Durch den Süden Äthiopiens:Im Land der Tellerlippen

Die ausgefallenen Frisuren, Körperbemalung und Schmuck der äthiopischen Völker haben oft magische Bedeutung. Eine exklusive Audioslideshow zeigt außergewöhnliche Menschen.

Ulrike Berndt, Miriam Köp (Text) und Rudi Auer (Fotos)

Eine eigenartige Stimmung erfasst uns. Heute sollen wir unseren ersten Reisehöhepunkt erreichen, nachdem es tagelang von Addis Abeba aus Richtung des Omo-Fluss ging.

Äthiopien

Wir sitzen in unseren Jeeps und fahren über eine Hochebene. Ab und an sind Schirmakazien zu sehen. Ansonsten Buschland, soweit das Auge reicht. Die Nacht haben wir im Mago-Nationalpark verbracht - und sind jetzt auf dem Weg zum Volk der Mursi. Sie sind die erste von vielen Ethnien, denen wir auf unserer Reise durch das Omo-Tal im Süden Äthiopiens begegnen sollen.

Bekannt ist der Stamm der Mursi vor allem für die großen Tonscheiben, die sich viele Frauen in ihre Unterlippe einsetzen; sie verleihen ihnen ein - für unsere Augen - bizarres Aussehen. Die Mursi zeichnen sich, wie die anderen Völker, die in dieser Region auf engstem Raum zusammenleben, durch besonders phantasievollen und vielfältigen Körperschmuck aus. Er ist in Afrika nur noch selten anzutreffen. Schmucknarben, Körperbemalung, ausgefallene Frisuren und Kopfschmuck haben zum Teil magische Bedeutung oder dienen dazu, sich von anderen Stämmen zu unterscheiden.

Bei unserer Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Volk sehen wir uns aufgebrachten, fast schon aggressiv scheinenden Mursi-Frauen gegenüber,. Sie drängen unentwegt darauf, sie zu fotografieren, für zwei Birr pro Foto, das sind 15 Cent. Oder sie wollen, dass wir Armreifen oder Lippenteller abkaufen. Schnell weicht der Neugier Unbehagen. So versuchen wir, das Dorf in angemessener Distanz zu erkunden. Den männlichen Gruppenteilnehmern gelingt das einigermaßen, wir Frauen hingegen sind von Frauen und jungen Mädchen umringt.

Und dann zücken wir doch immer und immer wieder unsere Kameras - auch wenn wir eben nicht wie Fotojäger erscheinen wollten. Zu faszinierend sind die Mursi. Viele Ethnologen, Menschenrechtsorganisationen und Abenteurer haben schon versucht, sie zu erforschen, zu schützen oder ihnen einfach nur zu begegnen.

Unsere nächste Station führt uns zu den Karo, einem kleinen Volk, das noch weitgehend unberührt von der Moderne lebt. Berühmt sind sie vor allem für ihre besonders kunstvolle Körperbemalung.

Als wir am späten Nachmittag das Dorf erreichen, liegt darüber eine friedliche Stimmung. Viele der Männer und Frauen sind noch bei der Feldarbeit; nur vereinzelt treffen wir Frauen und Alte vor ihren Hütten. Kinder zeigen uns ihr Dorf. Eines erzählt uns, dass die Karo abends auf dem Dorfplatz direkt vor der Schule einem alten Brauch folgend tanzen.

Im Land der Tellerlippen

Nach einigen Verhandlungen mit dem Dorfältesten sitzen wir dann abends mit stillenden Müttern, den Alten und den Kindern, die den rhythmischen Bewegungen noch nicht folgen können, in einem Kreis. Wir umschließen 80 Tänzer - überwiegend junge Männer und Frauen, die eine Art Balztanz vollführen.

Die Männer haben sorgfältig aus Tonerde ihre Frisuren zu Helmen modelliert. Die Frauen tragen ihre typische Haartracht: Haare werden mit Butter und rotem Ton zu kleinen Kügelchen geformt. Viele haben Gesicht und Körper mit weißer Farbe bemalt. Ein Feuer beleuchtet die Szenerie.

Während unserer Weiterfahrt durch endloses Buschland, in dem Termitenhügel wie riesige Schornsteine aufragen, treffen wir oft auf Hirten mit ihren Herden. Kindern sitzen in kleinen Gruppen zusammen mit ihren Müttern im Schatten der Bäume. Sie springen aus dem Busch, winken, lachen und rufen "Highland", "Highland". Die 1,5 Liter großen Plastikflaschen der Marke Highland sind wertvolle Gebrauchsgegenstände hier im Süden Äthiopiens, nutzbar als Trinkflaschen oder als Aufbewahrungsbehälter. Vor allem aber werden sie auf dem nächsten Markt für zwei, drei Birr weiterverkauft.

Nach mehrstündiger Fahrt kommen wir nach Turmi, der Hauptstadt der Region Hamar, die aus nicht viel mehr als aus zwei staubigen Straßen besteht. Während eines kurzen Stopps werden wir sogleich von einer älteren Hamar-Frau begrüßt. Sie betrachtet uns neugierig und redet dann ohne Pause auf uns ein. Ihre Mimik verrät weder Zustimmung noch Ablehnung. Sie trägt einen eisernen Halsreifen, der mit einem Phallussymbol versehen; er verrät, dass sie die Erstfrau ihres Mannes ist. Ihre halblangen Haare sind mit Butter und Tonerde zu vielen feinen Strähnen geformt und verströmen den charakteristischen Geruch der Hamar-Frauen.

Nach der Ankunft im Camp besuchen wir sogleich die umliegenden Dörfer. Unterwegs treffen wir auf eine junge Hamar-Frau, die einen Wasserkanister, eingewickelt in ihren Ziegenfell-Rucksack, mit sich herum schleppt. Ich helfe ihr beim Tragen. Als Dank dürfen wir bei der Ankunft in ihrem Dorf in ihrer Hütte Platz nehmen, auf den Ziegenfellen, die als Schlafstätte dienen. Sie serviert Kaffee, der eher nach Kräutertee schmeckt. In der Zwischenzeit hat sich in dem umliegenden Hütten herumgesprochen, dass wir da sind. Immer mehr Nachbarinnen mit ihren Kindern gesellen sich zu uns. Wir kichern und sagen uns gegenseitig unsere Namen.

Später kehren auch die männlichen Dorfbewohner mit ihren Herden zurück - hochgewachsene, schlanke Gestalten mit raffinierten Lehmfrisuren und der unvermeidlichen hölzernen Kopfstütze in der Hand, die unterwegs als Hocker oder Kopfkissen dient.

Während unserer dreiwöchigen Reise besuchen wir noch weitere Ethnien: die Konso, die Nyangatom und die Arbore. Die Menschen im Süden Äthiopiens leben weit weg von der Hauptstadt Addis Adeba, weit weg von den touristischen Plätzen Afrikas. Nur kleine Veranstalter organsieren hier Rundreisen. Jede Ethnie ist unterschiedlich. Es sind die Menschen, die Begegnungen mit ihnen, die diese Reise so unverwechselbar machen.

Als wir bei dem Volk der Karo sind, werden wir zum Tanzen aufgefordert - und springen und klatschen gemeinsam unter dem Sternenhimmel. Unter uns fließt träge der Omo, die "blaue Gefahr", in dem Hunderte von Krokodilen lauern.

Wir sind uns einig: Dieser Moment ist besser als fliegen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: