Ende der Reise:Die Welt im Rumpf

Wer eine Kreuzfahrt macht, ist deshalb noch lange nicht am Meer interessiert. Wie sonst ließe es sich erklären, dass die Passagiere zum Leidwesen der Hafenstädter ständig Landgänge unternehmen. Ein Plädoyer für weniger Scheu vor dem Wasser.

Von Stefan Fischer

Da machen die Leute Urlaub auf dem Wasser und wären für zwei Wochen eigentlich gut aufgehoben auf einem der inzwischen hunderttausend Kreuzfahrtschiffe. Und dann wollen sie doch alle unentwegt an Land. Zertrampeln heute die Stadtmauer von Dubrovnik und versenken morgen Venedig in der Lagune. Am vergangenen Wochenende etwa haben allein im Hafen von Palma de Mallorca fünf große Kreuzfahrtschiffe geankert und gemeinsam 20 000 Passagiere in die Gassen der Stadt entlassen - ein Rekordwert. Diese Leute könnten ein eigenes Viertel bevölkern. Sie hetzen aber bloß allesamt durch dieselben drei Altstadtstraßen und durch dieselbe Kathedrale. Sie müssen schließlich rasch zurück aufs Schiff, aufs Wasser.

Gewiss, die meisten Menschen brauchen einen Halt, nicht nur im Alltag, auch in den Ferien. Dazu gehört offenbar, vom Wasser aus stets einen Zipfel Land im Blick zu haben. Eine Atlantiküberquerung ist nur etwas für Leute mit gefestigter Psyche. Alle anderen macht der tagelange Blick auf nichts als Wasser wahlweise trübsinnig, nervös oder hysterisch. Aber muss der moderne Kreuzfahrer deshalb wie einst Kreuzzügler oder Wikinger unentwegt in fremde Städte einfallen auf eine Weise, bei der kein Stein auf dem anderen bleibt?

Das bisschen Sightseeing ließe sich doch auch an Bord erledigen. Dafür allerdings müssten die Reedereien andere Prioritäten setzen. Und ihre Schiffe statt mit bordeigenen Brauereien, Planetarien oder Hochseilgärten mit potemkinschen Dörfern ausrüsten - die dem Urlauber das Gefühl geben, er flaniere im zweiten Mitteldeck durch das gotische Viertel von Barcelona und in Kielnähe durch die Ausgrabungsstätte vom Knossos. Einiges ließe sich sicherlich auch als effektvolle Lasershow aufs Meer projizieren. Allen wäre geholfen: den Reedern, weil die Gäste auch noch ihren letzten Euro an Bord ausgeben. Den Gästen, weil sie nicht mehr im realen Marseille verloren gehen können. Und den Landbewohnern, deren Besucher stets hinterm Horizont bleiben.

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