Frankreich:Darf´s ein bisschen Natur sein?

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Teiche in den Villages Nature filtern auf natürliche Art einen kleinen Teil des Poolwassers. (Foto: Groupe Pierre & Vacances/Center Parcs)

Nur nicht zu wild: Disney und Center Parcs bauen bei Paris in einem Feriendorf das heile Landleben nach. Mit einem Pool, in dem nicht einmal das Wasser frieren muss.

Von Martin Wittmann

Ob dem Reisenden sein Ziel gefällt, hängt sehr davon ab, wo er herkommt. Das ist ganz allgemein eine Branchenweisheit und ganz speziell eine Rechnung, die zu überprüfen sich in den Villages Nature nahe Paris lohnt. Das Großprojekt soll die Vereinigung zweier touristischer Welten sein, die Chancen und Herausforderungen dieser Aufgabe trägt es schon im Titel: natürliche Dörfer, das klingt mehr nach provokanter These als nach schickem Namen. Ein Widerspruch freilich, aber einer, der geschickt die Sehnsüchte vieler Touristen benennt, die das Wilde der Urwuchs-Natur suchen, ohne auf die Milde der Urlaubs-Kultur verzichten zu wollen.

Es ist ein 500 Millionen Euro teures Experiment: ein dorfähnliches Resort, mitten in eine bis dahin unberührte Landschaft gestellt und nach drei Jahren Bauzeit soeben eröffnet. 916 begrünte Ferienhäuser und Apartments, die nicht nach Hotelburg aussehen, sondern nach individuellem Häuslebau. Drumherum ein See, ein Wald und ein 2,1 Hektar großer Pflanzengarten, eine eigene Landwirtschaft und ein riesiges Schwimmbad samt Spa. Ob einem das Experiment gefällt, hängt wie gesagt von der Ausgangssituation ab: Wer seine Ferien für gewöhnlich auf dem Bauernhof oder zeltend am Meer verbringt, der wird schnappatmen ob der Künstlichkeit des Vorhabens. Wer hingegen Urlaub in Stadthotels, Resort-Bunkern oder auf Kreuzfahrtschiffen gewöhnt ist, der wird hier durchatmen können. Anders gesagt: Wer gerade aus dem Vergnügungspark kommt, der hat hier seine Ruhe. Das ist keineswegs eine Metapher, sondern tatsächlich Kalkül der Macher.

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Villages Nature ist ein gemeinsames Projekt des nur sechs Kilometer entfernten Disneylands und dem Ferienpark-Spezialisten Center Parcs. "Die einen sind Meister der Fantasie, die anderen haben große Erfahrung mit Naturparks", sagt der schneidige Operations Director des Resorts und damit so etwas wie der Bürgermeister des Dorfes, Olivier Robin, 37. Man könnte auch sagen: Die einen ziehen sehr viele Familien in den Vorort, und zwar solche, die sich nicht nur die Achterbahn leisten können, sondern auch noch einen Kurzurlaub in einem Viererapartment; und die anderen haben große Erfahrung darin, diesem liquiden Klientel Schlafplätze in gediegener wie gedeihender Umgebung zu schaffen. Diese beiden Angebots-Konstanten - Disneyland und Center Parcs - haben nun eine Nachfrage-Variable ausgemacht, die schon eine Weile stabil bleiben muss, damit sich die hohen Investitionen lohnen: Nachhaltigkeit als Trend (noch so ein Widerspruch). Wenn man in Olivier Robin schon einen Bürgermeister sieht, dann am ehesten einen in einer gelb-grünen Koalition. Wahlversprechen: ein in jeder Hinsicht florierender Öko-Markt.

Im März hat die Tui-Gruppe eine internationale Studie zum Thema veröffentlicht, für die mehr als 3000 Reisende befragt wurden. Die meisten sind demnach umweltbewusst und finden es auch wichtig, dass sich ein jeder dahingehend einbringe. Aber: 66 Prozent sehen doch eine höhere Verantwortung bei den Touristikunternehmen als bei sich selbst - in Deutschland sind es gar 70 Prozent. Diese Nachfrage bestimmt das Angebot, und auf die Umwelt bezogen darf man sagen: Es gab schon schlimmere Tourismusmoden als diese.

Wie in den Villages Nature Verantwortung zu übernehmen versucht wird, ist am besten am Wasserpark "Aqualagon" zu sehen. 11 500 Quadratmeter groß, eine Art Badlieu vor den Toren von Paris. Untergebracht ist der Park in einem Glasbau, der wie die Reichstagskuppel bis oben hin abspaziert werden kann (allerdings außen). Verglichen mit einem Urlaub am rauen Atlantik sind in so einem Schwimmbad die Gewaltverhältnisse umgedreht: Hier spielt nicht das Wasser mit dem Menschen, sondern andersherum. (Unabhängig von all diesen theoretischen Überlegungen: ganz praktisch garantieren die sieben Rutschen die größte Gaudi überhaupt.) Wie also lässt sich das maßlose Planschen in Einklang bringen mit dem spaßbefreiten Thema Nachhaltigkeit? Mit Geothermie.

Eine Badlieu vor den Toren der Stadt: Für die „Aqualagon“ wird heißes Wasser aus der Tiefe geholt. (Foto: Groupe Pierre & Vacances/Center Parcs)

79 Grad heißes Wasser wird aus 1900 Meter Tiefe geholt und zunächst über ein 74 Kilometer langes Kanalsystem geschickt, um die komplette Heizung des Dorfes zu leisten, bevor es schließlich in die Aqualagon gepumpt wird. Dort wärmt es die Becken, bis das ursprünglich heiße Wasser seinen Dienst getan und nur noch 30 Grad hat. Zudem wird das Wasser der Außenbecken abends in den Innenbereich zurückgeführt, damit es nicht zu sehr auskühlt. Nichts und niemand muss hier im Dorf nachts draußen frieren.

Es gibt diverse bemerkenswerte Bemühungen. Ein Zehntel des Aqualagon-Wassers fließt nach seiner Benutzung durch bepflanzte Teiche, wo es natürlich gefiltert und gereinigt wird. Am Ende seiner Reise landet es im See oder im Pflanzenbeet. Die Restaurants transportieren nicht nur einen radikalen Globalisierungsgedanken (Frankreich-Reisende aus aller Welt verspeisen hier im Vapiano, was Deutsche für italienisches Essen halten), sondern auch ihre Abfälle - die landen im Kompost.

Der Segen des offensiv vermarkteten Öko-Konzepts ist gleichzeitig sein Fluch - würde man als Gast nicht permanent auf den Anspruch des Projekts aufmerksam gemacht, würden einem weder die fehlenden Solaranlagen auf den Dächern noch die vorhandenen Alu-Kaffeekapseln auf dem Zimmer auffallen.

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Die Villages Nature werben nicht nur mit ihrem Umweltbewusstsein, dieses soll auch pädagogisch wertvoll sein. Dazu gibt es einen Bauernhof, die "BelleVie Farm", mit Hasen, Hühnern, Pferden und Eseln. Kinder können hier Eier einsammeln und Gehege säubern, Brotbacken und Tiere füttern. Auch hier ist entscheidend, welche Erwartungen der Gast an dieses Angebot hat: Wer gerade noch durchs laute Disneyland hetzte und dort im Elefanten-Karussell auf Dumbos Rücken saß, wird sich hier als Ziegenflüsterer recht wohlfühlen. Wer aber schon mal auf einem echten Bauernhof war, wird sich hier über eine realitätsferne Modell-Farm wundern, auf der zwar gelehrt wird, wie die Milch der Kuh zum Käse reift, jedoch nicht, wie das Kind der Kuh zum Blanquette de veau im Restaurant wird.

Die Renaturierung des urbanen Gastes hat eine Vorgeschichte. Olivier Robin sagt: "Wie haben uns am Anfang überlegt: Wo trifft der moderne Mensch am ehesten auf die Natur? Im Garten." Nichts anderes sind die Villages Nature: Der sehr angenehme Versuch, eine eigene Umwelt zu erschaffen, auf dass sie gefahrlos genossen werden kann, natürlich künstlich.

Die Villages Nature Paris liegen im Vorort Bailly-Romainvilliers, 32 Kilometer von der Stadt und sechs Kilometer von Disneyland entfernt. Ein langes Wochenende mit drei Übernachtungen im Ferienhaus für sechs Gäste kostet ab 770 Euro. Weitere Informationen unter www.villagesnature.de

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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