Fotos vom Berggipfel:Diese Last der Beweise

Lesezeit: 4 min

Ach, dieser Gipfel: Heidemarie Hatheyer und Luis Trenker in "Der Berg ruft" (1938). (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Der Berg ruft - und Gipfelbilder sollen ihn für die breite Masse inszenieren. Vor allem aber ist immer wieder erstaunlich, welche Debatten die Fotos lostreten können. Die meisten Skandale der Alpingeschichte basieren auf Schnappschüssen.

Von Dominik Prantl

Gerade gibt es unter manchen Alpinisten - das sind jene Menschen, die sich durch das Bergsteigen von der Masse abheben - wieder eine sehr spannende Diskussion über den Cerro Torre. Der Cerro Torre in Patagonien ist für die Bergsteiger ungefähr das, was der FC Bayern für den deutschen Fußballfan ist, also ein Berg, über den seiner Prominenz wegen jeder eine eigene Meinung hat. Das liegt zu einem Gutteil an der Besteigungsgeschichte. Die Kurzversion geht ungefähr so: Der immer noch häufig als Erstbesteiger geführte Cesare Maestri hat leider keine Beweise für seine Erstbesteigung. Weil sein Bergpartner Toni Egger beim Abstieg tödlich abstürzte, und mit ihm die Kamera samt Gipfelfoto, sind die wichtigen Dokumente auf Nimmerwiedersehen verschollen. Maestri behauptete damals jedoch, auf dem Gipfel gestanden zu haben, und er behauptet es heute nach 56 Jahren noch immer. Großes Bergsteigerehrenwort.

Nun hat Rolando Garibotti vor wenigen Wochen ein Foto veröffentlicht, das Maestris seit einem halben Jahrhundert sukzessive bröckelnde Ich-war-oben-Version noch mehr ins Wanken bringt. Garibotti wird gerne als "Hausmeister des Cerro Torre" oder "Patagonienkenner" bezeichnet; man darf seiner Darstellung Glauben schenken. Er ist schon vor zehn Jahren jene Route nachgestiegen, auf der sich auch Maestri wähnte, doch fand er nirgendwo einen Hinweis auf eine frühere Begehung wie alte Haken oder Seilreste.

Das Gipfelfoto ist heute Lockmittel und Illusion

Garibottis Foto zeigt denselben Wandausschnitt, den auch schon Maestri abgelichtet und in einem Buch veröffentlicht hat; auch Toni Egger ist darauf laut Bildunterschrift zu sehen. Garibotti verortet diese Stelle nun aber leider nicht an den "unteren Platten des Cerro Torre", wie Maestri schrieb, sondern an dem kleinsten Zacken einer wie Haifischzähne aufgestellten Reihe von Felstürmen, weit abseits des Cerro Torre. Das Foto beweist also, dass Maestri entweder nicht so recht wusste, was er da tat. Oder dass er einfach lügt.

In vielen Momenten waren und sind Berg-und Gipfelbilder weit mehr als nur ein unzureichendes Abbild der Erinnerung aus einer Wühlkiste stets gleicher Panoramen. Sie sind Zeitdokumente, schon allein durch ihre Anmutung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts half das Bergbild den Forschern bei der Aufzeichnung von Gletschern und Graten, diente als Vorlage für Skizzen und Karten; Jahrzehnte später wurde es zum starren Gehilfen der Propaganda.

Heute hat der Eindruck, dass Berge und ihre Gipfel so bunt sind wie nie zuvor, nicht nur mit der Vielzahl und Vielschichtigkeit der Hochtouristen zu tun, sondern auch damit, dass das Bergfoto vom grauen, wissenschaftlichen Assistenten zum Universalgenie gereift ist. Es dokumentiert und unterhält, erlebt eine Blüte als Lockmittel und Illusion, getrieben von der Bilderflut der Werbeindustrie. Es sind ja keineswegs nur die Kitzbühels und Zermatts dieser Welt, die mit den Gipfeln um Gäste buhlen.

Die Bergoptik macht sich längst in den Kampagnen von Konzernen wie BMW oder Red Bull breit, die sich damit einen sportlichen Anstrich geben wollen. Sie hat sich von den Fachmedien in die Alltagsgazetten eingeschlichen. Aufnahmen wie sie zum Beispiel der Sportartikelhersteller Mammut fertigen lässt, sind oft kostspielige Choreografien in Fels und Schnee, durchgetaktet von den Besten ihres Fachs. Hier wird der Berg für die breite Masse in Szene gesetzt.

Skurrile Reisefoto-Projekte
:Zum Glück gezerrt

Zyniker behaupten, man müsse inzwischen nackt Handstand machen, um mit seinen Urlaubsbildern im Netz aufzufallen. Genervte Freundinnen oder Legofiguren gehen aber auch. Fünf sehr spezielle Projekte aus der Welt der Reisefotografie.

Von Katharina Wilhelm

Löst man sich aus der Masse und schaut an die Spitze des Alpinismus, dann spielt das Bergfoto noch ganz andere Rollen. Auch manche der besten Bergsteiger inszenieren natürlich, was das Zeug hält. Häufig genug dient das Bild aber einfach nur Dokumentationszwecken, und nicht selten verschwimmen die Grenzen zwischen Inszenierung und Dokumentation. Viele Alpinisten durchklettern schwierige Routen beispielsweise erst alleine, um später mit einem Profifotografen an den Ort ihres Coups zur Bildproduktion zurückzukehren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Es ist sogar die saubere Variante. Psychisch wäre es nämlich ungleich einfacher, eine Wand zu durchsteigen, wenn an jeder Schlüsselstelle ein Mann mit Kamera säße. Der würde, als Gehilfe, das Risiko des Aufstiegs drastisch senken.

"Die Philosophie des Kletterns"
:Friede den Verrückten

Die Aufsatzsammlung "Die Philosophie des Kletterns" widmet sich der Frage, warum Menschen eigentlich auf Berge steigen. Und geht dieses Rätsel genau richtig an.

Von Dominik Prantl

Vor allem aber ist es immer wieder erstaunlich, welche Debatten Gipfelfotos lostreten können. Die meisten Skandale der Alpingeschichte basieren auf Schnappschüssen der Hauptdarsteller. Oder sie rühren daher, dass es eben keine Fotos gibt. Der Fall Maestri und Eggers 1959 und ihre verschollene Kamera sind hier nur das prominenteste Beispiel.

Erst 2013 machte sich Ueli Steck unter seinesgleichen nicht sonderlich beliebt, als er die Südwand der Annapurna (8091 m) solo durchstieg und anschließend von dem für viele unglaublichen Gipfelgang keine Beweisbilder vorlegen konnte. Er habe die Kamera samt Handschuh beim Aufstieg im Spindrift, einer Art Minilawine, verloren, so Steck. Weil es auch sonst an klaren Beweisen mangelte, spaltet sich die Szene. Ein Teil bezichtigt Steck seitdem unterschwellig der Lüge, der andere Teil findet, Steck sei wegen seiner bisher erbrachten Leistungen viel zu glaubwürdig, als dass man seine Behauptung anzweifeln sollte. Der Fotograf und Bergführer Robert Bösch, der viel mit Steck unterwegs war, sagt: "Ein Gipfelfoto kann sehr wohl ein Beweis für eine Besteigung sein. Der Umkehrschluss - wer kein Gipfelfoto hat, war nicht oben - ist aber nicht möglich."

Aus Mangel an Beweisen in Erklärungsnot

Für Außenstehende mag die Diskussion, ob das Bergsteigerehrenwort genauso viel zählt wie eine Aufnahme, albern wirken. Für Alpinisten rührt sie am Grundverständnis. Schließlich findet ihr Tun abseits von Schiedsgerichten und Öffentlichkeit statt. Wer zu viel filmt, blitzt und postet, gerät schnell in den Verruf, das Bergsteigen kommerziell ausschlachten zu wollen. Erst im vergangenen Jahr fand unter Vorsitz von Reinhold Messner auf seinem Schloss Sigmundskron eine Diskussion darüber statt, wie viel Show und Medien der Alpinismus verträgt. Wer wiederum zu wenig dokumentiert, gerät aus Mangel an Beweisen in Erklärungsnot.

Manchmal ist es allerdings sogar besser, kein Foto vorzulegen. Der Slowene Tomo Česen zum Beispiel schickte 1990 ein Gipfelfoto vom Lhotse (8516 m) als Beweis für die Südwand-Durchsteigung an ein Magazin. Leider stammten die Aufnahme von seinem Landsmann Viktor Grošelj, der ein Jahr zuvor den Berg bestiegen hatte. 2012 musste Christian Stangl nach mehreren Ungereimheiten einräumen, dass sein kürzlich aufgenommenes "Gipfelbild" vom K2 rund 1000 Meter unterhalb des Gipfels entstanden war. Seitdem hat man von dem zuvor medial äußerst präsenten Österreicher nicht mehr viel gehört.

© SZ vom 26.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Tipps für die Alpen
:Die schönsten Orte im Winter

Es soll ja Menschen geben, die nichts mit der kalten Jahreszeit anzufangen wissen. Dabei gibt es so viele Orte, an denen der Winter Spaß macht. Wir stellen unsere Favoriten in den Alpen vor.

Aus der SZ-Redaktion

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: