Chinesische Touristen im Ausland:Im Reich der Sitte

Chinesische Touristen in Ägypten Giseh

Die Chinesen sind Reiseweltmeister, fast 100 Millionen verbringen ihren Urlaub im Ausland. Auch die Pyramiden von Giseh sind nicht mehr sicher.

(Foto: Khaled Elfiqi/dpa)

Chinesische Touristen sind mehr berüchtigt als berühmt. Schwarze Schafe klauen im Hotel, prügeln im Bus, beschmieren das Welterbe. Nun will die Regierung ihre Bürger zur Höflichkeit erziehen - aber das kann dauern.

Von Kai Strittmatter, Peking

Mitten in der Hauptstadt sitzt das Zentrale Komitee für die Steuerung des Aufbaus der geistigen Zivilisation. Wie wichtig dieses Amt ist, lässt sich an der Erschöpfung seiner Mitarbeiter erkennen, die man ans Telefon bekommt. "Und jetzt müssen wir uns auch noch darum kümmern." Der Beamte, der nur anonym und nur als Privatmann zitiert werden möchte, meint den "Kompass für das zivilisierte Reisen", den sie gerade neu aufgelegt haben. Es ist nämlich so, sagt der Beamte: "Wir tun unser Möglichstes, die Qualität der chinesischen Touristen zu erhöhen."

Die "Qualität der Bürger zu verbessern" ist ein altes Hobby von Chinas Regierenden. Dass es nun die Touristen trifft, liegt daran: Chinesen sind Reiseweltmeister. Die Amerikaner haben sie schon lange hinter sich gelassen, die Deutschen im letzten Jahr überholt. 83 Millionen Chinesen reisten 2012 ins Ausland, in diesem Jahr sollen es schon 94 Millionen sein. Grund genug, für Chinas Staatssender CCTV, sich vor Kurzem eine Woche lang jeden Abend in seinen Hauptnachrichten dem Phänomen zu widmen. "In den letzten Jahren sind die Geldbörsen der Chinesen immer dicker geworden", sagt die Moderatorin. Das ist gut. Aber: "Für die Bürger überall auf der Welt sind diese Leute immer mehr ein Spiegel, über den sie China kennenlernen." Und das macht der Regierung ein wenig Angst.

"Sie sind wie wir vor zwanzig Jahren"

Warum? Man bekommt eine Ahnung von der Antwort zum Beispiel in einem Reisebus voller chinesischer Touristen in Taipeh, wo die taiwanische Reiseleiterin gleich in der ersten Minute zur Sache kommt: "Wollt ihr, dass wir hier ein besseres Bild von euch Festlandchinesen bekommen?" Stummes Nicken. "Dann spuckt bitte nicht auf die Straße, raucht nicht in Nichtraucherlokalen und bemüht euch, ein wenig leiser zu sein." Oder bei dem Taxifahrer in der gleichen Stadt, der einem erzählt, er sei bis vor Kurzem Reiseleiter für chinesische Tour-Gruppen gewesen. "Das wurde mir einfach zu viel." Wieso? "Sie brüllen immer herum, sie können nicht Schlange stehen, sie werfen all ihr Geld raus für ihre Obsession mit Markenartikeln." Kurze Pause. "Sie sind wie wir vor zwanzig Jahren."

Die schärfsten Kritiker der Chinesen sind allerdings Chinesen selbst. Und zwar vornehmlich die Kümmerer in der Regierung. Viele Touristen hätten leider "keine Kinderstube" und seien "von niederer Qualität". Findet Chinas Tourismusminister Wang Yang. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua beschreibt das so: "Sie spucken auf die Straße." Oder: "Sie unterhalten sich lärmend in Restaurants." Xinhua fasst zusammen: "Während viele Länder Chinesen als großzügige Konsumenten willkommen heißen, sind sie gleichzeitig abgestoßen von ihrem abscheulichen Benehmen."

Warum Chinas Regierung findet, das gehe sie an? "Diese Touristen", sagt die Moderatorin des Staatsfernsehens, "beschädigen Chinas Image in der Welt."

Wie auch andere Nationen mit einer großen Vergangenheit, die sich ihres Platzes in der modernen Welt noch nicht völlig sicher sind, so sind auch die Chinesen besessen davon, was andere über sie denken.

Die Selbstgeißelung ob der Rüpelhaftigkeit mancher ihrer Landsleute im Ausland trägt bisweilen masochistische Züge, sie wird gefüttert von einem endlosen Strom von Anekdoten: Die chinesische Mutter, die ihr kleines Kind mitten in der Abflughalle des Flughafens von Taipeh auf einer Zeitung sein Geschäft verrichten lässt. Der Teenager aus Nanjing, der die Hieroglyphen im 3500 Jahre alten Tempel von Luxor in Ägypten mit dem Graffiti "Ding Jinhao war hier" überschrieb. Die Reisegruppe aus der Provinz Zhejiang, die sich letzte Woche an Bord eines Fliegers von Singapore Airlines kollektiv weigerte, das feine Besteck aus rostfreiem Stahl wieder rauszurücken. Angeblich gab die Gruppe erst nach, als ein Reiseführer den Leuten ins Gewissen redete: "Hört auf, die chinesische Nation in Verruf zu bringen!"

Schwarze Liste für schlechtes Benehmen

Die Sache mit dem Gesicht in China ist nämlich so: Man kann als Chinese nicht bloß sein eigenes verlieren, sondern, wenn es dumm läuft, gleich das der ganzen Nation dazu. Und deshalb springt der Staat nun mal wieder ein. Am 1. Oktober tritt Chinas erstes Tourismusgesetz in Kraft. Touristen, die sich schlecht benehmen, sollen in Zukunft mit Sanktionen rechnen müssen. Die Provinzen Hainan und Hunan preschen schon mal vor: In Hunan gibt es seit dieser Woche eine schwarze Liste für Leute, die unangenehm auffallen. Im Extremfall sollen Reisebüros in Zukunft solche Leute nicht mehr als Kunden annehmen.

Gleichzeitig läuft in den Staatsmedien eine Kampagne zur Volkserziehung. Die Webseite des Parteiblatts Volkszeitung hat eine "Gebrauchsanweisung gegen den Gesichtsverlust auf Auslandsreisen" verfasst, den Auftakt macht ein Online-Spiel. Unter einem Bild von Eiffelturm, Freiheitsstatue und Sphinx kann man mit einer Armbrust die vom Himmel in großen Blasen herabfallenden Untugenden abschießen: Toilette wieder nicht gespült. Sich um Plätze geprügelt. Sachen im Hotel geklaut. "Gratuliere", heißt es am Ende: "Sie haben 15 Prozent des unzivilisierten Benehmens vernichtet." Es ist gar nicht so einfach.

In der im August als Teil der Hauptnachrichten ausgestrahlten Reihe "Zivilisiertes Reisen" überfielen Reporter des Staatssenders CCTV mit vorgehaltenem Mikrofon verdutzte Rucksackträger: "Warum stehen Sie hier auf dem Rasen, obwohl da 'Betreten verboten' steht?" Sie berichteten von mustergültigen Reiseleitern, die "vor jeder Reise die Gebräuche und Gesetze des Gastlandes studieren", und die ihre Gruppe mit selbstentworfenen Schildern in Schach halten, auf denen ein Zeigefinger über geschlossenen Lippen zur Ruhe mahnt. Sie interviewten eine Beamtin der Tourismusbehörde, die fand, die Reisenden sollten sich auch gegenseitig überwachen. Und sie zeigten einen sogenannten Kurs für zivilisiertes Reisen: "Wenn wir im Flugzeug freie Plätze sehen, meine Damen und Herren", mahnte der Lehrer die Teilnehmer, "dann prügeln wir uns nicht darum, in Ordnung?"

Ein älteres Ehepaar aus dem Kurs kam zu Wort: "Das sind ja oft so kleine Dinge, die uns hier zu Hause überhaupt nicht auffallen", sagte der Mann. "Hier bei uns geht's einfach locker zu", warf die Frau ein. Dann wieder der Mann: "Aber wenn du so was im Ausland tust, hallo, dann ist das aber was ganz anderes. Da hast du ganz schnell das Image Chinas auf dem Gewissen."

China galt ja einmal als Reich der Höflichkeit und Etikette. Die Klage darüber, dass das Land diesen Ruf längst verspielt hat, ist alt. Der nun neuaufgelegte "Kompass für zivilisiertes Reisen" (ganz wichtig: Schuhe und Socken nicht in der Öffentlichkeit ausziehen) stammt aus dem Jahr 2006. Die amerikanische Fachzeitschrift Anthropology News widmete dem Phänomen 2010 einen Aufsatz.

An Erklärungsversuchen mangelt es nicht. Da werden die politischen Tumulte im letzten Jahrhundert angeführt, die viele Chinesen mittleren und höheren Alters um eine ordentliche Bildung brachten. Das plötzliche Aufkommen einer Klasse von Neureichen in China, die sich oft ebenso arrogant und ignorant verhält wie Neureiche anderswo. Die Tatsache, dass in China Recht und Gesetz nichts wert seien, weshalb sich auch keiner daran halte. "Öffentliche Ordnung ist nicht die größte Stärke der Chinesen", schrieb die Zeitung China Daily: "Die Leute gehen bei Rot über die Ampel. Fahrer rasen und fahren Slalom. Autos parken auf dem Radweg. Pendler raufen sich in Bussen. Busfahrer und Passagiere brüllen sich an. Ordentliches Schlangestehen ist eine Rarität." Die Zeitung endete ihren Artikel resigniert: "Experten sagten, chinesischen Touristen das richtige Benehmen beizubringen und ein positives Image zu schaffen, könne mehrere Generationen dauern."

Derweil mögen allzu zerknirschte Chinesen Trost finden in einer Umfrage des amerikanischen Einkaufsportals Living Social, das im vergangenen Jahr in mehreren Ländern nach den schlimmsten Touristen der Welt fragte. Chinesen belegten am Ende Platz zwei. Auf Platz eins kamen die US-Amerikaner - dorthin gewählt vor allem von sich selbst.

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