Fortsetzung:Unser Manna auf Havanna

In Cuba konkurriert die Santeria mit der Staatsideologie: Nun entdecken auch Tourismus-Manager, Musiker und Künstler die Zugkraft der afrocubanischen Religion.

Jonathan Fischer

(SZ vom 31.07.2001) - Ob Señor Hernandez in Zukunft auch Touristen die Orakel liest? Zumindest die Tourismus-Manager versuchen neuerdings, aus der Santeria Kapital zu schlagen - als Folklore-Show bar jeder religiösen und psychotherapeutischen Dimension. Gerade erst hat auf dem Prado - in bester Altstadtlage gleich gegenüber dem Capitolio - die "Villa Yoruba" eröffnet. Angeblich das erste Orisha-Museum der Welt. Zeitgenössische cubanische Künstler durften die verschiedenen Räume der renovierten Kolonialvilla mit ihren Assoziationen zu den Yoruba-Göttern füllen.

Fortsetzung: Ché Guevara schaut kritisch, denn die Figur, die der Pilger in seinen Händen hält, stellt nicht ihn, sondern den heiligen St. Lazarus dar.

Ché Guevara schaut kritisch, denn die Figur, die der Pilger in seinen Händen hält, stellt nicht ihn, sondern den heiligen St. Lazarus dar.

(Foto: Montage: sueddeutsche.de/Reuters)

Eine schöne Idee - und doch bleiben die staatlichen Ticketverkäufer, Aufpasser und Putzfrauen hier meist unter sich. Bei zehn US-Dollar Eintritt, einem durchschnittlichen cubanischen Monatslohn, machen selbst die meisten Touristen im Vorraum kehrt. Dann doch lieber nach La Regla.

Mit der Personenfähre geht es auf die andere Seite von Havannas Hafenbecken. Brüllender Motorenlärm. Der Geruch von Diesel und fauligem Wasser beißt in der Nase. Am jenseitigen Ufer zwitschern die Vögel - weder Autos noch Touristen scheinen sich allzu oft in den schläfrigen Vorort zu verirren. Ein paar hundert Meter von der Anlegestelle entfernt blendet das Weiß einer alten Kirche. Hier thront, beleuchtet von einem Kerzenmeer, eine Frauenfigur in blau-weißem Gewand. Yemayá nennen sie die Santeros. "Nuestra Señora de Regla" die Katholiken. Ein silberner Strahlenkranz rahmt ihr schwarzes Gesicht. Die Glasscheibe davor ist von den Küssen der Gläubigen beschlagen. Yemayá, Herrscherin des Meeres, gilt als Schutzheilige der Seeleute.

Der Legende nach soll Changó, im Unwissen, dass es sich um seine eigene Mutter handelt, diese heftig umworben haben. Yemayá lädt den Gott des Krieges schließlich zu einer Bootsfahrt aufs Meer ein: Während sie in ozeanische Tiefen abtaucht, bringt eine riesige Welle das Boot zum Kentern, und der Nichtschwimmer Changó kämpft verzweifelt gegen das Ertrinken an. Erst auf Fürsprache des Weltenschöpfers Obatalá rettet Yemayá ihren Sohn schließlich - unter der Bedingung, fortan die Mutter zu respektieren. Am 8. September wird die rachsüchtige Göttin mit Opfergaben am Meeresufer und einem Umzug durch die Gassen von La Regla geehrt. Ariel ist dann wie viele seiner Rapperfreunde mit von der Partie. Um seinem Schutzpatron Changó Tribut zu zollen oder auch der Unberechenbarkeit seiner Freundinnen. "Wer nicht glaubt", so Ariel, "kommt nie an". Dass die vorausschreitenden Katholiken die Prozession allein der Jungfrau von La Regla widmen, stört ihn nicht. "Den größeren Lärm", sagt Ariel mit triumphierendem Grinsen, "machen doch die Santeria-Trommler am Ende des Zuges".

Von La Regla sind es nur wenige Kilometer landeinwärts nach Guanabacoa: Der Taxifahrer hat die wöchentliche Hip-Hop-Show auf Radio Metropolitano reingedreht. "Oye oye oye ya/ lass dir von deiner Madrina/ das Orakel lesen/ dann wird der Fluch von Dir weichen...", rappen die Lokalmatadoren ProjectoF.

Auch der Taxifahrer muss sich durchfragen: Der Flachbau im Herzen von Guanabacoa ist von außen kaum als Folklore-Museum zu erkennen. Für den Dollar Eintritt ist die fachkundige Führung inklusive. Souvenirs kosten extra: Changó als Miro-inspirierte Postercollage. Eine tönerne Yemayá mit Picassogesicht. Nur T-Shirts und Tassen mit Orisha-Aufdruck fehlen noch.

Westlich von Havanna geschehen Wunder

Wenigstens in El Rincon, 30 Kilometer westlich von Havanna, ist die moderne Kunst noch nicht angekommen: Bereits einen Kilometer vor der örtlichen Wallfahrtskirche stehen notdürftig zusammmengezimmerte Verkaufsstände an der Straße, wedeln fliegende Händler den Ankömmlingen ihre Blumensträuße entgegen. Gelbe und violette Kerzen fließen in der Hitze dahin, die Verkäufer haben sich in den Schatten der Böschung gerettet.

Daneben hat ein altes Mütterchen ein Dutzend grellbunt bemalte Tonfiguren aufgereiht: Indianerhäuptlinge, die Jungfrau Maria, dunkelhäutige Babyfiguren und - immer wieder - Babalu Ayé respektive San Lazaro, einen wundenübersäten und krückenbewehrten Bettler in Begleitung zweier Hunde. Dass ihm alle Arten von medizinischen Wundern zugetraut werden, davon zeugen die blechernen Arme, Beine, Köpfe und Augen in der Auslage. Aber wie konnte sich der sieche Mann zum Schutzpatron der Gebrechlichen aufschwingen?

"In seiner Jugend", sagt Ariel, "galt Babalu Ayé als Partylöwe und Frauenheld." Der trinkfeste Nachwuchs-Journalist hat sich die Geschichte von seiner Großtante wohl schon dutzende Male anhören müssen. "Dann hat er dermaßen über die Stränge geschlagen, dass die alten Priester ihm den Mund mit Kaurimuscheln zunähten und den Leprakranken in die Fremde schickten." Erst Orula, Hüter des Orakels, habe Babalú Ayé mit einem heftigen Regen von allen seinen Sünden reingewaschen.

Ein ähnliches Mirakel erhoffen sich jedes Jahr am 17. Dezember Tausende von Pilgern: Gläubige schleppen sich auf allen Vieren durch den Staub der Zufahrtsstraße. Manche haben große Steine um die Füße gebunden, andere vollführen komplizierte Sprünge.

Opfer, die helfen sollen, Krankheiten zu heilen. Doch auch an normalen Wochentagen reißt der Zustrom ins Kircheninnere nicht ab: Alle paar Minuten müssen die Mesnerinnen die gerade vor dem San Lazaro-Altar aufgestellten Blumen und Kerzen entsorgen, damit die Nachrückenden neue Lichtlein entzünden können. Schulkinder knien hier genauso nieder wie ihre Großeltern. Ob sie auch den in Großbuchstaben vorgedruckten Gebetstext an den heiligen Lazarus sprechen? Oder nicht doch zu Babalú Ayé flüstern? "Wir Cubaner", hatte Ariels Padrino erklärt, "denken pragmatisch. Das haben uns die Orishas gelehrt."

INFORMATIONEN:

Anreise: LTU fliegt ab München, Frankfurt und Düsseldorf nach Varadero (mittwochs) und Holguin (sonntags) ab 1700 Mark.

Unterkunft: Hotel Sevilla, Havanna, Trocadero 55, Tel. 0053/7/6085-60, Fax -82.

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