Ein Streifzug durch Italiens nördlichste Weinlandschaft:Südtirols Weinwelt auf dem Prüfstand

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Messen und Vergleichsverkostungen zeigen das hohe Niveau der lokalen Tropfen, eine selbstbewusste Winzerschaft und interessante Trends in der Weinpolitik

Gleich vorweg: Es wird kein Streifzug durch das Weinverzeichnis von 120 Südtiroler Weinvermarktungsbetrieben sein; zu viele Weingüter gäbe es zum Zitieren, der Fairness wegen wird hierauf verzichtet. Denn Südtirols Weine sind - wie ihre Macher - vielseitige Individualisten mit historischer Daseinsberechtigung; das hat Vor- und Nachteile. Die Weine sind nicht gleichgemacht, sondern zeigen echten Charakter. Andererseits können Individualisten - ob konservativ-traditionell, alternativ oder progressiv - schwer zusammengefasst werden, was die bunte Weinerzeugerlandschaft heute beweist: Genossenschaften, Weinhändler und selbstvermarktende Weinbauern teilen sich in sehr unterschiedlichem Verhältnis den Weinmarkt. Lokalpatriotismus und Notwendigkeit haben sie in der "Südtiroler Weinwerbung" vereint. Sie gilt heute als das gewichtigste Instrument in der Vermarktung und Kommunikation des Südtiroler Weins im In- und Ausland. Jedoch - was will kommuniziert werden?

Südtirols Weinqualität kann sich messen lassen. Sie werden jedes Jahr mit überdurchschnittlich vielen Auszeichnungen bedacht (Foto: Foto: TVB Eisacktal)

Südtirol ist das älteste Weinanbaugebiet im deutschsprachigen Raum, zählt innerhalb Italiens und Europas mit 5000 ha aber auch zu den kleinsten. Und es besitzt einen einzigartigen Trumpf in seiner Landschaft mit dem besonderen Klima: Südlich des Alpenhauptkamms gelegen, ist Südtirol vor allem gletschergeprägtes Bergland. Wein wächst auf 200-1000 m ü. d. M., vom Unterland bis ins Vinschgau und im Eisacktal, in Hügel- und in Steillagen und fußt sowohl auf alpinem Urgestein als auch auf Dolomitkalk. Über viele Jahrhunderte gewachsen und vielerorts noch von der traditionellen "Pergel" geprägt, ähnelt Südtirols Weinlandschaft heute einem malerischen Patchwork von vielen, meist nur 1-2 ha großen Weinbergflächen. Im Norden von kalten Winden und nassem Wetter abgeschirmt, öffnen sich diese gen Süden mediterranen Einflüssen. Ideal für Spitzengewächse und für eine weltweit unbekannte Rebsorten-Vielfalt: Neben den bodenständigen Sorten Vernatsch, Lagrein und Gewürztraminer haben von der Burgunder-, der Bordeaux- bis zur Muskatellerfamilie weitere internationalen Gewächse eine Heimat gefunden. Laut Thomas Augschöll von der Südtiroler Weinwerbung sei dieses Rebsortenspektrum ideal, um Südtirol heute imagemäßig als kleines, feines Weinland zu präsentieren, das sowohl den frischen, fruchtigen Weißwein als auch den komplexen, körperreichen Rotwein anbieten kann. Kein leichtes Unterfangen, doch das erklärte Ziel wurde zum Weg.

Für Deutschland - mit 20 Prozent Absatzanteil seit jeher wichtigster Exportmarkt Südtiroler Weine - hieß dies zunächst, alte Vorurteile auszuräumen. Wie beispielsweise Südtirols berüchtigten Ruf als billiges "Massenrotweinland" seit der Vernatsch-Schwemme in den 60/70er Jahren. Bezogen auf Italien galt es, sich mit den Weinen erstmals der nationalen Konkurrenz zu stellen. Strengere Qualitätsbestimmungen und das Umdenken einiger weniger Paradewinzer sowie einzelner Genossenschaften, verbunden mit der Einrichtung eines landeseigenen Forschungsinstituts, hatten seit Anfang der 80er Jahre einen Qualitätsumschwung beim Südtiroler Wein bewirkt, dessen Sog Breitenwirkung zeigte. Heute sind 98 Prozent der Weinberge in die Weinbergrolle, eine Art Grundbuch, eingetragen; damit kann die Herkunft der Trauben jederzeit nachgeprüft werden. Zudem besitzt Südtirol italienweit am meisten DOC-Weine - in der 0,75 l-Flasche abgefüllte Weine mit kontrollierter Ursprungsbezeichnung und gesetzlich festgelegten Traubenmengen. "Eine beachtliche Entwicklung", bestätigt Helmut Zanotti von der Bozner Handelskammer, der Hüterin der lokalen Weingesetzgebung. Die größte künftige Herausforderung wird die ständige Anpassung der Qualitätsbestimmungen an die Bedürfnisse des Marktes sein, wobei das italienische Regelwerk recht starr und der Weinmarkt recht flexibel geworden sind.

Um die Qualitätswein-Revolution seit Mitte der 80er Jahre zu kommunizieren, hat sich Südtirols Weinwirtschaft parallel einer Strategie bedient, deren Erfolg heute erkennbar ist: Es wurde die Auseinandersetzung mit anderen Qualitätsweinen gesucht - der jährliche Vergleich mit nationalen wie internationalen Weinen. Deutschland, erster Parameter für Veränderungen am europäischen Weinmarkt, wurde intensiv bearbeitet: Von Hausmessenverkostungen beim Fachhandel bis zu Weinpräsentationen im exklusiven Rahmen und seit 1999 mit einem erstmals einheitlichen Auftritt auf der Fachmesse ProWein im März in Düsseldorf. Was süddeutsche Konsumenten bei ihrem Urlaub in Südtirol erkannt und goutiert hatten, wurde von da an gemeinsam mit gastronomischen Botschaften rund um den Wein für den norddeutschen Raum inszeniert. Südtirols Image wurde dabei erfolgreich poliert, wie das stark gestiegene Weininteresse belegt.

60 Prozent der Südtiroler Weine werden im Inland getrunken, ein Drittel davon außerhalb Südtirols. Der nationale Markt gibt sich jährlich im April auf der Vinitaly, der wichtigsten Weinmesse Italiens, ein Stelldichein. Die beliebte Publikums- und einflussreiche Handelsmesse gilt als wichtigstes "Schaufenster der italienischen Weinwelt", auch wenn ihr Renommee von Chaos und italienischer Nonchalance geprägt ist. Dieser kontinuierliche Messeauftritt der Südtiroler Weinwelt seit 1988 hat den nationalen Vergleich gebracht und sich durch die Macht der Weinführer seit Mitte der 90er Jahre bezahlt gemacht. Letztere haben Südtirols Weine beim internationalen Weinliebhaber, vor allem jedoch in Italien selbst bekannt gemacht.

Erzeugt werden in Südtirol, nach Jahrgang schwankend, etwa 350.000 hl Wein. 60 Prozent davon sind Rotweine, 40 Prozent Weißweine, die Ansehen in Weinkreisen gebracht haben. Heute ist Südtirol Italiens Weißweingebiet Nummer eins und hat das Friaul mit einem besseren Preis-Leistungsverhältnis überholt. Ein ähnliches Schicksal könnte jetzt Südtirols Weinen bevorstehen: sie werden teuer. Arnold Terzer, Obmann der Südtiroler Kellereigenossenschaften, welche 70 Prozent des Weinkuchens besitzen, hält eine Preiskurskorrektur für notwendig, sieht jedoch Südtirols Schwäche vor allem im Fehlen einer einheitlichen Vertriebspolitik. Auch die seit einigen Jahren praktizierte qualitative Aufsplitterung der Weinpalette in verschiedene Weinlinien und damit Preissegmente wird bis heute nicht ideal kommuniziert. Dass in Südtirol Genossenschaften vorherrschen, die zudem ein sehr positives Image genießen, ist ein Kuriosum. Dies hängt mit Südtirols Weinbaugeschichte zusammen und mit der erklärten sozialen Verpflichtung, die man den kleinen Weinbauern gegenüber lebt. Die privaten Weingüter und Weinkellereien halten 26 Prozent des Weinmarktes, haben auf ihren Höfen und bei ihren Traubenlieferanten das Sagen und beanspruchen eine Vorreiterrolle in der Südtiroler Qualitätspolitik. Martin Foradori, Präsident des Südtiroler Weinverbandes, sieht in der Pflege einer "multivarietalen" Rebsortenlandschaft durchaus Südtirols Profilierungschance. Eine langfristige Qualitätssicherung bedingt jedoch eine strengere Auswahl der Rebsortenanlagen, was einer natürlichen Sortenreduzierung gleichkommen würde. Südtirols vielseitige Weinlandschaft lässt sich durch das jüngste und mit 4 % Marktanteil auch kleinste Kind der Südtiroler Weinwirtschaft belegen. Über 60, zumeist sehr kleine Weinbaubetriebe haben sich 1999 als Freie Weinbauern zusammengeschlossen. Laut ihrem Präsidenten Franz Graf Pfeil haben dabei viele den mutigen Schritt vom einfachen Traubenlieferanten zum selbstständigen Weinbauern gewagt, der sich nun selbst mit Enthusiasmus vermarktet.

Der lokale Markt ist der wichtigste Absatzmarkt für Südtiroler Wein. Sein Potential lässt sich auf den vielen Weinveranstaltungen für den Touristen zwar erahnen, doch nur auf den gezielt veranstalteten Plattformen erkennen. Die Bozner Weinkost ist seit über 80 Jahren im Mai jährlicher Treffpunkt für eine Vergleichsverkostung des neuen Südtiroler Jahrgangs. Sie belegt den jüngsten Trend zum Weißburgunder mit frisch-fruchtiger Stilistik als zukünftiges Zugpferd unter den Weißweinen. Und sie zeigt auch eine Rückbesinnung auf die einheimischen Rebsortenweine: auf den fruchtig-leichten Vernatsch mit dem neuen Selbstbewusstsein, den kraftvollen Lagrein und auf den aromatischen Gewürztraminer. Seine Vielfalt und Größe wird seit 1999 alljährlich im Juli in seiner Heimat Tramin auf dem Internationalen Gewürztraminer-Symposium gastronomisch zelebriert. Auch beim Südtiroler Blauburgunder sucht man seit 1999 auf den Blauburgundertagen in Neumarkt den alljährlichen Vergleich mit Pinot Nero und Pinot Noir.

Als Höhepunkt auf dem lokalen, vielleicht auch nationalem Weinparkett hat sich das Internationale Weinfestival im November in Meran etabliert. Aus einer Spielerei von Weinliebhabern im Jahr 1992 ist eine renommierte Nischenveranstaltung entstanden. Helmuth Köcher, Initiator und Präsident der Gourmet's International, vergleicht diese mit einem Weinführer, der nach strengen Vorselektionen nur die besten Weine ins Finale schickt und diese dann dem Weinliebhaber zum subjektiven Vergleich reicht. Was ein Verkostungserlebnis vor Ort bestens belegt, ist Südtirols Stärke und Schwäche zugleich - eine Rebsortenvielfalt mit interessanten Spezialitäten, getragen von vielen unterschiedlichen Köpfen.

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