Deutschland:Sturm voraus

Regen, Nebel und Windgeschwindigkeiten von 100 Stundenkilometern. Da bleiben die meisten Wanderer lieber zu Hause. In der Rhön geht es bei wildem Wetter erst richtig los.

Von Margit Kohl

Mit einem Regenschirm fing alles an. Schließlich gilt die Wasserkuppe schon seit jeher als Ort der Wetterextreme. Dort wundert sich niemand, wenn es bei durchschnittlich 207 Regen- und 250 Nebeltagen im Jahr immer wieder Gäste in die Informationsstelle treibt, die nicht nur nach Prospekten, sondern auch nach Regenschirmen verlangen. Stürmisch ist es hier auch, und wie! Aus diesem Grund hat man auf der Wasserkuppe entschieden, nur mehr ein sturmfestes Schirmmodell anzubieten, dessen flexibles Gestänge sich schadlos in alle Richtungen biegen lässt. Und da man schon dabei war, sich mit miesem Wetter zu beschäftigen, ersann man gleich noch den passenden Themenausflug dazu: Wildwetterwandern.

In der ehemaligen Radaranlage ist jetzt das Standesamt untergebracht - mit Aussicht

Norbert Demel kennt auf der Wasserkuppe so ziemlich alle Wetterkapriolen. "Die Leute nennen mich das Radom-Monster", sagt der 63-Jährige, weil er als Wächter der weißen Radarkuppel einen der einsamsten Jobs der Gegend hat. Bis 1998 die militärische Nutzung der Radaranlage eingestellt wurde, hatte Demel noch für die Bundeswehr hier gearbeitet. Heute ist das letzte verbliebene Radom, dessen Schutzhülle aussieht wie ein überdimensionaler Golfball, das Wahrzeichen der Rhön. Statt einer Überwachungsanlage verbirgt sich in seinem Inneren nun die Außenstelle des Standesamtes mit Veranstaltungsraum und Aussichtsplattform. Für Wildwetter-Wanderer zählt es zu den magischen Momenten, hier oben über den Wolken zu stehen und wie aus dem Flugzeug auf eine völlig wolkenverhangene Welt hinunterzublicken.

Pressematerial Rhön für die Reise

Frisur sitzt: Auf der Wasserkuppe, Hessens höchster Erhebung, kann es ganz schön ungemütlich werden.

(Foto: Arnulf Müller/Rhön Tourismus)

Weil es auf Hessens höchstem Berg so gut wie keinen Wald gibt, sind hier auf 950 Metern Höhe Windgeschwindigkeiten von mehr als 100 km/h keine Seltenheit. "Da läuft dann keiner mehr aufrecht durch die Gegend", sagt Demel und demonstriert zur allgemeinen Belustigung den Wassereinschenk-Trick. Je nach Windstärke muss man mit einer Wasserflasche schon aus einer gewissen Entfernung ins Glas zielen, will man nicht komplett nass werden.

Der Hochrhöner Wanderweg führt hier oben mitten durch das Herz Deutschlands und passiert auf einer Gesamtlänge von 180 Kilometern das Dreiländereck Hessen, Thüringen und Bayern. Er ist sogar ein "Top Trail of Germany" - also ein vom Deutschen Wanderinstitut prämierter Fernwanderweg.

Also macht man sich von der Wasserkuppe auf ins "Land der offenen Fernen", wie die Rhön auch genannt wird. Damit die freien Flächen nicht zuwuchern, begegnet man fast überall Rhönschafen, die sich an Regen, Kälte und karges Futter perfekt angepasst haben. Auf einem denkmalgeschützten Dreiseithof in Melperts kümmert sich die Schäferin Julia Djabalameli um 90 dieser "natürlichen Rasenmäher", wie sie sagt. Bereits seit Kindertagen hat die Schäferin einen ganz besonderen Bezug zu dieser extremen Landschaft. Wenn sie allein sein wollte, ging sie schon als Kind gern bei Nebel ins Rote Moor, das seine Färbung Eisenoxiden zu verdanken hat.

Deutschland: SZ-Grafk

SZ-Grafk

So kommt es, dass quasi in politisch korrekter Farbverteilung die Hessen ihr Rotes und gleich nebenan die Bayern ihr Schwarzes Moor haben. Also alles im Lot? Mitnichten. Wenn es um die Farbe Schwarz geht, gibt es in Bayern kein Pardon. Da hatte doch einmal ein Karikaturist und Comic-Zeichner bei den Rhönschafen nicht so genau hingesehen und seinem Comic-Schaf Rhönhilde schwarze Beine verpasst. Ein Fauxpas, der Rechtsanwälte, einen Landrat sowie einen Bundestagsabgeordneten beschäftigte. Schließlich unterscheiden gerade weiße Beine das schwarzköpfige Rhönschaf von anderen Schafrassen.

Solch Schildbürger-Wahnsinn ist eigentlich nur mit einem guten Glas Apfelwein zu ertragen. Doch hierfür muss man erst mal Jürgen Krenzers Minibarbaum auf den Streuobstwiesen des Dorfes Seiferts ausfindig machen. Im hohlen Stamm eines mehr als 100 Jahre alten Apfelbaums hat der prämierte Apfelwinzer für seine Gäste immer ein Fläschchen seines Apfelweins versteckt. Wem nach ein paar Gläschen dann die Beine zu schwer zum Weiterwandern sind, kann auch direkt unter den Apfelbäumen übernachten wie einst die Schäfer. Auf den Streuobstwiesen stehen nämlich sechs Schäferwagen zur Verfügung. Einige haben für die kalte Jahreszeit sogar einen kleinen Holzofen. Strom und Wasser gibt es in den stilechten Holzwagen allerdings nicht. Wildwetter-Wandern ist schließlich nichts für Weicheier.

Reiseinformationen

Anreise: Mit der Bahn nach Fulda, weiter im Bus.

Unterkunft: Schlafen im Schäferwagen: Rhönschaf-Hotel Krenzers Rhön, Übernachtung ab 89 Euro pro Wagen, Tel.: 066 83 / 963 40, www.rhoenerlebnis.de; Schlafen im Sternenwagen: Landhotel Zur Grünen Kutte in Bernshausen, Übernachtung für 150 Euro, Tel.: 03 69 64 / 823 46, www.gruene-kutte.de.

Sternenwanderungen: www.sternenpark-rhoen.de

Wildwetter-Wandern: Individualtouren auf dem prämierten Hochrhöner Wanderweg gibt es ab 350 Euro mit fünf Übernachtungen. Für ein- bis zweistündige Sturm- oder Nebel-Touren auf der Wasserkuppe kann man sich vormerken und kurzfristig benachrichtigen lassen. Preis: 8 Euro pro Person. Rhön Tourismus, Tel.: 066 54 / 91 83 40, www.rhoen.de

Im Herbst überwiegen im Wald die dumpfen Geräusche, und sobald die Dämmerung einsetzt und die ersten Nebelschwaden um die Bäume kriechen, schaut man sich dann doch um, ob man wirklich noch alleine ist. Schließlich lässt sich hierzulande beim inflationären Trend zum Regionalkrimi nur von Glück sagen, wenn man nicht auch noch in der abgelegensten Gegend ein paar Fernseh-Kommissaren in die Arme läuft, die im Unterholz ermitteln. Noch darf man hier unbehelligt durch die Landschaft streifen und in Winternächten sogar den hellen Sternenhimmel bewundern. Weil die Rhön als Unesco-Biosphärenreservat noch über natürliche Nachtlandschaften verfügt, die kaum vom künstlichen Licht der großen Städte beeinträchtigt sind, hat die internationale Dark Sky Association der Region erst 2014 die Auszeichnung "Sternenpark" verliehen.

Eisige Nächte in der Natur muss man zum Sternegucken deshalb noch lange nicht verbringen. Schließlich brachte die Sternenpark-Aktion Lutz Heidinger auf die Idee, in Bernshausen einen Sternenwagen zu bauen, damit seine Gäste kommod unterm Nachthimmel schlafen können, ohne zu frieren. In dem kleinen thüringischen Dorf mit gerade mal 116 Einwohnern führt Heidinger seinen Gasthof "Zur Grünen Kutte" bereits in fünfter Generationen. "Wer in der Provinz im Tourismus mithalten will, muss sich schon was Besonderes einfallen lassen", sagt Heidinger. Nach einer Cowboyranch gibt es nun also auch noch einen blauen mit Sternenmotiven bemalten Luxus-Bauwagen: 20 Quadratmeter, Fußbodenheizung, Bad, Küche und Wohnbereich samt großem Schlafzimmer mit verglastem Dach und freiem Blick in den Sternenhimmel: Selbst die Andromeda-Galaxie in 2,5 Millionen Lichtjahren Entfernung ist in der Rhön noch mit bloßem Auge zu erkennen.

Bis der Nebel kommt. Der zieht schon nach Mitternacht wieder auf. Wer jetzt vom Bett aus noch weiter nach Sternenbildern suchen will, muss sich schon einer der vielen Sternengucker-Apps bedienen und sein Smartphone gen Himmel halten. Nur damit lassen sich jetzt noch durch dickste Nebelschichten so lange Tierkreiszeichen entdecken, bis man endlich einschläft und von den unendlichen Weiten des Weltalls träumt. Oder auch nur von besserem Wetter.

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