Fernwanderweg: Tour de Mont Blanc:Rund um den Zauberberg

Von einer Tour auf den Gipfel des Mont Blanc träumen viele Bergsteiger. Aber auch eine Wanderung um den höchsten Berg Europas herum ist anspruchsvoll - und bietet immer wieder neue Ausblicke auf den Gipfel.

Die ausgestreckte Zunge der Kuh nähert sich der Wandersocke, die zum Lüften im Gras liegt. Einen Augenblick später ist die Socke im Kuhmaul verschwunden. Das Rind kaut eine Weile darauf herum und spuckt sie dann wieder aus. Nach einer Wanderwoche dürfte die Wolle mit Salz und Mineralien gesättigt sein.

Rund um den Zauberberg - Dreiländertour am Montblanc

Mit 4810 Metern ist der Mont Blanc der höchste Berg Europas.

(Foto: Atout France; Hervé Le Gac/dpa-tmn)

Die Tour de Mont Blanc, von Wanderern TMB genannt, zählt zu den Klassikern der Fernwanderwege in den Alpen. In zehn bis zwölf Tagesetappen kann man einmal um das mächtige Massiv mit seinen Gletschern herumlaufen - aber die Tour lohnt sich auch, wenn man nur eine Woche Zeit hat.

Ein beliebter Ausgangspunkt ist Les Houches, ein paar Kilometer westlich vom schicken Wintersportort Chamonix. Dort starten jedes Jahr auch die Extremläufer, die die 160 Kilometer lange Strecke mit etwa 9000 Höhenmetern im Dauerlauf hinter sich bringen. Der bisher Schnellste hat es in gut 20 Stunden geschafft.

Wir lassen es langsamer angehen, steigen gemächlich zum Col de Voza auf. Die Beine sollen sich erst warm laufen, der Muskelkater kommt ohnehin früh genug. Am frühen Morgen ist das Massiv noch wolkenverhangen, von Hochgebirge keine Spur. Doch am späten Vormittag reißt die Wolkendecke auf und gibt einen ersten Blick auf die Schneefelder frei.

Der Gipfel in 4810 Metern Höhe ist von dieser Seite noch nicht zu sehen, aber die Aiguille de Bionnassay ragt majestätisch in den blauen Himmel, ein Viertausender scheinbar zum Anfassen nah. Das Dorf Bionnassay besteht aus einer Handvoll Häuser mit Geranienbalkonen. Von hier aus starteten Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Expeditionen auf den Mont Blanc. Die Pioniere trugen lange Holzstangen, um Halt auf den Schneefeldern zu haben. Die ersten Frauen, die den Gipfel erreichten, trugen mehrere wattierte Röcke übereinander.

Schnarchkonzert im Schlafsaal

Sehr zufrieden mit unseren Teleskop-Wanderstöcken und Funktionsshirts laufen wir weiter, bis wir am frühen Abend in Les Contamines eintreffen. In der Wanderherberge gibt es eine ordentliche Portion Spaghetti Bolognese. Pro Nase dürfte die Küche eine Packung gerechnet haben, dazu je eine Suppenschüssel voll geriebenem Käse. Anschließend lauschen wir dem großen internationalen Schnarchkonzert im Schlafsaal der Wanderherberge - wer ohne Ohrstöpsel auf Bergtour geht, ist selber schuld.

Der Weg zum Col du Bonhomme am nächsten Tag führt zunächst durch Nadelwälder, danach wird es felsiger und rauer, der Weg enger und steiler. Die Lungen füllen sich mit frischer, sauberer Luft. Hier und da grasen zufriedene Kühe. Auf dem Pass kann es auch im Hochsommer schneien.

So herrlich die Aussicht nach beiden Seiten ist - wenn der Wind dort oben kräftig weht, sehnt sich jeder danach, die nahe Hütte zu erreichen. Dort gibt es heiße Suppe und selbst gebackenes Brot.

Ein Tag, ein Pass

Am nächsten Tag geht es zum Col de la Seigne hinauf. Er markiert die Grenze zu Italien - und bietet endlich einen Blick auf den Gipfel des Mont Blanc. Wer tagelang um ihn herumläuft, will ihn schließlich irgendwann betrachten.

Rund um den Zauberberg - Dreiländertour am Montblanc

Auf der Wanderung um den Mont Blanc passiert man mehrere Gletscher - allerdings ohne dass man über einen steigen muss.

(Foto: Ulrike Koltermann/dpa-tmn)

Oben auf dem Pass überrascht ein unerwarteter Anblick: eine Gruppe bunt gekleideter Mountainbiker. Wie sind die bloß hier heraufgekommen? Wo es doch zu Fuß schon Mühe macht, die Steigung zu überwinden. Die Radler kommen aus der Gegenrichtung, und der schmale Pfad durchs Geröll sieht nicht gerade nach einem Fahrradweg aus.

Aber wo ist eigentlich der Gipfel? Diese harmlos aussehende, schneebedeckte Kuppe am Horizont? Es ist ein verblüffendes Spiel der Perspektiven. Beim Aufstieg beeindruckte uns ein mächtiger, mehrfach gezackter Gipfel. Nun sind wir etwa auf gleicher Höhe, und er sieht aus wie ein Haufen Geröll.

Auch der Mont Blanc, noch relativ weit entfernt, macht viel weniger her, als wir erwartet hatten. Aber das soll sich an den folgenden Tagen noch ändern.

Benvenuti in Italia! Auf der ersten Hütte auf italienischer Seite schmeckt der Cappuccino mindestens so gut wie in einer römischen Bar. Die Hütte Rifugio Elisabetta liegt in unmittelbarer Nähe eines Gletschers. Wie eine erstarrte Lawine klebt die weiß-graue Eismasse am Berg, ein unheimlicher Anblick.

Mittlerweile hat sich die Hütte gut gefüllt, Wanderer bekommen in dem Sammelschlaflager unterm Dach gerade mal einen halben Matratzenmeter zugeteilt. Gegessen wird in zwei Schichten, und wer gerade keinen Platz am Tisch hat, der muss eben mit den Treppen vorlieb nehmen. Trotz oder wegen der Enge ist die Stimmung bestens. Ein alter Bergführer lädt großzügig zum Enzianschnaps und zeigt wunderschöne Kristalle herum, die er am Berg gefunden hat.

Fast unberührte Natur

Rund um den Zauberberg - Dreiländertour am Montblanc

Die Tour de Mont Blanc führt Wanderer in zehn bis zwölf Tagesetappen einmal um das mächtige Massiv mit seinen Gletschern.

(Foto: Ulrike Koltermann/dpa-tmn)

Die TMB bietet Wanderern mehrere Varianten. Besonders zu empfehlen ist die Route über den 2758 Meter hohen Mont Fortin. Der Weg passiert klare Bergseen, in denen sich die schneebedeckten Gipfel spiegeln. Auf dem Gipfel angekommen, steht man dem Mont Blanc direkt gegenüber - mit gut zwei Kilometern Höhenunterschied. Ein grandioser Anblick!

Die Südseite des Mont Blanc ist nicht zuletzt deshalb so schön, weil das Tal zwischen dem Massiv und der nächsten Bergkette kaum besiedelt ist. Auf der Nordseite liegen Chamonix und andere Orte gleich am Fuß des Massivs, hier dagegen umfängt die Wanderer eine fast unberührte Natur. In den blühenden Almwiesen zirpen und schnarren unzählige Grillen. An sumpfigen Stellen wiegt sich Wollgras im Wind und bildet einen Teppich aus kleinen Wattebäuschchen.

Opfer der Beliebtheit

Wie auch der GR20 auf Korsika droht die TMB Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden. Während des Sommers sind die Hütten meist rappelvoll. Es wird empfohlen, vorher die Übernachtungen zu reservieren - auch wenn in den Bergen niemand abgewiesen wird, der es nicht mehr bis zur nächsten Hütte schaffen würde.

Der Weg ist meist gut markiert, mit rot-weißer Farbe auf französischer Seite, gelb bei den Italienern und mit ordentlichen Schildern in der Schweiz. Wo der Wegesrand erdig ist, hinterlassen die vielen Wanderstöcke interessante Lochmuster.

Nach Courmayeur hinunter zieht sich der Weg, der Abstieg macht Knien und Oberschenkeln zu schaffen. Der italienische Ferienort ist als Skiparadies bekannt - im Sommer wirken die stillgelegten Skilifte und Schneekanonen wie Requisiten, die am Filmset liegen geblieben sind.

Immer andere Perspektiven auf den Gipfel

Rund um den Zauberberg - Dreiländertour am Montblanc

Auf der mehrtägigen Wanderung bieten sich den Wanderern herrliche Blicke auf den Mont Blanc.

(Foto: Ulrike Koltermann/dpa-tmn)

Am nächsten Tag geht es wieder auf knapp 2000 Meter hinauf und dann ohne große Höhenunterschiede bis "zum Walter". Die Wanderherberge Walter Bonatti ist nach Ansicht vieler Wanderer die Königin der Hütten auf der TMB. Sie ist benannt nach einem der berühmtesten Bergsteiger und Abenteurer Italiens. Schwarz-Weiß-Fotos zeigen ihn in den 1970er Jahren an Eiswänden in den Anden, in einem Kanu auf dem Kongofluss.

Die Hütte ist perfekt für Wanderer eingerichtet: Es gibt Haken für die Wanderstöcke, Hüttenschuhe und einen geheizten Trockenraum für nasse Wäsche. Von der hausgemachten Pizza bianca und dem Vier-Gänge-Abendessen ganz zu schweigen. Die Wanderer kommen von überall her, auf den Hütten herrscht ein babylonisches Sprachwirrwarr.

Manche Herberge hat sich mit mehrsprachigen Broschüren auf die internationalen Gäste eingestellt - mit unfreiwillig komischen Ergebnissen. Rifugio Elena verspricht seinen Gästen beispielsweise in holprigem Deutsch: "Wir bieten euch warme Dusche mit fließendem Wasser und gemütliche Schlafsäle, wo schutz vor dem gnadenlosen unversöhnlichem findet."

Über den Col Ferret geht es in die Schweiz hinüber. Ein letzter Blick zurück zum Gipfel des Mont Blanc - ein Zauberberg, der aus jeder Perspektive anders aussieht. Wer ganz um ihn herum will, hat hier noch das Ferret-Tal und die Nordseite vor sich. Aber auch wer aus der Schweiz zurückfährt, wird das Bild des Gipfels nicht so schnell aus dem Gedächtnis verlieren. Es soll Wanderer geben, die sich auf diese Weise vom Mont-Blanc-Virus haben infizieren lassen - und als nächste Tour den Aufstieg auf den Gipfel planen.

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