"Harry Potter"-Tour bei London:Zauber der Kulisse

In einem Filmstudio bei London wird Harry-Potter-Fans ein Blick hinter die Kulissen versprochen. Raubt das nicht Illusionen? Ein Besuch.

Von Anna Günther

Mark Williams trägt Schnurrbart, das Hawaiihemd spannt unter dem Cordjackett. So sieht der also in echt aus? Millionen Kinogänger kennen den Schauspieler glatt rasiert und in wehenden Umhängen. Wäre man ihm auf der Straße begegnet, man hätte ohne groß nachzudenken "Hallo, Mister Weasley" gerufen. Jetzt aber steht der 56-Jährige, der in den Harry-Potter-Filmen den Vater von Harrys bestem Freund Ron und dessen rothaarigen Geschwistern spielt, in einer Halle in Leavesden vor einer Dampflok. Was er sagt, klingt wehmütig. "Die Kameradschaft am Set vermisse ich schon, wir überlegen, bald ein Weasley-Familiendinner zu machen."

Auf dem alten Flugplatz in Leavesden, 30 Kilometer von London entfernt, wurden alle Studioaufnahmen der Potter-Filme gedreht. Der letzte kam 2011 in die Kinos, seitdem ist ein Teil des Geländes, auf dem in den Neunzigern schon Szenen von "Star Wars - Episode I" entstanden, für Besucher geöffnet. Neu ist seit diesem Jahr der "Hogwarts Express" - eine 78 Jahre alte rote Lok namens Olton Hall; bei Events wie der Lok-Präsentation schauen dann auch mal Schauspieler vorbei. Besuchern verspricht die Filmgesellschaft Warner Brothers, die 2010 die Studios übernommen hat, einen Blick hinter die Kulissen. Man schwankt zwischen Neugier und Bedenken: Raubt das nicht Illusionen? Fängt ja schon beim Zug an, der im Film zwar angestaubt, aber gemütlich wirkt. In dem es nun aber, wenn man ihn betritt, muffig riecht und bedrückend eng ist.

Dort steht man, bevor die Tour losgeht, leicht genervt

Harry Potter ist für Warner Brothers eine Gelddruckmaschine. Die Filme brachten 7,7 Milliarden US-Dollar ein; die Produktion ist damit kommerziell erfolgreicher als die James-Bond-Reihe oder "Der Herr der Ringe". Die dreistündige Studio-Tour soll Fans anlocken, die mit dem Zauberlehrling aufgewachsen sind und sich den Besuch in der Zauberer-Traumwelt auch leisten können. Karten gibt es nur im Internet, den Kaffee einer amerikanischen Kette zu Dudelmusik schon im Foyer.

Dort steht man, bevor die Tour losgeht, leicht genervt von der straff organisierten Kommerz-Maschinerie und denkt an die erste Begegnung mit Harry Potter. 2000 brachte meine Mutter drei Bücher von Joanne K. Rowling mit. Ich war 13 und dachte: Das ist doch für Kinder. Schließlich las ich schon echte Krimis. Irgendwann blätterte ich doch darin und war gefangen. Mehr als der Junge mit der Stirn-Narbe faszinierte mich die Welt der Zaubererei. Je älter der neunmalkluge Harry wurde und mit ihm die Leserin, desto öfter nervte er. Trotzdem waren jedes Buch und jeder Film Pflicht. Die eigenen Lieblinge aber kommen aus der zweiten Reihe: Bellatrix Lestrange und Luna Lovegood. Bellatrix, die Todesserin, die so beeindruckend bösartig von Helena Bonham Carter gespielt wird. Während Harrys verträumte Mitschülerin Luna als sympathisch-esoterischer Gegenpol in anderen Sphären schwebt. Beide sind abseitig, aber schillernd.

Lisa drängt zum Aufbruch. Die Studentin führt die Gruppe an diesem Tag. Es geht in ein Kino, und was dort passiert, überrascht mich dann doch: Als die Filmmusik erklingt, bekomme ich Gänsehaut.

Und schon wieder vorbei. Die Hauptdarsteller Emma Watson, Rupert Grint und Daniel Radcliffe erzählen im Einspieler vom Erwachsenwerden mit der Crew und der guten Gemeinschaft am Set. Der Rundgang beginnt im Anschluss an den Film - natürlich in der großen Halle. Am Ende des Saals stehen die Lehrer als gesichtslose Puppen. Die Besucher erkennen die Figuren auch so, an ihren Kostümen. Der Steinboden wirkt uralt, die Eichentische hat man eigens mit Äxten bearbeitet.

Durch die Gänge schlendern vor allem Erwachsene zwischen 30 und 40, nur wenige Kinder sind dabei. Die Kinder scheinen sich für all das hier auch gar nicht so zu interessieren wie ihre Eltern. Sie sind es, die Harry Potter schon jahrelang kennen, sie wollen hier bezaubert werden. Das Büro des Schulleiters Albus Dumbledore darf man betreten. Dort fühle ich mich für ein paar Augenblicke wieder wie die staunende 13-Jährige. Der Ort wirkt so vertraut, und endlich kann ich alles in Ruhe anschauen: die Gemälde der früheren Schulleiter, die Bücher, die handbeschriebenen Fläschchen. Mit jedem Schritt durch die Zauberschule stört der Kommerz ein bisschen weniger, dafür wächst die Ehrfurcht vor der Technik und den liebevollen Details, die zur perfekten Illusion beigetragen haben und die nun hier zu sehen sind. In Dumbledores Schreibtisch liegen handgeschriebene Briefe, die Schublade wurde nie geöffnet. Allein um die Riesenspinne Aragog zu bewegen, benötigte man am Set 100 Techniker. Für Außenaufnahmen bauten 86 Handwerker die Zaubereischule Hogwarts samt 2500 Lämpchen und umliegenden Ländereien nach.

Die meisten Besucher drängen sich vor Kabinen, in denen man auf einem Besen fliegen kann - oder zumindest so tut als ob. Das Flugerlebnis im Ventilatoren-Gegenwind ist schnell vorbei: Einmal nach rechts lehnen, links in die Kurve legen, winken, fertig. Die Fotos gibt es am Ende der Tour. Sie kosten natürlich extra. Ein paar Kulissen später verkauft Warner Brothers Butterbier. Es schmeckt nicht wie erwartet warm, butterig und irgendwie herzhaft, sondern wahnsinnig süß: eine Karamell- Limonade mit Eiscreme. Neben den Mülltonnen für die Becher stehen separate für deren Inhalt. Zuckerbier ist offenbar nicht jedermanns Sache.

Endlich sind wir in den Außenkulissen. Vor dem Spießerhaus von Harrys Onkel und Tante fotografieren sich so viele Menschen, die Tour gerät ins Stocken. Weiter geht es im Slalom um andere Besucher, hinein in die Winkelgasse. Ich stolpere wie Harry, Ron und Hermine über die knubbeligen Steine, drücke mir an den Schaufenstern die Nase platt und strande schließlich im Souvenirshop. Die Schlangen vor den Kassen sind noch länger als beim Besen-Fliegen. Es gibt Hogwarts-Uniformen, Socken, Kühlschrankmagnete oder Zauberstäbe für 175 Euro das Stück. Darauf kann ich verzichten. Aber das Foto vor dem Kofferwagen, der am Gleis 9³/₄ durch die magische Wand fährt, das muss sein.

Infos zur Tour: Karten sind nur im Internet buchbar. Erwachsene zahlen ca. 45 Euro, Kinder 35 Euro. Familientickets gibt es ab 138 Euro. Die Studios sind täglich zwischen 10 und 20 Uhr geöffnet. Von den Londoner Bahnhöfen Victoria Station und Watford Junction fahren Shuttlebusse, www.wbstudiotour.co.uk

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