Airlines:Warum Fliegen gerade zur Geduldsprobe wird

Flughafen Hamburg wartende Passagiere

Zum Ferienbeginn in Hamburg warten die Fluggäste in langen Schlangen auf den Check-In.

(Foto: dpa)
  • Urlauber müssen sich in den nächsten Wochen auf lange Wartezeiten am Flughafen einstellen: Die Zahl der Verspätungen habe "dramatisch" zugenommen, berichtet die Flugsicherungsbehörde Eurocontrol.
  • Es fehlt an Flugzeugen, Crews und Fluglotsen.
  • Viele Passagiere sind mit der Betreuung durch die Airlines unzufrieden.

Von Caspar Busse und David Pfeifer

Am schlimmsten sind häufig die Ausreden, die Halbwahrheiten, wie man hingehalten wird. Die Fluggesellschaften sprechen allzu oft von "höherer Gewalt", wenn ein Grund für eine massive Verspätung oder einen ausgefallenen Flug gesucht wird. Denn dann können sie nichts dafür. Zurück bleiben Kunden, die sich verhöhnt fühlen.

Zehn Monate nach dem Zusammenbruch von Air Berlin, der damals hinter Lufthansa zweitgrößten deutschen Fluglinie, kann man festhalten: Flugreisen sind teurer geworden - und weniger zuverlässig. Bis Juni sind in diesem Jahr nach Zahlen des Fluggastrechteportals EUclaim in Deutschland mehr als 15 000 Flüge gestrichen worden, im Jahr davor waren es im gleichen Zeitraum nur 8800. Hinzu kommen erheblich mehr Verspätungen, gerade starke Verzögerungen haben zugenommen, in vielen Fällen geht es um mehrere Stunden (siehe Grafik).

Lufthansa und die zum Konzern gehörende Eurowings haben sich bereits mit großformatigen Anzeigen und Rundmails bei ihren Kunden für die miese Leistung entschuldigt. "Im ersten Halbjahr dieses Jahres mussten wir mehr Flüge streichen als im gesamten letzten Jahr", schrieb Lufthansa in ungewohnter Offenheit. Die Pünktlichkeit sei auf "ein für uns inakzeptables Niveau gesunken". Jetzt geht auch noch die Urlaubssaison in den meisten Bundesländern los, der große Ansturm steht bevor. Und zu allem Überfluss zeichnen sich bei Ryanair Streiks ab. Es wird kein schönes Jahr für Flugreisende werden, so viel kann man schon sagen.

Eine Kundin, die über das Hintergrundwissen verfügt, um zu begreifen, was sich da gerade abspielt, ist Julia Holze, 40, Marketing-Managerin des Siemens-Konzerns im Bereich Verkehrstechnik. Holze war davor bei Lufthansa angestellt und macht sich von Berufs wegen Gedanken über Verkehrskonzepte der Zukunft - was sie nicht davor bewahrt, selbst Opfer moderner Mobilitätsprobleme zu werden.

Gemeinsam mit einer Freundin wollte Holze mit Eurowings über das Pfingst-Wochenende von Berlin nach Paris fliegen. "Zuerst wurden wir per E-Mail informiert, dass statt eines Direktflugs doch ein Umstieg in Düsseldorf notwendig wäre. Dort konnten wir dann auf der Anzeigetafel lesen, dass der Flug nach Paris annulliert worden war", sagt sie. Es entwickelte sich ein Horrortrip, wie ihn der heutige Flugverkehr immer häufiger für seine hilflosen Kunden bereithält: Es wurde ein Reisebus nach Düsseldorf geschickt, der blieb in Belgien liegen. Der Busfahrer sprach nur Bulgarisch, erste Passagiere waren unterzuckert und dehydriert. Die Polizei geleitete die etwa 50 Gestrandeten vom Autobahn-Standstreifen in ein nahe gelegenes Dorf, in dem sie notverpflegt werden konnten. Ein zweiter Bus wurde geschickt, der verfügte aber über zu wenig Plätze.

Bei Eurowings erreichten sie über die - selbstverständlich kostenpflichtige - Hotline zuerst niemanden, "dann sagte man uns, man könne nichts für uns tun - dafür sei das Busunternehmen verantwortlich". Holze und ihre Freundin fuhren schließlich mit dem Taxi nach Paris. In einem belgischen Dorf wurde Holzes Kreditkarte vom Automaten geschluckt bei dem Versuch, größere Mengen Bargeld für den Taxifahrer abzuheben - das einzige Unglück, für das Eurowings nicht direkt verantwortlich war.

Holzes Erfahrung mag extrem sein, aber kein Einzelfall. Das Problem wird in ganz Europa immer größer: Flüge werden storniert, die, die fliegen, sind oft unpünktlich. In den ersten fünf Monaten 2018 haben die Verspätungen nach Angaben von Eurocontrol, der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, "dramatisch" zugenommen. Jeweils ein Viertel der Verspätungen seien auf Streiks und das Wetter zurückzuführen, der Rest auf Probleme der Fluggesellschaften mit Personal und Kapazitäten sowie auf die überfüllten Lufträume, die von zu wenig Fluglotsen kontrolliert werden. Alleine Air Berlin war bis zur Pleite mit 140 Flugzeugen kreuz und quer in Europa unterwegs, all das müssen die anderen Gesellschaften jetzt auffangen. Entspannung ist nicht in Sicht. Eurocontrol erwartet für die kommenden Jahre noch mehr Verspätungen, bis 2040 rechne man damit, dass sich die Zahl der um bis zu zwei Stunden verspäteten Flüge versiebenfacht. Der Grund: Der Flugverkehr wächst deutlich schneller als die Kapazitäten der Flughäfen und die der europäischen Flugsicherung. Auf den Europakarten von Eurocontrol sind große Bereiche tiefrot - das heißt: überlastet.

Schon jetzt ist es zum festen Teil der Abendkonversation unter Vielfliegern geworden, sich über Fluglinien zu mokieren. Nachdem Air Berlin Insolvenz angemeldet hatte und sich andere Airlines um die frei werdenden Slots bemühten, wurde um Start- und Landerechte geschachert, wie um die besten Plätze am Roulettetisch. Leider können die Fluglinien diese Slots bis heute nicht bedienen, ihnen fehlen oft noch immer Flugzeuge und Personal. So halten sie eine Simulation aufrecht, und hoffen auf bessere Zeiten. "Wenn ich zum Check-in komme und von zehn Schaltern nur zwei besetzt sind, muss ich mich nicht wundern, wenn die Leute zwei Stunden Schlange stehen müssen", sagt Julia Holze.

Auch teure Flugreisen werden schlechter und unzuverlässiger

Was sich in den vergangenen Jahren in der Branche abgespielt hat, war ein Verdrängungswettbewerb, dem am Ende eben auch Air Berlin zum Opfer fiel. Jetzt, da nur noch wenige übrig sind, werden die Tickets teurer. Billig-Airlines haben die Preise angehoben, stellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) fest. Ein Flug bei den vier großen Billiganbietern kostet demnach im Durchschnitt zwischen 53 und 117 Euro, im Vorjahr waren es noch zwischen 44 und 105 Euro. Lufthansa verlangt nach der Insolvenz von Air Berlin sogar durchschnittlich 25 bis 30 Prozent mehr, im Einzelfall auch deutlich darüber, wie das Bundeskartellamt festgestellt hat - besonders auf Strecken, auf denen sie jetzt alleine unterwegs ist. Das alles bekommen die Mallorca-Urlauber genauso zu spüren wie die Unternehmen, die ihre Angestellten immer noch zu Meetings von Köln nach Berlin fliegen lassen, obwohl der Zug oft nur wenig länger braucht. Billigreisen hatten immer schon den Nachteil, dass man die Differenz zwischen dem, was ein Flug kosten müsste, und dem, was Ryanair oder Easyjet verlangen, mit Nerven und Lebenszeit ausgleichen musste. Nun aber werden auch teure Flugreisen schlechter und unzuverlässiger.

Hinzu kommen Fluglotsenstreiks in Frankreich, die den Luftverkehr stark beeinträchtigen. "Die Performance der gesamten Branche wird seit Monaten auch durch Personal- und Kapazitätsengpässe bei der europaweiten Flugsicherung beeinflusst. Dadurch wird es für Airlines immer schwerer, ihre Flugpläne pünktlich einzuhalten", sagt ein Eurowings-Sprecher. Hier müsse dringend etwas getan werden. Tatsächlich fehlen Fluglotsen in Europa, selbst wenn nicht gestreikt wird. Verbraucherschützer sehen dennoch die Flugunternehmen in der Pflicht. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich Lufthansa mit der Air-Berlin-Übernahme zu viel zugemutet hat", sagt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Lufthansa müsse schnell handeln, um ihren guten Ruf zu verteidigen und Reisenden nicht die Sommerferien zu vermiesen. "Urlauber erwarten zu Recht einen stabilen Flugplan, flugbereite Maschinen und motivierte Mitarbeiter", sagt Müller.

"Im Juli könnte die Lage angesichts des Beginns der Sommerferien noch schwierig bleiben", sagt ein Eurowings-Sprecher. Dann soll sich die Situation entspannen. Die Airline wird Anfang August voraussichtlich alle 70 neuen Flugzeuge von Air Berlin übernommen haben - endlich. Jedes Flugzeug absolviert bis zu 150 Flüge im Monat. Dass es so lange dauert, hat viel mit Bürokratie zu tun. Während das Ummelden eines Autos binnen Stunden erledigt ist, nimmt das bei einem Flugzeug viele Wochen in Anspruch. Hunderte Kisten an Unterlagen müssen dafür beim Luftfahrt-Bundesamt eingereicht werden, dazu kommt die Suche nach neuen Piloten. Und: Airbus kann neue Maschinen nicht liefern.

Von 100 000 geplanten Eurowings-Flügen seit Jahresanfang sind bislang 2000 gestrichen worden, davon die Hälfte wegen externer Faktoren, wie es heißt. Dazu muss man wissen, dass bei "höherer Gewalt" grundsätzlich nicht Schadenersatz geleistet werden muss. Deshalb ist die Begründung bei Fluglinien so populär.

Um die Kunden scheinen sich die Fluglinien ohnehin nicht mehr gerne zu kümmern, sie basteln eher virtuelle Gummizellen aus telefonischen Wahlmöglichkeiten ("Wenn Sie Fragen zu Ihrem Ticket haben, drücken Sie bitte Raute und eins"). In den Echokammern der telefonischen künstlichen Intelligenz erstickt irgendwann auch die wütendste Kundenbeschwerde. Dazu könnte man einwenden, dass es kein Grundrecht auf 39,99-Euro-Flüge quer durch Europa gibt, bei denen auch noch das Gepäck ankommt. Auch Julia Holze würde lieber etwas mehr bezahlen, wenn dafür der Service und vor allem die Flugzeiten stimmen würden.

Sie ärgert sich am meisten über die Salami-Taktik, "dass sich keiner kümmert, dass man alleine gelassen wird. Bis heute habe ich kein förmliches Wort der Entschuldigung gehört". Statt um elf Uhr kam Holze mit ihrer Freundin um 23 Uhr in Paris an, der Tag war dahin. Schon ab einer Verspätung von mindestens drei Stunden können einem 250 Euro zustehen, "aber Schadenersatz wurde bis heute keiner überwiesen".

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