Essen im Flugzeug:Seifig, schweißig, muffig?

Aufopferungsvoll testen sich Wissenschaftler durch Flugzeugessen und versuchen, eines der letzten Rätsel der modernen Luftfahrt zu lösen: Warum Bordmahlzeiten meist so langweilig schmecken.

J. Temsch

Plötzlich ist es still in der Flugzeugkabine. Kein Turbinengeräusch mehr, kein pfeifender Luftstrom, keine Vibration. So muss es sich anhören, kurz bevor die Maschine vom Himmel fällt. Aber die Passagiere in den hinteren Reihen scherzen: "Na endlich!" Das ist nicht das Ende. Es ist der Beginn einer Untersuchung im Fluglabor des Fraunhofer-Instituts in Holzkirchen bei München. Ein Experiment, das dazu beitragen soll, die letzten großen Rätsel der modernen Luftfahrt zu lösen: Warum sind die Passagiere so verrückt nach Tomatensaft? Und: Warum schmeckt das Essen im Flugzeug meist so bescheiden?

Um dies herauszufinden, haben die Lufthansa, ihr Verpflegungs-Unternehmen LSG Sky Chefs und das Fraunhofer-Institut für Bauphysik zwei Dutzend Probanden eingeladen. Sie sitzen in einer ausgemusterten Kabine, die einmal ein Airbus A310 war.

Dieser bis zu 80 Passagiere fassende Fluggastraum befindet sich in einer Metallröhre, in der die Wissenschaftler Bedingungen wie auf 10.000 bis 12.000 Metern Reiseflughöhe simulieren können: Der Druck ist niedriger, die Luft trockener als am Boden.

Geschmacksnerven und Nase nehmen weniger wahr, in etwa so, als hätten die Fluggäste Schnupfen. Die Wissenschaftler sprechen hierbei von verschobenen Geruchs- und Geschmacksschwellen: die Höhe der Dosierung eines Stoffes, ab der er wahrgenommen wird - in der Luft braucht es von allem etwas mehr.

Neben dem Luftdruck spielen auch die Turbinen- und Luftstromgeräusche eine wichtige Rolle. Deswegen dienen sie im Fluglabor zur Einstimmung der Testpersonen, zur Simulation des Starts und Steigflugs. Die Geräusche werden von Band eingespielt, dazu erzeugen Rüttler unter den Sitzen Vibrationen.

Auch diese irritieren laut der Wissenschaftler das Empfinden - physische und psychologische Faktoren wirken sich gleichermaßen auf den Genuss aus. "Nicht die Speisen verändern sich in der Höhe, sondern die Wahrnehmungen des Menschen", sagt die Aromachemikerin Andrea Burdack-Freitag, die den Versuch leitet. Im Auftrag der Lufthansa haben sie und ihre Kollegen erstmals signifikante Erkenntnisse darüber gewonnen, wie man Menüs zubereiten muss, die über den Wolken nach etwas schmecken sollen.

Mehr Salz, mehr Zucker

Das Team der LSG Sky Chefs produziert täglich rund 1,11 Millionen Mahlzeiten für Airline-Kunden in aller Welt. Dazu werden jährlich 2,6 Millionen Liter Wein und 0,314 Millionen Liter Schaumwein ausgeschenkt. Die Lufthansa ist die einzige Fluglinie, die in der weltweit einmaligen Anlage in Holzkirchen vom Fraunhofer-Institut forschen lässt. Nur Singapore Airlines betreibt eine ähnliche, allerdings viel kleinere Einrichtung.

Die Probanden im Fluglabor des Fraunhofer-Instituts bekommen Portionen von pochierter Geflügelbrust und Lachs, von gebratenem Zander und Thaicurry vorgesetzt. Dazu gibt es Schnittlauch-, Limonen- und Dillrahmsoßen, jeweils eine herkömmliche Bodenvariante und eine, die fürs Fliegen verändert worden ist. Die Testpersonen müssen bewerten, welche Rezepturen besser schmecken, und zwar jeweils unter Flug- und Bodenbedingungen.

In weiteren Durchgängen gibt es Mangocreme und Rote Grütze. Auch Weine werden verkostet. Und, ganz wichtig: immer wieder Tomatensaft.

Zur Beschreibung von dessen Geruch und Geschmack können die Testtrinker besonders anschauliche Adjektive auf ihren Fragebögen ankreuzen: seifig, fettig, röstig, pflanzlich, schweißig, erdig, muffig. Schnell wird klar, welche Soßen bei den meisten am besten ankommen: die mit mehr Salz, Zucker und Kräutern, aber weniger Zitronensaft. Grünzeug, Zucker und Salz werden unter Niederdruck schwächer herausgeschmeckt, Säure kommt stärker zur Geltung.

Die Lust auf Zucker liegt laut den Forschern auch an der unterbewussten Belastung des Körpers, der beim Fliegen ständig unbemerkt in Bewegung bleibt. Wie beim Sport, so verlangt es den Menschen auch im Flugzeug nach schneller Energie, nach Kohlenhydraten, nach Süße. Deshalb kommt neben rund 20 Prozent mehr Salz auch 20 Prozent mehr Zucker als am Boden in die fliegenden Gerichte.

Doch einfach anständig die Gewürzstreuer schwingen - so banal kann man das Problem fader Bordkost nun auch wieder nicht lösen. "Die Gleichung für den Geschmack lautet: subjektives Empfinden, multipliziert mit äußeren Faktoren", sagt Ingo Bülow, Leiter des Bordservice bei der Lufthansa. Und Andrea Burdack-Freitag erklärt: "Je komplexer die Zusammensetzung eines Gerichts, desto schwieriger ist es, simple Gesetzmäßigkeiten aufstellen."

Das gilt erst recht für Wein mit seinem vielschichtigen Zusammenspiel von Säure, Extrakt, Gerbstoff und Restzucker. Schon am Boden kann man eine Wissenschaft aus seiner Verkostung machen. Im Flugzeug, bei nur 15 Prozent Luftfeuchtigkeit und entsprechend trockenen Nasenschleimhäuten, wird es vollends kompliziert.

Erfunden von namhaften Köchen

Der Sommelier Markus Del Monego berät die Lufthansa bei der Auswahl ihrer Bordweine. Er sagt: "Gerüche bestimmen unser Geschmacksempfinden ganz wesentlich. Die meisten Testpersonen, die heißes Wasser trinken und dabei Kaffee riechen, geben hinterher an, sie hätten Kaffee getrunken." Und auch beim Wein gelten die Regeln für Zucker und Säure. Das heißt: Wuchtige Weine mit starken Aromen von Bitterschokolade oder Dörrobst empfindet der Gast im Flieger eher als fein und zurückhaltend, mit eleganter Frucht und milden Gewürznoten. Ein süßer, nicht ganz trocken ausgebauter Riesling schmeckt an Bord fruchtbetont und knackig. Derlei Verkostungslyrik kommt allerdings vor allem bei dem Wein zur Anwendung, der in der First Class mitfliegt. In der Economy geht es prosaischer zu.

Überhaupt ist die Umsetzung der Geschmacksforschung nicht nur eine Frage des Niederdrucks in der Kabine, sondern auch des Kostendrucks der Airlines. Außerdem muss alles in Serienfertigung gehen. Die "Star Chefs" - namhafte Köche aus aller Welt, die für Langstreckenflüge in der First- und Business-Class der Lufthansa Gerichte kreieren -, tun dies in Abstimmung mit den Menüdesignern der Fluglinie. Es gibt Vorgaben für Portionsgrößen, Zutaten und die technische Machbarkeit.

Eine Beurre blanc zum Beispiel passt nicht zum Essen auf Flügeln. Selbst für First-Class-Passagiere wird nicht extra eine Buttersoße vor dem Servieren cremig geschlagen. Ethisch fragwürdige Geschmackssachen wie Froschschenkel oder Gänsestopfleber kommen grundsätzlich nicht auf die Speisekarte.

Über die Kosten herrscht Stillschweigen

Die Summen, die das Essen kosten darf, teilt die Lufthansa nicht mit. Vielleicht, weil es sich dabei um weitere äußere Faktoren handeln würde, die die Geschmackswahrnehmung beeinflussen. Expertenschätzungen, die von mehr als 100 Euro pro First-Class-Gast auf Langstreckenflügen ausgehen, von rund 30 bis 40 Euro in der Business-Class und von zehn Euro oder weniger in der Economy, will die Airline nicht kommentieren.

Und was ist jetzt mit dem Tomatensaft? Den finden die Probanden unter Flugbedingungen fruchtig und süß, am Boden jedoch muffig, erdig und sauer. Das heißt: Das zerquetschte Gemüse schmeckt in der Luft besser. Aber das erklärt trotzdem noch nicht ganz, warum der Saft so oft geordert wird. Es bleiben dann doch noch ein paar Rätsel zwischen Himmel und Erde.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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