Signale anderer Leuchttürme und Bojen, sie sind bis heute für die Schifffahrt lebenswichtig. Extreme Gezeitenunterschiede, reißende Strömungen, zerstörerische Stürme und felsige Untiefen machen die Küste zu einer der gefährlichsten Wasserstraßen der Welt. 52 Leuchttürme gibt es in der Bretagne, längst sind sie alle automatisiert.

Das Fanggebiet von Ondine und Jean-Denis ist der streng geschützte Meeresnaturpark Iroise, der sich vor der Küste nach Süden bis zur Insel Sein erstreckt. Er wurde 2007 gegründet und ist 3500 Quadratkilometer groß. Dorthin fahren auch Lucky und Christel Peron mit ihren Gästen: Vom Zodiac aus lassen sich einige dieser monumentalen Leuchttürme aus der Nähe betrachten. Der Leuchtturm Pierres Noires zum Beispiel, der meist umwogt von peitschenden Wellen auf einem winzigen Felsbrocken steht und seit 1872 in Betrieb ist. Sein Licht ist 19,5 Seemeilen, circa 36 Kilometer, weit zu sehen. Die Leuchtturmwärter mussten sich über ein gespanntes Seil vom Schiff zum Turm hangeln, wenn der Seegang es denn zuließ. Zwei Monate blieben sie, bis Ablösung kam.

Doch die Attraktion beim Ausflug mit Lucky und Christel Peron sind Delfine. Die Tiere erkennen das Boot und nähern sich neugierig, tauchen darunter durch und beäugen auf der Seite liegend die Besucher. Seevögel und Robben sonnen sich auf Felsen, und vor der Insel Molène sieht man Boote, die Algen aus dem Wasser holen. Ein Naturprodukt, das nun die Wissenschaft für sich entdeckt. Immer neue Anwendungsmöglichkeiten findet sie für die 600 in der Bretagne vorkommenden Arten: Deren Mineralien und Wirkstoffe stecken in Kosmetika, Arzneimitteln, Tierfutter und Nahrungsmitteln. Viele Bretonen arbeiten nun in innovativen Life-Science-Firmen. Auch auf die Speisekarte haben es die Algen geschafft. In der Crêperie auf der Insel Molène gibt es eine Galette mit Algen.

Die Bretonen und ihre Heimat haben sich verändert. Aber die alten Granithäuser stehen wie eh und je und trotzen Stürmen und Fluten. Im Sommer wohnen dort jetzt die Touristen. Und statt Matrosen tragen Freizeitkapitäne und heimgekehrte Städter die Marinière. Aber immerhin: Seit Jean-Guy Le Floch 1993 die Firma übernommen hat, ist Armor-lux tatsächlich in bretonischen Händen.

Reiseinformationen

Anreise: z. B. mit Lufthansa ab München direkt nach Nantes, hin u. zurück ab 219 Euro, www.lufthansa.de

Unterkunft: Hotel La Vinotière in Le Conquet, DZ ab 70 Euro, zzgl. 10 Euro Frühstück p. P., www.lavinotiere.fr, Hotel Le Vent d'Iroise in Plougonvelin, DZ ab 65 Euro, www.hotel-vent-iroise.com, Hotel Ti Jan Ar C'Hafé auf der Insel Ouessant, DZ ab 79 Euro.

Ausflüge: Der Bootsausflug mit Lucky und Christel Peron startet im Hafen von Le Conquet und kostet 65 Euro p. P., www.archipelexcursions.com, Touren und Ausflüge mit Ondine Morin: www.kalon-eusa.com. Das Fährticket von Le Conquet nach Ouessant kostet hin und zurück ab 27,90 Euro, www.pennarbed.fr

Informationen: www.bretagne-reisen.de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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