Erinnerungen an die erste Reise:Die Sehnsucht schlägt Falten

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Alles ist vergänglich: Selbst das Italiengefühl altert mit den Jahren, wie Sibylle Berg rückblickend eingestehen muss.

Warum erinnere ich mich gerade jetzt an meine erste Italienreise? Es ist so ein perfekter Moment, abends, ein Kiosk in Sestri Levante, das Meer rechts, die Pinien (Könige der Bäume) oben, und grüne alte Neonschrift davor. Der Kaffee in dieser kleinen Bude besser als in allen deutschen Gaststätten, die Luft mild und kein Staunen mehr da. Die Schönheit macht nichts mehr mit mir, die Luft nicht und das Meer ist nur mehr Wasser. Die Erinnerung das einzig lebendige, Trauer um die Zeit, in der alles Aufregung war.

(Foto: Foto: Pixelquelle)

Ich war wohl vor 20 Jahren das erste Mal in Italien, mit dem ersten richtigen Freund, der ersten vermeintlichen Liebe, im ersten Westauto. Und das erste teure Hotel meines Lebens, dessen Namen ich nie vergessen werde: ,,Villa Villoresi'' bei Florenz.

In den Suburbs da, ein Kasten, sicher 5000 Jahre alt, der Garten zugewachsen mit Pinien, und wie die duften in der Nacht, und wie die Grillen Geräusche machen, und ich am Fenster und gar nicht wissend, was man mit so einer Nacht anfangen soll. Sie essen, vielleicht?

Ich in einem Hotel mit gedämpftem, gelben Licht, so einem, vor dem ich sonst nur kurz gestanden war, die Buchsbäume anschauend, links und rechts des Einganges, und denkend: Das werde ich wohl nie erleben, so ein Hotel, von innen, und da stand ich dann am Fenster und hatte ein wenig Angst, dass einer klopfen könnte und sagen: Sorry Fräulein, wir haben uns wohl verlaufen, der Campingplatz ist gegenüber.

Wie ein junger Hund komme ich mir vor, wenn ich heute daran denke. Morgens aus dem Bett stürmen und raus, und alles ansehen müssen, unbedingt, sofort, bis man Kopfweh bekommt. Die Italiener, damals dachte ich, die schönsten Menschen der Welt, in den seidig fallenden Trikotagen - redeten, und ich glaubte sie sprächen in danteschen Versen, so klug sahen sie aus, so selbstbewusst, und ich - - - wie das war, als das Leben noch vor mir lag und ich dachte: Jetzt, jetzt geht das alles los.

Mit der Liebe, mit Italien, und dass es sich immer so anfühlen würde, wie ein Rausch dachte ich und nun, nun stehe ich an diesem Kiosk, trinke wunderbaren Kaffee und denke nur: Heute Abend gibt es schon wieder nichts Vernünftiges zu essen. Italienisch halt.

Wie sich das Leben abnutzt, das merkt man ja nur an Freunden und Ländern, die man immer wieder sieht, und die Falten werfen, und die Gags, die hat man schon tausendmal gehört, die Kaffeebuden tausendmal gesehen, und am Meer gestanden und gedacht: Also so schön werd ich wohl nie wieder am Meer stehen.

Und immer wieder kommt man, weil man doch so hofft, dass wenigstens die Gefühle gleich bleiben, wenn schon alles andere altert. Nichts da. Alles wird schwächer.

Gondelte in jungen Jahren durch Venedig: Sybille Berg (Foto: Foto: privat)

Wie die Erregung abnimmt und das Verstehen wächst, aber es hilft ja nichts. Es macht nichts einfacher zu verstehen, nichts angenehmer. Cinque Terre, 15 Jahre später, sind nur noch Touristenmassen, die sich mit Reiseleitern durch die kleinen Orte schieben, sind überfüllte Restaurants mit viersprachigen Speisekarten, ist das Gefühl, ein Portemonnaie auf zwei Beinen zu sein, und das Verstehen, dass sie recht haben, die Italiener. Wenn man schon ihre netten Gassen verstopft, mit weißem Fleisch, dann muss man dafür zahlen.

Irgendwo hier am Meer war ich mal tanzen, in dieser Art, dass man verschwitzt ist und fast tot, wie nach einem Marathon, in schwarzen Sachen, natürlich trug ich nur Schwarz, und früh am Morgen lag ich neben einem umgestülpten Boot - das war wohl mit dem Freund nach dem ersten Freund. Ohne Auto und ohne Geld, und an Venedig erinnere ich mich noch, im Herbst, und leer. Eine Pension für 30 Mark, und kein Geld mehr für gepflegte Speisen.

Ziemlich hungrig liefen wir durch die Stadt, und warum vergisst man das nicht, vergisst dafür die späteren gepflegten Reisen nach Venedig in Ferienwohnungen erwachsener Freunde, Essen in teuren Restaurants, die nie mehr das Gefühl machen werden wie der Hunger auf das Leben damals.

Und wie mir das nicht mehr einfiele, heute, die ganze Nacht durch die Stadt zu laufen, weil der Zug um sechs fuhr und das Geld für eine Übernachtung nicht mehr vorhanden, heute, da ich am Liebsten um zehn zu Bett gehe, und auch daran einige Ansprüche habe.

Und des morgens immer öfter erwache, und der Rücken schmerzt, und es dauert, bis die Gliedmaßen wissen, was zu tun ist. Das Alter ist mir näher als die Jugend.

Hier im Apennin liegt Tiedoli. Vielleicht eine Alternative für mich. Frau Deutsch, eine Journalistin, hatte ein Buch über ein wunderbar klingendes Altenprojekt geschrieben. Junge arbeitslose Leute aus der Region renovieren ein verlassenes Bergdorf, einsame Alte werden dort angesiedelt. Alle haben zu tun, die Region stirbt nicht aus, und Friedenstauben fliegen.

Da ich mich immer mehr dafür interessiere, was man im Alter so macht, wenn man es nicht geschafft hat, reich zu werden, wollte ich diesen Ort unbedingt sehen. Ich stellte mir ein großes Dorf vor, in dem rattenvergnügte Alte mit weißen Taschentüchern aus lebenslustigen Fenstern winken, und arbeitslose Junge mit Rastahaaren semmeln herum und haben Zukunftsaussichten.

Was ist: ein verlassener Weiler, eine Kirche, eine kleine Bar und zwei Häuser mit ein paar Alten darin, mit denen ich aber nicht sprechen darf, wie mir Frau Lagasi von der Gemeinde, die für das Projekt zuständig ist, barsch erklärt. Es gäbe da eine Absprache mit Frau Deutsch, die die Exlusivrechte hätte.

Exklusivrechte an was? An zwei Häusern? Zehn Alten? Die Welt ist so ein dummer Ort, und vermutlich möchte Frau Deutsch nur nicht, dass einer drauf kommt, dass es dieses tolle Altenprojekt gar nicht gibt, mit dessen Beschreibung sie ein ganzes Buch gefüllt hat.

Vielleicht war sie auch nur in Herrn Tommasini verliebt, diesen unglaublich charismatischen Lokalpolitiker, dessen Namen sie auf jeder Seite circa fünfmal nennt?

Wir werden es nie erfahren, und ich denke, dass es so ist, wenn man älter ist. Man ahnt, dass die meisten Geschichten nicht mehr sind als aufgebauschter Mist, und kaum etwas besteht, im Tageslicht. War das früher besser? Als ich noch Illusionen hatte? Mit welchem Mann war das nur?

In Bergamo, dem Schönsten, was man als Ort in den Bergen so werden kann, nachts vor einer bereits geschlossenen Bar, und der Wirt stellte zwei Stühle für uns wieder vom Tisch, und ich saß da, und redete atemlos Schwachsinn, mit Angst, dass ich nicht genügen würde, wenn ich schwiege. Ich genügte letztlich auch nicht. Ein paar Monate später war der Mann weg und Bergamo für immer besetzt mit seinem Schatten.

Nachdem er sich aus meinem Leben verabschiedet hatte, der Bergamo-Mann, war ich nach Capri gefahren, alleine, es war im April nach dem Herbst mit ihm, ich war der erste Tourist auf der Insel, und dachte, wenn ich vor Traurigkeit überhaupt zum denken kam, dass ich vielleicht einmal so reich würde, mir einen dieser Paläste auf der Insel kaufen zu können, auf der alles so perfekt ist, dass es weh tut.

Ich war den Inselrundwanderweg gerannt, jeden Tag, um mich zu bewegen, weil ich sonst nur zusammengekrümmt gesessen hätte, weil ich doch keine Ahnung hatte, dass das Leben weitergeht, dass Erinnerungen dünner werden, dass Liebe, die geht, keine Liebe ist, sondern nur Sehnsucht.

Ich stand auf Capri und schaute Boote an, und dachte bei jedem, da könnte er jetzt sein, und kommen, und mir erklären, dass es ein Irrtum war. Heute weiß ich, dass solche Sachen nur in Filmen stattfinden, in denen Meg Ryan mitspielt, aber unterdes auch nicht mehr, denn sie ist jetzt ebenfalls zu alt, als dass man ihr Naivität glauben würde.

Natürlich wohnt man in Bologna im ,,Grand Hotel Baglioni''. Schaut später nach Taschen und Schuhen, am Abend isst man in der ,,Trattoria Gigina'' und sitzt dann nachts auf seinem antiken Hotelbett, packt kleine Dinge aus großen Tüten aus, knistert mit Seidenpapier und hat Hunger, und weiß nicht worauf.

Wieviel Jahre ist das her? In Bologna in einer hässlichen kleinen Wohnung, zu Besuch bei einem Italiener, schwer verliebt und kein Wort reden können, mit ihm dann ans Meer, Rimini, die Eltern besuchen, und sich verabschieden drei Tage später, wieder heim reisen, weinen und wissen, diesen Mann wird man nie wiedersehen - vielleicht war das schon der Beginn des Endes, dieses Wissen um Unmöglichkeiten.

Das ist es doch, das die Verzauberung nimmt. Allem. Das Wissen, dass ein schönes Gebäude, der Duft von Pinien und Abendwärme nichts an deinem Zustand ändern kann. Es wird schon bald eine Erinnerung sein, dich nicht verändert haben, dein Leben nicht. Ich bin wieder zu Hause. In einem schönen Leben.

Vielleicht werde ich irgendwann im Winter wieder einmal Sehnsucht bekommen, nach Italien, so wie viele. Und wir alle werden wieder fahren, an einen See, ans Meer, in die Toskana, und wir werden hoffen, dass die Zukunft so sein wird wie unsere Erinnerungen, mit Gerüchen und Gefühlen, wir werden uns selber in Reisen nachspielen, doch glaubt mir, wir werden es nie mehr finden, das Gefühl unserer ersten Italienreise.

Von der Autorin erscheint Ende August bei Kiepenheuer&Witsch der Roman ,,Die Fahrt''.

© SZ vom 21.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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