Ende der Reise:Glücklicher Sisyphos

18 000 Höhenmeter innerhalb von 24 Stunden: Das hat ein Amerikaner auf Skiern geschafft und damit einen neuen Weltrekord. Die Frage ist: Warum?

Von Dominik Prantl

Die Berge befinden sich gerade in dieser wunderbaren Übergangsphase, in der sich unten schon der Frühling durchsetzt, während oben noch tiefster Winter herrscht. Das ist traditionell die Zeit der Skitourengeher. Früher war das Skitourengehen eine Sache von wenigen Exoten, die sich Seehundfelle unter die Skier schnallten, um den Berg mit wenigen Gleichgesinnten hochzustapfen. Und zwar in aller Früh mit dem Zwitschern der Vögel, bevor die warme Frühlingssonne die Schneehänge ins Rutschen bringt. Inzwischen unterscheidet sich der Tourengeher in seinem Individualismus nur noch unwesentlich vom Kreuzfahrtouristen in Dubrovnik oder den Kirchenguckern in der Toskana. Heutzutage sind Skitourengeher an manchen Hängen sogar in solchen Massen unterwegs, dass man sich fragen muss, ob Lawinen überhaupt noch genug Platz hätten, um zwischen den Lemmingen abzugehen. Wer kein Lemming sein will, macht einen auf Hase. Denn man geht nicht einfach nur mehr den Berg hinauf. Man rennt.

Ein Amerikaner rannte für den Rekord 60 Mal dieselbe Piste hoch

In den USA hat vor Kurzem beispielsweise ein gewisser Mike Foote einen Rekord im 24-Stunden-Skitourengehen aufgestellt. Foote schaffte dabei 61 200 vertikale Fuß, was etwa 18 650 Höhenmetern entspricht, knapp 300 Höhenmeter mehr als der alte Rekord. Weil kein Berg der Welt und nicht einmal einer in den USA 18 650 Meter hoch ist, hat er sich eine Piste des Whitefish Mountain Resorts in seinem Heimatstaat Montana ausgesucht. Diese Piste ist er rauf- und runtergerannt, insgesamt 60 Mal. Der Tag muss für Foote daher ungefähr so abwechslungsreich gewesen sein wie ein Rekordversuch im Strichmännchenzeichen, aber das scheint ja in der Natur solcher Rekorde zu liegen. Immerhin hat der Mann pro Stunde nach eigenen Angaben 15 000 bis 20 000 Kilokalorien verbrannt. Das entspricht etwa vier bis fünf Kilogramm getrocknete Spaghetti oder 30 bis 40 Kilogramm Äpfel. Angeblich hat Foote danach erst einmal geschlafen.

Nun lässt sich die Frage, was so eine Aktion bringt, natürlich mit Albert Camus beantworten. Der meinte, dass wir uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen müssten. Denn: "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen." Unabhängig davon, ob die Camus-Rhetorik der Vierzigerjahre noch aktuell ist, weiß jeder, dass der Adrenalinschub des Gipfelkampfes schon nach dem Rekordnickerchen danach zu verfliegen beginnt. Viel länger hält das Gefühl, mithilfe des Berges ganz genüsslich vom Winter in den Frühling zu gleiten. Aber vom Wechsel der Jahreszeiten kriegen die Hasen und Lemminge möglicherweise gar nichts mehr mit.

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