Dachstein:Kalter Schatz

Über den Sommer eingelagert, zum Saisonstart wieder ausgewalzt: Ramsau will mit "Snow Farming" vom Winter unabhängiger werden.

Von Moritz Baumstieger

Wer einen Schatz zu hüten hat, versteckt ihn normalerweise. Verschließt ihn in Tresoren, bunkert ihn in Banken oder unterm Kissen. Der Schatz von Elias Walser lag einen Sommer lang einfach herum. Auf einem Fleck Erde in Ramsau am Dachstein, zwischen Wald- und Ortsrand, Tennisplatz und Skisprungschanze. Zugedeckt mit Hackschnitzeln, abgedeckt mit Vlies und einer Plane.

Trotz laxer Sicherheitsmaßnahmen war der Schwund überschaubar. Nur etwa 20 Prozent hat Walser verloren, damit ist er zufrieden. Seinen Schatz zu stehlen, wäre aber auch mühsam gewesen. Rund 500 Mal hätte man mit dem Kipplader vorfahren müssen, um ihn abzutransportieren - und ein höchst vergängliches Gut zu besitzen: einen Haufen Schnee.

"Die größte Gefahr", sagt Elias Walser, 30 Jahre alt, braune Haare, türkis-schwarzer Sportdress, "waren wohl eher die Betrunkenen." Gleich neben seinem Schatz, dem Schneehaufen, liegt die Waldschänke, in der die Dorfjugend ihre Partys feiert. "Eine Schneeballschlacht nach ein paar Bier - auf so eine Idee wäre ich früher gekommen." Den Schnee für die Wurfgeschosse hätte Walser zwar verschmerzen können. Bis er und seine Mitarbeiter aber das Loch in der Schutzschicht entdeckt hätten, wäre ein Teil des Schatzes weg gewesen. Geschmolzen und versickert.

Dachstein: Die Fitnessfreaks aus den Metropolen gelten am Dachstein als Zielgruppe der Zukunft, verlässlicher als die Alpinfahrer.

Die Fitnessfreaks aus den Metropolen gelten am Dachstein als Zielgruppe der Zukunft, verlässlicher als die Alpinfahrer.

(Foto: Leo Himsl/Steiermark Tourismus)

Die Feten scheinen diesen Sommer nicht allzu wild gewesen zu sein in Ramsau - oder die Jugend hat sich dort selbst im Rausch im Griff. Und so blickt Elias Walser nun ziemlich zufrieden über das Hochplateau unter den Wänden des Dachsteins. Über ihm erstreckt sich an diesem Novembertag ein makellos blauer Himmel. Vor ihm liegen die Weiden in einem noch immer saftigen Grün, "vor ein paar Tagen waren noch die Pferde drauf".

Über eine der Wiesen zieht sich eine weiße Spur. Sie beschreibt einen Kringel, kommt dann den Resten von Walsers Schatzhaufen nahe, bevor sie sich in Richtung Wald aufschwingt und wieder zurück zur Wiese führt. Um diese Spur walzen zu können, hat Walser im Winter den Schnee unter den Hackschnitzeln deponieren lassen. "Snowfarming" heißt das Konzept, das inzwischen viele Kommunen in Skandinavien und ein paar wenige in den Alpen betreiben. Als Walser nach dem schneereichen Winter 2012/2013 damit auch in Ramsau anfangen wollte, meinten einige Dörfler, ihr junger Tourismuschef sei größenwahnsinnig geworden.

Doch Walser war überzeugt, dass diese Spur aus altem Schnee, gute zwei Meter breit, 50 Zentimeter dick und derzeit 800 Meter lang, ein Teil der touristischen Zukunft des Ortes sein könnte: eine Langlaufloipe, die jedes Jahr ab 1. November befahrbar ist - egal, ob sich der Schnee meterhoch türmt oder eher T-Shirt-Wetter herrscht wie am Sonntag.

Die Klimaprognosen sind längst nicht mehr der einzige Faktor, der Touristiker in den Alpen frösteln lässt. Die Zahl der Alpin-Skifahrer ist rückläufig, "weltweit wird der Markt bestenfalls stagnieren, in Europa werden wir saubere Einbrüche haben", sagt Walser. Dass sich Schnee zur Not auch künstlich herstellen lässt, wenn man bereit ist, Energie und Wasser in die Luft zu pusten, demonstrieren die Skigebiete inzwischen auf fast erschreckende Weise. Aber selbst, wenn man genug Schnee in einem veränderten Klima erzeugen kann: Woher sollen die Skipass-Käufer der Zukunft kommen?

Dachstein: Säen und ernten: "Snowfarming" in der Ramsau.

Säen und ernten: "Snowfarming" in der Ramsau.

(Foto: TVB Ramsau)

Als Walser nach dem Studium für einige Zeit am Mount Whistler in Kanada arbeitete, hörte er zu seiner Überraschung, dass man dort langfristig auf die Langläufer setzen wolle. Skifahren zu erlernen sei für Erwachsene doch nur frustrierend, meinte die Chefin des Skigebiets, Langlaufen hingegen könne man nach einem Nachmittag! Zudem sei den Fitnessfreaks aus den Metropolen der amerikanischen Westküste das Herumrutschen auf den Hängen zu wenig fordernd. "Beim Langlauf, speziell beim Skating, beanspruchst du 95 Prozent der Muskeln deines Körpers", referiert Walser. "Das ist doch ganz was anderes!"

Wenn sich der Wintertourismus gemäß den Prognosen von Walsers ehemaliger Chefin in Kanada entwickeln würde - Ramsau käme es entgegen. Ein großes Skigebiet hat der Ort nicht, dazu sind die Flanken des Dachsteins viel zu felsig. Deshalb setzte man hier schon immer auf die Langläufer: 220 Kilometer Loipen spuren sie im Hochwinter, ein Teil wird seit vergangenem Jahr sogar beschneit, das Netz auf dem Gletscher ist ohne künstliches Zutun das ganze Jahr befahrbar. "Jetzt müssten wir es nur noch schaffen, das Image des Langlaufens ein wenig zu entstauben", sagt Walser. Um zu demonstrieren, dass der Sport modern und fordernd ist, hat er sich und dem Gast ein Paar Skatingskier mitgebracht. Walser schnallt sich die Bretter unter die Füße, und schon ist er in der Kurve hinter dem Skistadion verschwunden. Der Schnee, über den es da bei mittlerweile fast 20 Grad geht, ist erstaunlich gut zu befahren. Im Schatten fest und glatt, in der Sonne manchmal etwas sulzig. Walser überholt eine Großmutter im engen Sportanzug, die ihren Enkeln das Skaten beibringt. Sonst dreht noch eine Dame aus Ramsau ihre Runden und ein Triathlon-begeisterter Unternehmer aus Graz, der die 175 Kilometer durch die Berge mit seinem Sportwagen in eineinhalb Stunden geschafft hat. "Auf Bergtour war ich gestern, heute Morgen habe ich im Netz geschaut, was noch so geht", sagt er.

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Ambitionierte Hobbysportler wie er, die möglichst früh eine gute Form erreichen wollen, sind die eine Zielgruppe, auf die Walser schielt. Die wichtigere aber sind Profisportler, die oben auf dem Gletscher am Feinschliff für die kommende Saison arbeiten. In einem Ramsauer Sportgeschäft zeugt eine Vitrine davon, dass wohl schon jetzt nicht wenige kommen. Hinter Glas stehen mehrere Sorten spezielles Langlauf-Wachs - für 144 Euro pro Döschen. Bis vor kurzem war auch die deutsche Nationalmannschaft da, doch Ende Oktober zieht der internationale Profizirkus nach Skandinavien weiter, wo es zwar schon recht dunkel ist, aber bereits echter Schnee liegt. "Wenn wir die ein wenig länger hier halten könnten", sagt Walser, "wäre das kein schlechtes Geschäft."

Damit Profis und Amateure trainieren können, schaltet die Gemeinde abends sogar das Flutlicht an. Auch deshalb, weil der Schnee mittags zu weich wird zum Skaten; die letzten Runden kurz vor Mittag waren eher anstrengend. Walser zieht die Ski aus und setzt sich mit einer Zitronenschorle auf eine Bierbank, auf seinem T-Shirt zeichnen sich nun Schweißflecken ab. Die Sonne, in der er und seine Loipe schwitzen, macht ihm wenig Sorgen. Solange die Temperatur nachts ein wenig anziehe, bleibe sein Schnee. Außerdem habe er ja noch ein bisschen was in Reserve. Er habe sich sogar geärgert, als es vergangene Woche kälter wurde. Kurz bevor Walser und seine Arbeiter ihren Schatz mit - natürlich gesäuberten - Jauchewägen aufs Feld bringen wollten, hatte es zu schneien begonnen. "Da dachte ich: Die Investition hättest du dir sparen können."

Informationen

Anreise: Von München über die A8 Richtung Salzburg und weiter über die A10 bis Eben im Pongau, dann über die Landstraße bis Ramsau am Dachstein.

Langlaufen: Die Tageskarte kostet 37 Euro, Berg- und Talfahrt 36 Euro, www.derdachstein.at, Tel.: 0043/3687/818 33, www.ramsau.com.

Mehr als 10 000 Euro hat sein Projekt bisher gekostet, der Schnee von gestern ist so etwas wie weißes Gold. Die Arbeiter, die Hackschnitzel, die Plane mussten bezahlt werden. Und - hier schlägt der Fortschritt einen Salto - auch ein Teil des Schnees. Weil im Frühjahr fast keiner vom Himmel fiel, stammt die Hälfte von Walsers Haufen aus der Strom und Wasser fressenden Kanone. Auch ein Snowfarmer kann manchmal nur ernten, was er gesät hat.

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