Chile: Osterinsel:Rapa Nui mit Karacho

Auf der Osterinsel pflügen beim Tapati-Festival Männer durch Wellen, rennen mit Bananenstauden und stürzen sich einen Grashang hinab - der Wettkampf in Bildern.

Stefan Nink

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Südamerika Chile Osterinsel Rapa Nui Haka Pei, AFP

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So, da sind sie, kriegerisch bemalt und im Lendenschurz, und da sind ihre Schlitten, und da der Mann mit der weißen Startflagge, und die Fans warten sowieso schon gespannt. Die Regeln beim Haka Pei sind einfach: Jeder, der sich das zutraut, legt sich rücklings auf eine Art Bob aus zwei zusammengebundenen Kokospalmenstämmen.

Dann wird er von vier Helfern mit Schwung auf einen langen Grasabhang gestoßen und rutscht den Berg hinunter - wobei "rutschen" ein schlimmer Euphemismus für eine Fahrt ist, die durch Bodenwellen und Steinbrocken zu einer Art Rodeoritt im Liegen wird, an dem die Chiropraktiker der Insel in den nächsten Tagen ihre helle Freude haben werden.

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Am Fuß des Hügels warten Freunde und Familie und Schiedsrichter, und wer am weitesten rutscht, gewinnt. Heute muss allerdings nicht lange vermessen werden: Es kommt bloß einer unten an; alle anderen fliegen vorher von den Stämmen. Die Männer freuen sich trotzdem wie Kinder, die gerade im Erzgebirge die erste Schlittenfahrt des Winters erleben durften.

Brauner Körperschmuck - auch Touristen lassen sich anstreichen. Foto: AFP

Südamerika Chile Osterinsel Rapa Nui Haka Pei, AFP

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Das Grasschlitten-Rennen Haka Pei ist Teil des Tapati-Festivals auf Rapa Nui, der Osterinsel, ein zweiwöchiges Spektakel, bei dem es in den unterschiedlichsten Disziplinen um die uralten Menschheitsfragen geht, wer stärker, schöner oder wagemutiger ist und wer, natürlich, am grazilsten tanzen kann.

Das Festival existiert seit 1975; zum Höhepunkt des Inseljahres wurde Tapati aber erst Mitte der Neunziger, als die Dreharbeiten zu Kevin Costners "Rapa Nui" ein bisschen Glanz und Glamour auf die Insel brachten. Vorher war alles eine oder zwei Nummern kleiner, ein paar Tanzwettbewerbe, Trommeln, Schlittenrennen, viel mehr passierte nicht.

Man war ja auch mehr oder weniger unter sich. Damals gab es noch keinen Flughafen, keine Kreuzfahrtschiffe, keine Hoch- und keine Nebensaison.

Wettrennen mit Bananen. Foto: AFP

Südamerika Chile Osterinsel Rapa Nui Haka Pei, ddp

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Die Osterinsel ist einer der isoliertesten bewohnten Flecken des Planeten. Sie gehört zu Chile, aber Chile liegt 3700 Kilometer oder fünf Flugstunden weiter östlich. Und natürlich ist sie weniger für ihre Schlittenrennen als für ihre Moais bekannt, jene Steinstatuen mit den ernsten Gesichtern, die auf der Insel stehen wie gewaltige Schachfiguren einer abgebrochenen Partie göttlicher Spieler. Und zwar nicht nur zehn oder zwanzig, wie man vielleicht annimmt, sondern: Hunderte. Forscher haben sich die Mühe gemacht und sie durchnummeriert und sind auf 887 gekommen.

Etwa die Hälfte befindet sich noch im Tuffsteinbruch am Krater des Ranu Raraku, fast fertig oder gerade erst mit groben Schlägen skizziert. Die restlichen stehen oder liegen über die Insel verteilt. Wahrscheinlich hat jede Sippe auf der Insel solche Moais aus Stein geschlagen, und wenn die Nachbarn eine pompösere Moai aufstellten, musste die nächste eigene - "den Angebern werden wir es zeigen!" - eben noch größer sein.

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Knapp 4000 Menschen leben auf den 163 Insel-Quadratkilometern, die allermeisten in Hanga Roa, dem einzigen Ort. Aus Gründen, die im Dunkel der Geschichte verlorengegangen sind - oder möglicherweise nie existierten - besitzen sie mehr als 6000 Pferde, die frei herumlaufen und überall auf der Insel grasen.

Möglicherweise sind die Pferde die neuen Statuen: Hat der Nachbar schönere, ist das Ansporn genug, sich bei der eigenen Zucht mehr anzustrengen.

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Überhaupt scheint sich der Wettbewerbsgedanke mittlerweile fest im Erbgut der Bewohner Rapa Nuis verankert zu haben. Wenn ein Fischer morgens auf Hanga Roas Straßenmarkt 20 Zentimeter große Po'opo'o-Makrelen von der Lastfläche seines Pick-ups verkauft, wird die Konkurrenz alles tun, um ihn am nächsten Tag um mindestens drei Zentimeter Fischlänge zu überbieten.

Bootsrennen beim Tapati-Festival. Foto: AFP

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Und wenn der Arbeitskollege beim Haka Pei mit einer besonders aufsehenerregenden Körperbemalung den Hang hinunterschlittert, trägt man selbst eben noch eine weitere Schicht Farbe auf. Immerhin sind die Fotos an den kommenden Tagen in allen Zeitungen zwischen Neuseeland und Tahiti zu sehen. Denn für Schlagzeilen ist Rapa Nui immer gut.

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Mal wird ein britischer Tourist dabei ertappt, wie er ein Moai-Ohr in den Rucksack packen will, das er der Statue zuvor abgeschlagen hat. Mal verursacht ein französischer Luxustaschen-Hersteller Aufregung, weil er eine der Statuen zum Zwecke der Völkerverständigung leihweise in den Pariser Tuilerien aufstellen möchte.

Und als vor zwei Jahren ein Haus der kleinen Luxushotelkette Explora eröffnete, echauffierte sich in Deutschland ein Nachrichtenmagazin, als habe man soeben beschlossen, die beliebte deutsche Ferieninsel Rapa Nui mit flächendeckenden Apartmentanlagen zu überziehen. Ein Dammbruch! Das Ende der Unschuld! Und dann auch noch ein Unternehmen vom chilenischen Festland!

Bemalte Urlauber beim Tapati-Fest. Foto: AFP

Südamerika Chile Osterinsel Rapa Nui Haka Pei, visitchile

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Übersehen wurde bei all der Aufregung, dass besagtes Unternehmen vom Festland durchaus Arbeitsplätze auf der ökonomisch arg gebeutelten Insel schuf und das Hotelgelände lediglich pachtete. Außerdem darf die Verwaltung von Rapa Nui - und nicht etwa Behörden im fernen Santiago - jedwede Planung für jedweden weiteren Hotelbau prüfen und solche Projekte untersagen.

Das Gebäude selbst ist übrigens so in die Weiden- und Wiesenlandschaft integriert, dass man es erst sieht, wenn man kurz davor steht. Dass der angebliche Widerstand vor Ort von einer nach Rapa Nui ausgesiedelten Deutschen mitangeführt wird, wundert einen nicht wirklich.

Foto: visitchile

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Es ist überhaupt unglaublich viel dummes Zeug über diese Insel geschrieben worden. Schon Thor Heyerdahl und Erich von Däniken haben Rapa Nui als Projektionsfläche wirrer Phantasien missbraucht, und anschließend ging es weiter, mit Analysen zur Umweltzerstörung durch die Space-Shuttle-Landebahn und Berichten über die angeblich katastrophalen Auswirkungen der Costner-Dreharbeiten.

Da ergeht es Rapa Nui nicht besser oder anders als Bora Bora oder Bhutan: Die Insel ist ein wunderbares Beispiel für die Unart des Westens, an fremden Gestaden immer jene vergangene Ära als quasi paradiesisch zu verherrlichen, in der noch keines Fremden Fuß das Land berührte.

Armselige Lebensumstände werden dabei grundsätzlich als romantisch bezeichnet, und im Umkehrschluss wird alles verteufelt, was den Menschen mit der Gegenwart und deren Technik in Berührung bringt. Rapa Nui liegt einfach zu weit weg von allem, als dass man mal schnell hinfahren und nachschauen könnte, wie es wirklich ist.

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Natürlich trägt die Insel gehörig zu all dem bei. Rapa Nui ist ein Freilichtmuseum, auf Wanderungen stößt man immer wieder auf verwitterte Statuen und Hausgrundrisse, auf Kochstellen und Hühnerställe und Terrassen aus runden, vom Meer geschliffenen Steinen. Trotzdem weiß man bis heute nicht viel über das, was hier geschah.

Es gibt unzählige Vermutungen, aber nur wenige Fakten: dass die Insel den polynesischen Siedlern ideale Bedingungen geboten haben muss, dicht bewaldet war, fruchtbarer Boden, reichlich Fische im Meer und keine Feinde aufwies. Dass es Nahrung im Überfluss gab und die Rapa Nui ihre Arbeitskraft ganz dem Bau immer neuer Moais widmen konnten.

Und dass ihre Welt wahrscheinlich aus den ökologischen Fugen geriet, als die Menschen immer mehr Bäume abholzten. Die Stämme benötigte man als Rollen beim Transport der Statuen im inselweiten "Wer-hat-den-Größten?"-Wettbewerb. Ohne Bäume aber konnte man keine Kanus mehr bauen und nicht mehr hinaus zum Fischen, und wo bislang das Wurzelwerk den Boden stabilisierte, fegte jetzt ein unbarmherziger Wind über die baumlose Erdkrume.

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Südamerika Chile Osterinsel Rapa Nui Haka Pei, dpa

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Irgendwann machte die Erosion die Landwirtschaft unmöglich, irgendwann kämpften die Rapa Nui um die letzten Vorräte, irgendwann wurden sie zu Kannibalen. Vermutet man. Es gibt keine Überlieferungen. Die einzigen Zeugen sind aus Stein und schweigen.

Beim Wandern über die Insel kann man sehen, wie die Erosion dem Land zugesetzt hat. Zwei, drei Wischbewegungen mit dem Fuß, und man hat blankes Vulkangestein freigelegt. So gut wie alle Bäume auf Rapa Nui sind importierte Eukalyptus, die ein britisches Viehzuchtunternehmen im 19.Jahrhundert auf die Insel bringen ließ.

Eukalyptus wächst zwar schnell, benötigt aber sehr viel Wasser und lässt andere Pflanzen in seiner Nachbarschaft verdursten. Und wo mehrere tausend Pferde eifrig vor sich hin mampfen, wächst irgendwann sowieso kein Gras mehr. Die Lieblingshaustiere der Insulaner gelten als größte Gefahr für Rapa Nui. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der Mensch lerne nicht aus seinen Fehlern.

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Die Archäologen auf der Insel sehen das alles mit Sorge, gleichzeitig aber mit der berufseigenen Gelassenheit: Es gibt nun wirklich gefährdetere Forschungsorte als einen isolierten Vulkanfelsen mitten im Pazifik. Und die 50.000 Touristen, die mittlerweile jährlich kommen? Die 100.000 Füße, die über den fragilen Boden laufen, die 100.000 Hände, die Steine und Statuen berühren möchten? Sind ein Problem, sagen die Archäologen, aber keines, das man nicht in den Griff bekommen könnte. Man müsste nur dafür sorgen, dass die Ranger des Nationalparks ein Verhältnis zur Inselkultur entwickeln. Oder, noch besser, von Rapa Nui stammen.

Dann würden sie nicht in ihren Tickethäuschen sitzen und aufs Meer hinausschauen, während hundert Meter entfernt 500 Kreuzfahrttouristen mit sonnencremefettigen Fingern die Petroglyphen begrapschen. Viel mehr als die Touristen fürchten die Wissenschaftler aber die einheimischen Farmer. Wenn denen auf dem Feld die Überreste einer alten Kochstelle in die Quere kommen, sind die Steine schneller aus dem Boden, als sie klassifiziert werden können.

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Südamerika Chile Osterinsel Rapa Nui Haka Pei, AFP

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Und so ist Rapa Nui schon wieder gefährdet, und vielleicht ist es auch das Bewusstsein um seine Vergänglichkeit, das es so faszinierend macht. Möglicherweise gehört auch das Gefühl der Isolation dazu, die Allgegenwart der schweigenden Moais, das Wissen, überall auf Rapa Nui auf einem Vulkan herumzulaufen.

Jedenfalls bringt diese Insel etwas in einem ins Schwingen. Als ob eine bislang verborgene Ecke des Bewusstseins von einem unsichtbaren Zeigefinger angetippt würde. Zuerst ist man sich dessen nicht bewusst, ahnt es mehr, als man es spürt.

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Südamerika Chile Osterinsel Rapa Nui Haka Pei, AFP

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Irgendwann aber, nach zwei oder drei Tagen auf Rapa Nui, kann man dieses Gefühl für einen kurzen Augenblick festhalten und etwas näher inspizieren. Wenn man damit fertig ist, ist man zwar auch nicht viel schlauer. Man weiß dann aber zumindest, was Menschen meinen, wenn sie von der Magie eines Ortes sprechen. Auch, wenn morgen früh wieder ein Grasschlitten-Rennen gefahren wird.

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(SZ vom 4.2.2010/dd)

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