Dubai:Im Übermorgenland

Wo Gigantomanie kein Schimpfwort ist, sondern Gestaltungsprinzip: In Dubai kann man zuschauen, wie schnell Utopien in den Himmel wachsen.

Titus Arnu

Vor den Emirates Towers, einem silbern glitzernden Wolkenkratzer-Zwillingspaar, hält mit quietschenden Reifen ein weißer Porsche 911 Turbo. Es öffnet sich mit leisem Summen eine Flügeltür, heraus steigt ein Mann, der eine verspiegelte Sonnenbrille trägt und in eine Dishdasha gehüllt ist, das lange weiße Gewand der Scheichs.

Das Auto erinnert an einen Jedi-Abfangjäger aus "Star Wars". Und die Lobby des 300 Meter hohen Hotelturms, in die der Porschefahrer eilt, wirkt wie der Empfangsbereich eines intergalaktischen Flughafens.

In der gläsernen Eingangshalle wuseln Wesen aus allen Teilen des bekannten Universums herum, man hört Satzfetzen auf Arabisch, Chinesisch, Englisch, Hindi, Japanisch, Deutsch. Manager lümmeln in der Oxygen Lounge auf schwarzen Massagesesseln herum und nuckeln an Sauerstoffschläuchen. Im Floating-Raum nebenan dümpelt ein Gast 20 Minuten in einem Solebad - das soll angeblich so gut sein wie acht Stunden Schlaf.

Willkommen in der Zukunft! In einer Stadt, die so schnell wächst, dass sie ihrer Zeit um Jahre voraus ist.

Dubai entwickelt sich rasanter als Shanghai. Jeder sechste Kran der Welt ist in dem kleinen Wüstenstaat im Einsatz. Das Leben spielt sich hier vorrangig im Futur ab - Dubai ist ein Übermorgenland.

Einer der wundersamen Leitsprüche von Scheich Mohammed Bin Rashid Al Maktoum, dem Herrscher von Dubai, lautet: "Das größte und unvergesslichste Ereignis ist jenes, das noch nicht eingetreten ist."

Alles dreht sich um zukünftige Projekte, die Dubai größer, moderner und glamouröser machen sollen als jede andere Stadt auf diesem Planeten. Deshalb schaltet jeder den Turbo ein, um mit dem Tempo einigermaßen mithalten zu können.

Sonny, ein 32-jähriger Nigerianer, drückt aufs Gaspedal. Der Mercedes S 500 beschleunigt auf 140 Stundenkilometer. Die Limousine rast auf der zehnspurigen Sheikh Zayed Road, der Hauptstraße der Wüstenstadt, zwischen Bussen voller Bauarbeiter in Richtung Westen.

An der Brücke über den Creek, einen türkis schimmernden Meeresarm, stauen sich die Autos - wieder mal eine Baustelle. Weil es auf der bisherigen Brücke in der Rushhour manchmal eng wird, wird jetzt eine neue daneben gebaut, sie hat 14 Fahrspuren.

Von den 2,5 Millionen Einwohnern Dubais sind drei Viertel Ausländer wie Sonny. Die meisten arbeiten für ein paar hundert Euro im Monat und haben kaum Rechte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat mehrfach gegen die Behandlung der Gastarbeiter in den Vereinigten Arabischen Emiraten protestiert. Die Arbeitsbedingungen seien katastrophal, die Hitze fordere viele Todesopfer. 2006 seien im Emirat Dubai 971 Gastarbeiter aus Indien gestorben.

Trotzdem: Jeden Monat kommen 10 000 Menschen, die genug haben von der Stagnation in ihren Ländern, genug von Arbeitslosigkeit, Steuern, Gesetzen und Gewerkschaften. In Dubai gibt es all das nicht, in Dubai gibt es nur Turbokapitalismus.

Im Übermorgenland

Nach dem Disneyland-Prinzip entsteht eine Kunstwelt aus asiatischen, europäischen und arabischen Elementen. In der Wüste werden Golfplätze angelegt, Skihallen rund um die Uhr beschneit und Whirlpools für Kamele gebaut. Koste es, was es wolle. Umweltschutz und Wasserverbrauch spielen kaum eine Rolle.

Gigantomanie ist hier kein Schimpfwort, sondern ein Gestaltungsprinzip. Die Familie Al-Maktoum, die das kleine Land regiert, hat beschlossen, die Welthauptstadt des 21. Jahrhunderts zu bauen. "Ich will die Nummer eins in der Welt sein", wird Scheich Mohammed al-Maktoum zitiert.

Dieses Weltrekord-Konzept verfolgen die Maktoums konsequent. Gebaut wird am größten Flughafen der Welt, am größten Hotel der Welt, am größten Einkaufszentrum der Welt und am größten Vergnügungspark der Welt, "Dubai World". Dort stehen Nachbildungen der Pyramiden, des Eiffelturms und des Taj Mahal. Die Modelle sind nicht so groß wie die echten Gebäude - sie sind größer.

An den Bauzäunen hängen Porträts von Scheich Zayed, dem Staatsgründer der Vereinigten Arabischen Emirate. Einheimische sehen in ihm fast einen Heiligen, denn er hat die Wüste in eine glitzernde Metropole verwandelt.

Vom Wüstennest zum Luxusziel

Auf Fotos aus den sechziger Jahren ist die Sheikh Zayed Road als Sandpiste zu sehen, an der eine Handvoll Häuser stehen. Innerhalb von 40 Jahren ist aus dem Wüstennest ein Luxus-Shopping-Urlaubsziel geworden. Am Anfang war es das Öl, das die Entwicklung der kleinen Emirate am Persischen Golf beschleunigte.

Doch Dubais Ölquellen könnten schon in fünfzehn Jahren versiegen - bis dahin soll das kleine Land zu einem führenden Zentrum für Handel, Finanzen und Freizeit werden, zu einem Magneten für das Geld dieser Erde.

Das scheint zu funktionieren, denn nach den Anschlägen des 11. September 2001 zogen arabische Investoren geschätzte 70 Milliarden Euro aus dem Westen ab und parkten sie in Dubai. Reiche Iraner retten ihr Vermögen in das sichere Dubai, Russen waschen Schwarzgeld mit Immobilien, europäische, asiatische und amerikanische Firmen investieren in Großprojekte.

Wirtschaftsexperten stellen Dubais Wachstum allerdings in bereits in Frage. "Langfristig könnte das Emirat buchstäblich auf dem Trockenen sitzen", warnt das unabhängige Gulf Research Center. In Dubai stammen schätzungsweise 70 Prozent der Investitionen aus Staaten der Golfregion und Russland, deren Wohlstand sich vor allem aus Öleinnahmen speist - und das Öl ist irgendwann einmal zu Ende.

Derzeit gilt noch: Dubai sein ist alles. Firmen wie BMW, Siemens und Hochtief unterhalten repräsentative Büros in Downtown. Reiseveranstalter wie die Kölner Firma EWTC organisieren für deutsche Firmen oft komplette Meetings, Tagungen und Kongresse in Dubai - inklusive "Incentive-Events" wie einer Übernachtung im Beduinenzelt.

Michael Janusch, Geschäftsführer von EWTC, erklärt den Run der deutschen Firmen auf Dubai nicht nur mit den phantastisch klingenden Gewinnaussichten - er nennt als wichtige Faktoren auch "ganzjährige Sonnenscheingarantie, größtmögliche Sicherheit und hohen Freizeitwert". Und den "Wow-Faktor", all die Rekord-Bauwerke in den Himmel wachsen zu sehen.

Im Übermorgenland

In der Zeit, in der man in Deutschland auf die Baugenehmigung für einen Carport wartet, werden in Dubai ganze Stadtviertel hochgezogen. "Wenn ich in Deutschland an der Autobahn ein Schild sehe, auf denen sich eine Behörde für die Unannehmlichkeiten entschuldigt, die sich während der Sanierungsarbeiten für die nächsten zwölf Jahre ergeben, muss ich staunen", sagt Ulrike Baumann, die seit fünf Jahren in Dubai lebt und dort für Jumeirah arbeitet, den führenden Hotelkonzern des Landes. Wenn sie in Deutschland ist, fällt ihr neben dem miesen Wetter vor allem eines auf: dass alles so entsetzlich langsam geht.

Cocktails mit Goldflocken

Zur Jumeirah-Gruppe gehört das Burj al Arab, das als luxuriösestes Hotel der Welt gilt. Eine Suite gibt es in dem weißen, segelförmigen Haus, das auf einer künstlichen Insel steht, ab 1500 Euro die Nacht. Der Flughafen-Transfer im Helikopter kostet um die 2000 Euro, dafür landet man dann auch in 220 Metern Höhe und kann sofort in der Skyview Bar einen Cocktail trinken, der mit Goldflocken bestäubt ist.

Geschmacklich ist das Interieur auf superreiche Asiaten und Araber ausgerichtet - 8000 Quadratmeter Blattgold an den Wänden, tiefblaue Teppiche, viel Pink und Türkis. Etwas dezenter geht es da im benachbarten Hotel Mina A'Salam zu, das im Stil einer Scheich-Sommerresidenz gebaut ist.

Durch die Eingangshalle des Mina A'Salam ("Hafen des Friedens") weht eine warme Brise vom Persischen Golf her, es duftet nach Rosen und Sandelholz. Die Anlage ist durchzogen von künstlich angelegten Wasserläufen, auf denen Wassertaxis Touristen hin- und herschippern. In den Cafés rauchen Männer Wasserpfeife, und die Hotelangestellten tragen traditionelle arabische Gewänder, auch wenn sie größtenteils aus Osteuropa und Asien stammen. Zur Hotellandschaft gehört auch ein Einkaufs- und Vergnügungszentrum im arabischen Stil, eine Kopie eines traditionellen Souk.

Shopping ist der Antrieb Dubais - ein Motor, der immer mit Vollgas läuft. Ständig eröffnen neue Einkaufszentren, eines spektakulärer als das andere.

Die Ibn Battuta Mall ist architektonisch und thematisch nach Ländern aufgeteilt - die Konsumtouristen schlendern von China nach Indien und weiter nach Ägypten. Die Mall of the Emirates beeindruckt allein durch ihre Ausmaße - im größten Shoppingcenter außerhalb Nordamerikas findet man fast alles, was für Geld zu haben ist.

Manche Besucher kaufen im Vorbeigehen, nachdem sie in Klein-Florenz bei Gucci und Prada waren, gleich ein neues Apartment. An jeder Ecke werben Immobilienhändler für ihre Luxusprojekte. Die Leute kaufen Häuser wie anderswo Autos. Der Immobilienteil der Zeitung Gulf News umfasst 200 Seiten.

Chancen auf den Ski-Pokal

Zur Mall of the Emirates gehört auch die größte Skihalle der Welt. An Samstagen stehen die Einheimischen dort Schlange, um für umgerechnet 30 Euro einmal zu spüren, wie sich Schnee anfühlt. Der Sessellift fährt sehr langsam, bis zum Mini-Gipfel braucht man vier Minuten. Auf der 400 Meter langen Skipiste geht es gemütlich zu. Die meisten hier stehen zum ersten Mal auf Skiern. Besucher aus Österreich oder Deutschland haben gute Chancen, bei der "Slalom Night" am Samstagabend einen Pokal zu gewinnen. Wenigstens in einer Sache sind die Europäer mal schneller.

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