Flugangst:Durchstarten gegen die Angst

Absturzbilder, 11. September, Turbulenzen: Seminare können Menschen helfen, die sich in kein Flugzeug mehr trauen.

Jürgen Bätz

Anja, 33, ist seit sechs Jahren in kein Flugzeug mehr gestiegen. Schon der Gedanke daran macht der Berlinerin Angst: "Ich bekomme feuchte Hände, werde nervös; dann kommen Panikattacken und Heulkrämpfe." Fast alles hat sie schon probiert, selbst Alkohol und Beruhigungsmittel halfen nicht.

Flugpassagiere; AP

Kein Zurück mehr: Passagiere betreten die Maschine.

(Foto: Foto: AP)

Und Anja ist nicht allein, Millionen Bundesbürger leiden unter Flugangst. Bei einer Allensbach-Umfrage gaben ein Drittel der Befragten an, unter dieser Angst zu leiden oder sich im Flieger wenigstens sehr unwohl zu fühlen.

Die Mehrzahl der Betroffenen nennt "Absturzbilder", "11.September" oder "starke Turbulenzen" als Auslöser der Angst. Dazukommen unterschwellig aufkommende Gefühle: Das Ausgeliefertsein und Sorge vor menschlichem Versagen, drohende Kollision oder Absturz, Tod. Was Betroffenen helfen kann, sind Seminare, wie sie beispielsweise von Lufthansa angeboten werden; 780 Euro kostet es, sich das Fliegen wieder beibringen zu lassen.

Konfrontation mit der Angst

"Sie haben keine Angst vor dem Fliegen, sondern ausschließlich Angst vor der Angst", provoziert Psychotherapeutin Darina Augapfel die Seminarteilnehmer gleich zu Beginn. Und schon morgen, so verspricht sie den zweifelnden Probanden, hätten die meisten das überwunden.

Grundlage sind fünf Schritte: das Treffen der Flugangst-Geplagten untereinander, Gruppentherapie, Erlernen von Entspannungstechniken sowie Erklärungen eines Piloten. Und schließlich die Konfrontation mit der Angst: Am zweiten Tag müssen die Teilnehmer quer durch die Republik fliegen.

In Zeiten, zu denen man für 30 Euro nach Rom, Mallorca oder Barcelona fliegen kann, sind Menschen mit Flugangst mehr und mehr isoliert; im Bekanntenkreis ernten die Betroffenen oft nur Unverständnis, selbst in der Beziehung kommt es schnell zum Streit.

Durchstarten gegen die Angst

Beruflich ist es noch schlimmer: Wer nicht fliegt, hat heutzutage kaum Aufstiegschancen und damit Probleme. Das bestätigt Kursteilnehmer Gerhard: "Ich muss immer zwei Kleidergarnituren dabei haben, denn sonst komme ich vor Angst durchgeschwitzt beim Kunden an." Weil der PR-Berater aber fast wöchentlich zu Kunden fliegen muss, hat ihm sein Chef die Seminarteilnahme bezahlt.

"Angst gehört zum Leben", erklärt Darina Augapfel. Angst sei eine natürliche Schutzreaktion des Körpers: Die Atmung wird schneller und flacher, der Puls rast, alle Systeme sind auf Flucht und Verteidigung eingestellt.

Nur ist das im Flugsessel denkbar unpraktisch. Daher müsse es gelingen, die überschüssige Energie positiv abzubauen - zum Beispiel mit Entspannungsübungen: "Ballen Sie die rechte Faust, verstärken Sie den Druck, die Faust wird immer härter. Und nun entspannen Sie."

"Gut zu sehen"

Die Teilnehmer sitzen im Halbkreis und folgen konzentriert den Anweisungen. "Progressive Relaxation" nennen Psychologen diese Technik - das Wechselspiel von Spannung und Lockerung macht aufgrund entspannter Muskulatur intensives Erleben von Angst unmöglich.

Für die rationalen Dinge hingegen ist Lufthansa-Pilot Hans Schramm zuständig. Geduldig erklärt er, aufgrund welcher physikalischer Gesetze sich ein Jet in der Luft hält, weshalb im Ernstfall auch nur ein Triebwerk reicht, warum sich die Tragflächen um viele Meter durchbiegen können und dennoch nicht abbrechen - keine Frage bleibt unbeantwortet.

Noch anschaulicher wird alles im Cockpit einer geparkten Boeing 737. Anja scheint beruhigt zu sein: "Gut zu sehen, dass die meisten Systeme doppelt und dreifach vorhanden sind."

Am Morgen des zweiten Seminartages dann die Vorbereitung auf das Befürchtete - in drei Stunden wird die Gruppe in einem Linienjet mit Kurs München sitzen. Anja ist leichenblass: "Ich hab die ganze Nacht Albträume gehabt."

Angst vor der Angst

Doch alle wollen einfach wissen, ob sie es schaffen werden, abzuheben. Die Therapeutin beschwichtigt: "Jetzt bleibt nur noch die Angst vor der Angst." Sie wiederholt die Entspannungsübungen, dann ist Schluss mit der Theorie: Die Tickets für den LH-Flug 223 werden ausgeteilt.

Die Probe aufs Exempel, die Beklemmung mancher ist unübersehbar. Kaum ist die Flugzeugtür geschlossen, überfällt Anja die Panik: "Ich schaffe es nicht, es geht nicht." Die Therapeutin nimmt sie in den Arm, redet ihr gut zu. Doch die Berlinerin hat die Kontrolle über sich verloren, springt auf, rennt zur Tür und steigt im letzten Moment aus.

Laura, 36, die des Berufes wegen oft fliegen muss, aber seit Jahren sich nicht mehr getraut hat, aus dem Fenster zu schauen, muss sich erkennbar zwingen. Dann beschleunigt die Boeing 737, hebt ab, wie alle anderen Passagiere auch werden Laura und ihre Seminarkollegen vom Schub der beiden Triebwerke in die Sitze gedrückt.

PR-Mann Gerhard klammert sich, völlig verkrampft, an den Armlehnen fest und ballt die Fäuste. Erst als die Reiseflughöhe erreicht ist, macht sich bei allen Entspannung breit. Und Laura freut sich: "Beim Start war ich noch gestresst. Aber jetzt finde ich den Fensterplatz echt toll."

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