Kreuzfahrt-Vorlieben der Deutschen:Heimaturlaub an Bord

Dem Costa-Unglück zum Trotz: Die Deutschen lassen sich ihre Kreuzfahrtlaune nicht so schnell verderben. Fremde Kulturen wollen sie auf dem Seeweg entdecken - doch an Bord bleiben die meisten am liebsten unter sich.

Monika Maier-Albang

Hätten Schiffe ein Gedächtnis, könnte dieses mit seinen Erinnerungen ein Buch füllen. Von Piraten verfolgt im Indischen Ozean, als es noch Spirit of Adventure hieß, zuvor in Besitz von Russen, die es, warum auch immer, Orange Melodie tauften. Später weitergereicht an die Briten. Dazwischen, von 1986 bis 1998, war es den deutschen Fernsehzuschauern als Traumschiff ans Herz gewachsen. Und nun? Kehrt das Schiff unter dem vergleichsweise spröden Namen MS FTI Berlin zurück zum deutschen Kreuzfahrer-Publikum.

In der Werft in Genua werden noch schnell die englischen Steckdosen ausgewechselt, ein Biergarten kommt aufs oberste Deck, "bayerisch-gemütlich und zugleich exklusiv", wie es beim Veranstalter heißt. Bierbänke sind deshalb nicht vorgesehen. Im Mai dann soll die MS Berlin bereit sein für die zünftige Erkundung des Mittelmeeres.

Gechartert hat das geschichtsträchtige Schiff der Münchner Reiseveranstalter FTI. Und wenn man dessen Sprecher dieser Tage fragt, ob es nicht gerade eine etwas ungünstige Zeit ist, um ins Kreuzfahrt-Business einzusteigen, verneint Christian Müller und sagt: "Die Buchungen entsprechen unseren Erwartungen." Zwei Reisen auf dem renovierten Traumschiff sind bereits ausgebucht.

Die Deutschen lassen sich ihre Kreuzfahrer-Laune nicht so schnell verderben, so hatten manche Experten nach dem Costa-Unglück prophezeit. Ganz aber scheint die Rechnung nicht aufzugehen. Um 30 bis 40 Prozent seien die Buchungen bei den meisten Reedereien in den Wochen nach dem Unglück eingebrochen, sagt Adrian von Dörnberg, Professor für Touristik und Verkehrswesen in Worms. "Und so rasch, wie die Branche das gerne hätte und auch verkündet, werden die Zahlen sich nicht erholen."

Hochsee-Kreuzfahrten am beliebtesten

Sichere Prognosen gibt es noch nicht. Die Daten, die Anfang März auf der ITB in Berlin vorgestellt wurden, beziehen sich auf das Jahr 2011. Kreuzfahrten werden zudem lange im Voraus gebucht, zurzeit läuft die Buchung für 2013 an.

Vor dem Unglück boomte die Branche. 2011 hatten nach Angaben des Deutschen Reiseverbandes (DRV) mehr als 1,8 Millionen Deutsche ihren Urlaub auf dem Meer oder einem Fluss verbracht - zwölf Prozent mehr als 2010. Der größte Teil der Urlauber, 1,4 Millionen, wählte dabei eine Hochsee-Kreuzfahrt. 1075 Euro gab jeder Urlauber im Schnitt für seine Flusskreuzfahrt aus; der durchschnittliche Reisepreis für eine Hochseekreuzfahrt liegt bei 1710 Euro.

Weil der Markt bislang so rasant angewachsen ist, bauen die Kreuzfahrt-Anbieter ihre Flotten weiter aus: Sieben neue Hochseeschiffe werden allein in diesem Jahr weltweit in Dienst gestellt. Dazu kommen drei renovierte Schiffe - darunter die MS Berlin, die mit 456 Plätzen für Passagiere beim Stapellauf 1980 noch als mittelgroßes Schiff galt und heute zu den kleinen zählt.

Deutsche Reedereien vermitteln Sicherheit

Genau das aber könnte jetzt von Vorteil sein. Nicht nur, weil das schlanke Schiff durch den ebenso beeindruckenden wie engen Kanal von Korinth passt. Seit dem Costa-Unglück sei die Skepsis gegenüber Kreuzfahrt-Riesen gewachsen, sagt Dörnberg. Viele Kunden suchten derzeit gezielt nach Angeboten deutscher Reedereien - oder solcher, die sie für deutsch halten, obwohl der Mutterkonzern international ist. "Deutsche Gründlichkeit, deutsches Personal, das vermittelt subjektiv Sicherheit."

Profitieren könnten von diesem Trend die Anbieter von Flusskreuzfahrten, die ihre Flotte ebenfalls vergrößern. Laut DRV-Statistik unternahmen im Vorjahr 460.000 Deutsche eine Flussreise - 30.000 mehr als 2010. Beliebt ist vor allem die Donau, gefolgt nach wie vor vom Nil sowie dem Rhein mit seinen Nebenflüssen.

Urlauber, die aufs Meer hinausfahren, bevorzugen laut der vom Touristik-Professor Dörnberg mit herausgegebenen "Kreuzfahrtanalyse 2012" das westliche Mittelmeer. Auch in den Norden zieht es viele: nach Norwegen, Island, Spitzbergen, Grönland. Erst danach kommen die Kanarischen Inseln, die Karibik und die Ostsee.

Dabei ist die Route das wichtigste Auswahlkriterium für die Buchung - ein Umstand, der die Verfasser der Studie überrascht hat. "Wir hatten gedacht, dass das Schiff als Destination eine größere Rolle spielt." Für die Reisenden aber scheint das Schiff eher Mittel zum Zweck zu sein, ein schwimmendes Hotel, das einen von Stadt zu Stadt bringt. Man will entspannen, sich erholen - und dabei möglichst günstig reisen, zumindest aber mit kalkulierbaren Kosten. Rund 80 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen all-inclusive wichtig ist, wobei auch die Trinkgelder enthalten sein sollten.

Passagiere aus anderen Ländern stören nur

Besonders wichtig ist den deutschen Urlaubern auch die Gastronomie an Bord. Die Bedienung sollte freundlich sein - und des Deutschen mächtig. Überhaupt bleibt der deutsche Urlauber an Bord am liebsten unter sich. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sich durch einen internationalen Gäste-Mix gestört zu fühlen. Was wiederum die Frage aufwirft, wie das zusammengeht mit dem Urlaubsmotiv, das die Befragten bei der DRV-Kreuzfahrtstudie an erste Stelle setzten: fremde Länder und Kulturen entdecken.

"Über den Zaun gucken und betrachten ist in Ordnung. Aber dann zieht man sich in seine Komfortzone zurück", erklärt Dörnberg. Deutsches Schiff, deutsches Personal, deutsche Mitreisende: Das verspricht Heimatgefühl in der Fremde.

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