Eifel:Maar macht mobil

Auf dem Eifelsteig um Gerolstein entdecken Wanderer die Einsamkeit und unverbaute Schönheit einer urzeitlich anmutenden Natur.

Ein Bettler klopfte einst an das Schlosstor und bat in all seiner Schäbigkeit um ein Almosen, ein Stück Brot nur, einen Schluck Wasser. Doch hart war das Herz der Herrin auf Schloss Weinfeld. Sie wies den Bettler von ihrer Schwelle und schickte ihn fort in die Wälder. Lieber sollte er verhungern, als dass sie ihm auch nur eine Krume gegönnt hätte. Ihr Gemahl, der Graf Weinfeld, wusste nichts von alledem, doch als er heimkam von der Jagd, fand er sein Schloss nicht mehr. Untergegangen war es mit Mann und Maus und hartherziger Gattin, ersoffen alles in einem See, der sich plötzlich gebildet hatte, und mitten auf dem See schaukelte, ungerührt von diesem unbegreiflichen Schicksalsschlag, des Grafen Söhnchen, schlafend in seiner Wiege.

Das Totenmaar liegt im Sommerlicht so still und starr da, wie es der Name verspricht und die Legende verlangt. Die sattgrünen Bäume spiegeln sich darin, und vielleicht ruhen drunten tausend Tote. Statt einer Wiege ist es ein einsamer Schwimmer, der im Wasser schaukelt. Er hat es jedoch ziemlich eilig, das gegenüberliegende Ufer zu erreichen, wo er gleich steifgefroren anschlagen wird. Kalt ist des Todes Hand, und kalt auch das Maar.

Die Legende vom Untergang von Schloss Weinfeld ist leider zu schön, um wahr zu sein. Der Vulkanologe erzählt sie zwar gern, aber nur mit dem Lächeln des Wissenschaftlers, der beweisen kann, dass es sich bei dem kreisrunden See bei Schalkenmehren um den auffälligsten Beleg dafür handelt, dass dieser Teil der Eifel hochaktives Vulkangebiet ist. Was sind schon 10000, 50000, was 100000 Jahre in der Geologie? Erdgeschichtlich betrachtet hat es hier noch vor einem halben Wimpernschlag ganz fürchterlich rumort. Die Vulkaneifel im Gebiet um die Stadt Gerolstein bietet - Sizilien und Island sind fern - die jüngste Lavaaktivität in Mitteleuropa. Vor erst 11000 Jahren trat zum letzten Mal Lava aus. Mit weiteren Eruptionen ist jederzeit zu rechnen, wiederum mit dem Auge der Erdgeschichte betrachtet.

Die Vulkane ernährten die Eifeler noch in jüngerer Zeit: Wie ihre neusteinzeitlichen Vorfahren retteten sie sich winters in die ausgeschürften Höhlen und meißelten dort bei halbwegs erträglichen Temperaturen, aber in einer garantiert rheumafördernden Luftfeuchtigkeit in hingebungsvoller Heimarbeit nichts Kunstgewerbliches, sondern riesige, manchmal mehr als zwei Meter messende kreisrunde Scheiben, die, wenn die tonnenschweren Trümmer beim Ablösen aus der Felswand nicht gleich zerbrachen, als Mühlsteine in alle Welt verschickt wurden. Heute ist es durch Basalt geläutertes Bier und Tafelwasser, das in die Welt jenseits der ginsterbestandenen Vulkanhügel hinausgeht.

Angeblich hieß die Eifel im Kaiserreich Preußisch-Sibirien, und den Serenissimus Wilhelm II. dauerten die Menschen, die in seinem Jagdgebiet tatsächlich leben müssten. Zu krumm und unruhig waren die Felder, zu klein für eine ordentliche Wirtschaft, zu weit von allen Handelswegen und deshalb gern Rückzugsgebiet von allerlei Gelichter. Bei entsprechender Einstimmung könnten jederzeit Unholde sonder Zahl aus dem Ginstergesträuch hervorkommen und die allgegenwärtigen Eifel-Krimis um eine weitere Bluttat bereichern.

Die Armut von einst ist heute ein Segen für den noch angenehm bescheiden entwickelten Tourismus. Die Landflucht hat dies Land vor der Zersiedelung bewahrt. Die Natur muss nicht renaturiert werden, sie ist, kärglich manchmal und oft erstaunlich üppig, einfach da und deshalb ohne weiteres in einen "European Geopark" umzuwandeln.

Vor 45 Millionen Jahren herrschte tropisches Klima hier, ein Meer lief in zweifellos himmelblauen Buchten aus. Geblieben davon sind Schmuckstücke, mit denen das Manderscheider Maarmuseum prunkt, etwa die älteste Honigbiene, die älteste Laus der Welt, ein trächtiges Urpferd, versteinert natürlich und sorgsam vitriniert. Geblieben sind aber vor allem die Maare. Diese Maare sehen aus wie Kraterseen, sind jedoch durch den Kontakt heißer Magma mit Gesteinsschichten entstanden, die kaltes Wasser führen. Dabei entstand eine kreisrunde Aufschüttung, in deren Becken sich Regenwasser sammelte. Über Tote, die sich auf dem Grund stauen, gar böse Schlossherrinnen, ist offiziell nichts bekannt, aber wer weiß?

Heute würde jedem Wanderer aufgetan, aber schließlich hat sich auch hier herumgesprochen, dass Radfahrer und Zufußgeher keine Bettelleut sind, sondern freiwillig und auch nur vorübergehend auf ihr Auto verzichten. Wer nachts oder doch besser schon am frühen Nachmittag anklopft, dem wird bereitwillig die Tür geöffnet, der wird in den Hotels reich versorgt mit dem üblichen Wellness-Programm für den ausgelaugten Großstädter und der nahrhaften Eifeler Küche, die das kleine Einmaleins des Kalorienzählens zum Glück nie gelernt hat.

Wandern galt noch bis vor kurzem als reaktionär, ein Hobby der rotweißkarierten, den vollplakettierten Wanderstab weit ausschwingenden rüstigen Rentner. Wie zur Erinnerung an dieses paramilitärische Ausschwärmen im Gelände heißt der Pfad, der vom Schalkenmehrener Maar auf die Verbindung zum Totenmaar hinaufführt, nach dem ehemaligen Bundespräsidenten Karl Carstens.

Aus dieser alten Schule ist längst eine Mode geworden, nicht zuletzt durch das fußgängerische Philosophieren Manuel Andracks und des pilgersamen Hape Kerkeling. Wandern in der Eifel, am Rheinsteig oder auch weiter drunten im Hunsrück bedeutet kinderfreien Urlaub für eine Generation, für die der Schulunterricht mit Kontinentalverschiebung und Erdbebenregionen weit genug zurück liegt, dass sie sich wieder interessiert für den Unterschied zwischen Granit und Basalt und es auch zu schätzen weiß, wenn sie fachkundig von einem Vulkanologen durchs Gelände geführt wird, der nicht bloß die Entstehung der Maare erklären kann, sondern sie in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang stellt. Schließlich war der Vulkanforscher Johann Steininger, der den Eifeler Begriff "Maar" in die Weltliteratur einführte, in Trier der Lehrer des Feuerkopfs Karl Marx.

Den stillen Höhepunkt der Eifelwanderung bietet der Lieserpfad. Er zieht sich keineswegs schnurgerade in nordsüdlicher Richtung von Daun nach Wittlich, 40 Kilometer insgesamt, für den durchschnittlich ungeübten Anfangswanderer in der Sommerhitze also zwei stramme Tagesetappen. In einem halben Niemandsland zwischen fernhinzielenden Autobahnen und auch nicht weit vom betriebsamen Charterflughafen Hahn, den Ryanair noch immer als Destination "Frankfurt" ausgibt, herrscht hier eine übernatürliche, also natürliche Ruhe. Die Lieser führt, jedenfalls in der Neuzeit, zu wenig Wasser, als dass sie je schiff- oder sonst irgendwie nutzbar gewesen wäre, sie schlängelt sich durch ihr Tal, gleich wie es ihr gefällt. Von keinerlei Kunstdünger gefördert, blüht hier, was die Botanik nur hergibt. Es sieht aus wie in einem nur mit den Grundfarben illustrierten Kinderbuch, in dem Hänschen klein mit Stock und Hut ganz wohlgemut in die Welt hinauszieht. Der Bach murmelt vor sich hin, als könnte er einen wanderlustigen Taugenichts begrüßen. Libellen kopulieren schamlos in aller Öffentlichkeit, die Vögel werden erst in der Mittagshitze ihres vielstimmigen Gebirres müde. Hier lärmt keine einzige Maschine, kein Auto; nicht einmal Fahrräder sind auf diesem Weg zugelassen. Zu hören ist nur das Knirschen des teilweise basaltigen Kieselbruchs unter den Füßen. Kein Haus verunziert diese wiedergefundene Natur.

Wenn sich der Wanderer nicht führen lässt, kann er auch ganz allein gehen und begegnet über Stunden keiner Menschenseele. Sogar die Tapfersten der Tapferen, die bereits erwähnten rüstigen Rentner, bleiben zurück, und das regelmäßige metallische Aufstoßen der Nordic-Walking-Stecken verklingt. Obwohl Manuel Andrack den Lieserpfad zum "schönsten Wanderweg der Welt" erklärt hat, wissen die wenigsten davon oder sparen ihn sich für später auf. Als hier noch das dackelgroße Urpferd hauste, kann es kaum einsamer gewesen sein.

Die Ruhe wird allerdings jäh unterbrochen, wenn unvermutet ein Düsenjägergeschwader drüber braust - auch Ramstein ist nur wenige Flugminuten entfernt. Doch kaum ist der urknallartige Krach verklungen, kehrt wieder diese Totenmaar-Stille ein und es ist aufs Neue eine Welt vor aller Zeit. WILLI WINKLER

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