Weißes Rössl am Wolfgangsee:Welt in himmelblau

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Zurzeit wird wieder einmal ein neuer Film über das Weiße Rössl am Wolfgangsee gedreht. Das echte Hotel profitiert von seinem alten Ruf, aber das allein genügt nicht, um den Betrieb in die Zukunft zu führen.

Cathrin Kahlweit

Schauspieler vor Naturkulisse: Diana Amft, Fritz Karl, Gregor Bloeb, Edita Malovcic, Armin Rohde und Tobias Licht (von links) posieren in St. Gilgen am Wolfgangsee während der Drehpause zum Kinofilm "Im weißen Rössl". (Foto: dpa)

Rosen ranken sich an der Hauswand empor, doch sie sind aus Plastik. Zum See hin ist eine Veranda vor den Eingang gebaut, doch die Tür ist verschlossen. Dahinter: ein Empfang, eine Portiersloge, ein voll behängtes Schlüsselbrett, aber kein einziger Gast. Und doch muss dies das legendäre Weiße Rössl sein - es steht ja dran, draußen an der frisch renovierten, lila angestrichenen Fassade des Hotels im St. Gilgener Ortsteil Lueg.

Ist natürlich alles falsch, Fernsehkitsch, Maskerade: Hier am Wolfgangsee wird zwar gerade und voraussichtlich bis Mitte Oktober zum x-ten Mal der Schwank vom Weißen Rössl verfilmt, nach Theo Lingen und Johannes Heesters und Peter Alexander stehen nun die deutsche Seriendarstellerin Diana Amft und Stars wie Armin Rohde oder Fritz Karl für das ZDF vor der Kamera. Wann der Film ausgestrahlt wird, steht noch nicht fest. Die Touristen allerdings lungern schon vor der Kulisse herum auf der Suche nach bekannten Gesichtern.

Aber heute ist drehfrei, niemand zu sehen. Und das echte Weiße Rössl steht bekanntlich auch nicht in St. Gilgen, sondern in St. Wolfgang. Die Hauptfassade des Originals ist rot, die Empfangsdame ist echt, und auch ansonsten hat das berühmte Hotel herzlich wenig mit dem Berliner Lustspiel von 1897 und der Operettenfassung von 1930 zu tun. Geschichte ist Geschichte, Schwank ist Schwank, und beides kann auch eine Belastung sein. Denn draußen auf dem See kreuzen die Schiffe, und an Bord drängen sich japanische Touristen und knipsen um die Wette, wenn ihr Boot an der Fassade, den vorgelagerten Restaurants und den Schwimmdocks mit Liegestühlen vorbeifährt, aus denen sich seeseitig das Weiße Rössl zusammensetzt.

Sehr aufregend ist das ja nicht, aber man kann sagen, man war da. Landseitig im Ortskern, in dem sich im weiten Rund der Weiße Bär, der Weiße Hirsch und andere gastronomische Namensvettern gruppieren, ist derweil High Noon: Wandergruppen sammeln sich auf dem Vorplatz des größten Hotels am Ort, Touristen drücken sich an den Eingangsfenstern die Nasen platt, sie fotografieren sich auch gern vor dem weißen Pferd an der Fassade, denn das kennt man in Tokio und Mumbai, in Buenos Aires und Montreal. Aber wer käme auf die Idee, im Weißen Rössl Urlaub zu machen?

Tatsächlich tun das eine Menge Menschen, auch wenn die Auslastung zuletzt von 80 auf etwa 65 Prozent im Jahresdurchschnitt gesunken ist. Das Klischee vom Weißen Rössl endet genau hinter der Eingangstür. Kein Oberkellner Leopold, keine polternden Preußen, die Sätze bellen wie: "Haben Se schon mal ne Jegend ohne Berliner jesehen? Ick nich!", und keine singende Wirtin, kein "Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?" und kein "Die ganze Welt ist himmelblau". Keine Operette, kein Heimatfilm.

Nur ein Viersternehotel mit vielen Stammgästen, einem Spa, einer großartigen Küche, ausschließlich österreichischen Weinen und einem See vor der Haustür. Einzig auf dem hoteleigenen Fernsehsender läuft Peter Alexander in Endlosschleife durch das Bild, und wer sich das am Abend antut, der fragt sich ohnehin, warum diese historische Klamotte nun schon wieder aufgewärmt werden muss vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Andererseits: Es wird Quote bringen, es wird die Aufmerksamkeit einmal mehr auf das echte Hotel richten. Der Seniorchef Helmut Peter bekennt, dass manchmal, wenn es draußen zu arg ist mit Tagesausflüglern und Bustouren, Hikern und Bikern und Schiffsladungen voller Neugieriger, dass dann sogar bisweilen die Tür zugesperrt wird. Damit sein Hotel ein Hotel bleibt und kein Durchlauferhitzer wird, so wie das schon mal im Wiener Hotel Sacher oder im Pariser Ritz der Fall ist, wo sich die Touristen gern umschauen nach dem, was sie zu kennen meinen aus dem Fernsehen.

Neugierige kommen, wie gesagt, nur bis zur Tür; wer im Weißen Rössl gewesen sein will, ohne dort gewohnt zu haben, muss sich mit der Seeterrasse zufriedengeben. Im benachbarten Hotel aber: biedere, vorsichtig renovierte und modernisierte Bürgerlichkeit, ein bisschen übermöbliert bisweilen, und überraschend viel Stille. Dabei ist die Geschichte des Weißen Rössls nicht still, sondern schrill.

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Als nämlich das Salzkammergut Ende des 19. Jahrhunderts in Mode war, weil der Kaiser hier sechs Wochen im Jahr urlaubte und zugleich regierte, da urlaubte auch Oskar Blumenthal in der Gegend; der Berliner Autor und Theatermacher ließ dort zur Begeisterung der Einheimischen sogar das erste Fertighaus als Ferienhaus bauen.

Das Weiße Rössl am Wolfgangsee - ein Bild, das Tausende Touristen mit nach Hause gebracht haben. (Foto: Weisses Rössl)

Und sein schmissiges Lustspiel über das heitere Liebesleben im Weißen Rössl, wo zum Schluss jeder Topf seinen Deckel und jede Gastwirtin ihren Zahlkellner bekommt, machte Furore im Jahrhundertwende-Berlin, wo man sich hinsehnte zu Natur und Humor und wegsehnte von Kriegsangst und Fin-de-Siècle-Stimmung. Mutmaßlich hatte Blumenthal ein anderes Hotel namens Weißes Rössl im Visier, nicht jenes in St. Wolfgang, aber die geschäftstüchtige Wirtin vom Rössl in St. Wolfgang reiste umgehend nach Deutschland und teilte allen, die plötzlich Interesse an Ferien in Österreich bekundeten, mit, dass ihres, das Weiße Rössl in St. Wolfgang am Wolfgangsee, der Originalschauplatz sei, den die Autoren Blumenthal und sein Kompagnon Gustav Kadelburg im Auge gehabt hatten.

Heute nennt man das wohl Branding oder auch nur gelungene PR. Egal, die Operette, die 1930 in Berlin Premiere hatte, war wieder ein solcher Erfolg, dass der legendäre Alfred Kerr über die Uraufführung schrieb, die "fremdesten Parkettbesucher" seien geneigt gewesen, "einander an die Brust zu sinken und zu weinen vor Wonne". Das Weiße Rössl war berühmt, da wollte man hin, nur: Das echte Salzkammergut war dann eben doch etwas anderes als "Schmiss, Liebenswürdigkeit, Alpenkolorit und Jazz", wie sie das Stück nach allgemeiner Meinung ausmachten.

Der Berliner Kritiker Erich Urban vermerkte 1931 bissig: "Die Kurgäste haben das Stück gesehen und sind recht enttäuscht, weil es da viel mehr Betrieb gab. Die Regie der Natur ist ihnen zu langweilig."

Der jetzigen Wirtin, Gudrun Trutmann-Peter ist es ganz recht, wenn es ein wenig langweilig zugeht. "Wir hatten die Wahl", sagt sie: "Ein Operettenmuseum zu werden oder Gastgeber zu bleiben." Das Gästebuch enthalte einen einzigen Eintrag, und der stamme noch von Emil Jannings: "Gäste, die kommen, sind besser als Gäste, die gehen." Sie will, wie jeder Hotelier, Gäste haben, die kommen und bleiben und nicht nur einen Kaffee auf der Hotelterrasse trinken.

Die Wirtin betont mehr als einmal die lange Familientradition, in der das Hotel geführt wird, seit 100 Jahren ein Clan, sozusagen, und den Anspruch an Nachhaltigkeit und Regionalität - was man sich von modernen Hotels eben so erwartet. Klar: Auch sie kennt die Zeiten, in denen hier viel Trubel war.

Wenn Helmut Kohl mit Hundestaffel und Bodyguards aus St. Gilgen auf seinem alljährlichen Sommerurlaub herübergefahren wurde zur Massage, dann war Ausnahmezustand im Weißen Rössl. Und wenn mal wieder irgendwo eine Verfilmung des Theater- oder Musiktheaterstoffs anstand, dann lief die Hauptdarstellerin auch schon mal eine Woche lang hinter Trutmann-Peters Mutter her, um zu lernen, wie man das so macht: ein Hotel führen.

Aber ansonsten will man ein kleines Luxushotel sein und viele Stammgäste haben. Manche kämen zwei bis drei Mal im Jahr für zwei bis drei Wochen, sagt Trutmann-Peter, und tatsächlich sitzen beim montäglichen Begrüßungscocktail Dutzende gutbürgerliche, konservativ gekleidete, gesetzte Herrschaften im Foyer, die alle schon gefühlte tausend Mal hier waren. "Hier spricht man deutsch, hier isst man deutsch", sagt ein alter Herr, dessen etwas mondsüchtiger Sohn in den Mittvierzigern offenbar auch schon seit frühester Kindheit mit Mama und Papa an den Wolfgangsee fährt.

Eine Dame war hier zuletzt vor 50 Jahren auf der Terrasse auf einen Kaffee, jetzt will sie mal "richtig" im Weißen Rössl wohnen. Man kennt sich, und die Wirtin, die in der Schweiz, Australien, Neuseeland und Argentinien gelernt und gearbeitet hat, parliert so kosmopolitisch wie ihr Ehemann, der maorische Wurzeln hat; seine Mutter stammt aus Polynesien, sein Vater aus einem Schweizer Gastronomiebetrieb.

Werbung muss die Familie Peter trotz allem machen, denn auch ein Hotel mit einem berühmten Namen wird nicht unbedingt überrannt von Gästen, nur weil es berühmt ist. Man versucht also, auch im Netz und mit Sonderaktionen zu zeigen, dass man nicht gerade preiswert, aber ansonsten recht normal ist und umgibt sich mit viel Holz und bunten Stoffen, ein wenig Gold, ein wenig Zirbel-Gemütlichkeit für gehobene Ansprüche - nichts für Liebhaber von Designer-Chic. Die meisten Gäste kennen sich aus, obwohl man in dem verwinkelten Gebäudekomplex aus mittlerweile neun aneinandergefügten Häusern durchaus ein Navigationsgerät brauchen könnte. Aber den Leuten ist das egal.

Am schönsten ist es ohnehin draußen am Wasser, im Whirlpool oder im Pool oder sogar im echten See. Da sitzt man dann und schaut auf die Berge, während auf dem See die Japaner vorbeifahren und eine laute Stimme ihnen erzählt, was sie da sehen. Die Stimme wird wohl vom Weißen Rössl erzählen und vom Oberkellner, der immer singt: "Zuschaun kann i net, zuschaun mag i net", aber aus der Ferne klingt das für den Zuschauer an Land ziemlich japanisch.

Informationen

(Foto: SZ Grafik)

Anreise: Mit der Bahn von München über Salzburg oder Linz nach Bad Ischl in Österreich. Normalpreis ab 50 Euro einfach, ca. fünf Stunden, das Rössl-Hoteltaxi holt die Gäste am Bahnhof in Bad Ischl ab.

Unterkunft: Romantikhotel Im Weißen Rössl, Markt 74, 5360 St. Wolfgang, Österreich, DZ mit Balkon inklusive Frühstück in der Nebensaison p. P. ab 98 Euro; in der Hauptsaison p. P. ab 123 Euro. Tel.: 0043/613 82 30 60, www.weissesroessl.at

Weitere Auskünfte: Von St. Wolfgang aus führt eine Zahnradbahn auf den Schafberg im Salzkammergut mit Blick über den Wolfgangsee. Informationen unter: www.wolfgangsee.at; Tagesausflüge ins nahegelegene Salzburg, Informationen: www.salzburg.info

© SZ vom 21.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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