Camping:Ein Kampf namens Urlaub

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Freiheit, Wildnis, Ruhe - das sucht der erdverbundene Zelturlauber. Doch der Kontakt zur Natur ist nicht immer so angenehm wie vorher erträumt, die Nachbarn stressig, der Gaskocher kaputt. Sechs Konstanten aus dem Camper-Leben.

Ordnung

Urlaub im Zelt ist immer ein Stück Anarchie. Aber auch im Camping-Urlaub kann man nicht ganz auf Ordung verzichten. (Foto: Klaus Leidorf)

Die Nachbarn vom vergangenen Jahr werden sich in diesem Jahr gedacht haben: Herrje, da sind sie wieder, diese Deutschen mit ihrem Zelt, die auf die seltsame Idee kommen, sich inmitten einer italienischen Dauercamper-Kolonie niederzulassen und ihren Stellplatz zumüllen mit Hängematten, Kocher, Campingstühlen, Flip-Flops; die ihren Platz nicht markieren mit einer grünen, den ganzen Raum bis zum Weg einnehmenden Plastikfolie, sondern ihre nackten Zehen lieber in den Sand vor dem Zelt graben. Ja, vermutlich sind wir ein Ärgernis für unsere Nachbarn. Trotzdem grüßen sie uns mittlerweile.

Urlaub im Zelt ist immer ein Stück Anarchie, es ist die Lust an jener Unordnung, die man zu Hause nicht zulassen würde. Das macht den Urlaub vom Alltag unterscheidbar. Aber vielleicht scheiden sich am Zelt gerade deshalb so stark die Geister: Nicht jeder erträgt dieses Chaos auf Zeit. Dabei ist es ja ohnehin eine gebändigte Unordnung. Man muss sein Geschirr sofort abspülen, weil man sonst unter Heerscharen von Ameisen begraben wird. Man muss einen festen Platz für den Ersatz-Autoschlüssel haben, weil der Erstschlüssel immer irgendwo verschollen ist. Und man braucht, wenn man am Meer campt, einen Handbesen. Sonst trägt man den Sand vom Vorzelt in die Schlafkabine. Und wer will das schon?

Unsere italienischen Nachbarn haben nicht einen Besen. Sie haben eine Besenfamilie. Den weichen für die grüne Plastikfolie. Den Schrubber am langen Stab fürs Dach ihres Wagens, das nach jedem Wolkenbruch gereinigt wird. Und einen für die Scheiben. Und natürlich den Rechen, um die Piniennadeln vom Boden einzusammeln (das Auto ist gegen Staub und Nadeln eh schon bestens verpackt). Freitags recht die Nachbarin zur Linken damit den Weg vor ihrem Platz, bevor am Wochenende die Nachbarn zur Rechten eintreffen. Das ist wohl als nette Geste zu verstehen. Sie sollen es schön ordentlich haben, wenn sie kommen.

Monika Maier-Albang

Es gibt einen Grundirrtum beim Campen: Dass ein Urlaub im Zelt etwas mit Freiheit zu tun habe, mit Ungebundenheit und einem einfachen, naturnahen Leben - ja, dass er die Verwirklichung des Traums von der Besitzlosigkeit sei. Wer tatsächlich unbeschwert reisen möchte, der geht besser in ein Hotel. Dorthin muss man keine Bettstatt mitschleppen, kein Geschirr, keinen Sessel. Auch dass Campen billiger sei als ein Urlaub im Ferienapartment, ist zumindest zweifelhaft. Campen wird ja nicht selten zu einer Materialschlacht.

Zelten hat weniger mit Freiheit zu tun, als der Naturliebhaber denkt. Wer ganz unbeschwert reisen will, sollte besser ein Hotel buchen. Dann muss man nicht so viel rumschleppen. (Foto: dpa-tmn)

Denn Campen bedeutet beileibe nicht die Beschränkung auf das Nötigste, sondern ist eine logistische Herausforderung, um ja nichts entbehren zu müssen. Der Klappstuhl oder gar das Faltsofa mit Armlehnen, Nackenpolstern und Getränkehaltern sind nicht verzicht-, sie müssen gut staubar sein. Wein kommt keinesfalls in Wassergläser. Schließlich gibt es Weingläser mit abschraubbarem Fuß, den man für den Transport in den Kelch legt. Spart Platz.

Dann gilt es natürlich zu überlegen, ob man nicht gleich einen Vierflammkocher mitnimmt; schließlich ist er nicht doppelt so groß wie ein gewöhnlicher Campingkocher, aber doppelt so effektiv. Und da an einer Kühltasche ohnehin kein Weg vorbei führt: Warum nicht gleich eine mit Kompressorkühlung? Oder besser noch eine, die sich mit Gas kühlen - und auch beheizen lässt. Der Tag wird kommen, wo man froh darüber sein wird.

Sehr praktisch ist auch die Bananenbox: Sie passt sich der Krümmung der Frucht an, nimmt also kaum Platz weg, und verhindert, dass die Banane zerquetscht wird und der Brei über die Solardusche läuft. Auch sie ist faltbar. Natürlich.

Stefan Fischer

Das Schlimmste ist, nachts auf die Toilette zu müssen. Man schält sich aus dem Schlafsack, kämpft sich schlaftrunken durch den Zelteingang, stolpert über Heringe und wird empfangen von: Kälte. Und den Spionageblicken der bettflüchtigen Alten aus dem Wohnwagen nebenan, die wohl noch nie einen Menschen in Shorts und Flip-Flops um halb drei Uhr morgens über den Campingplatz schlendern gesehen haben. Natürlich liegt der Sanitärbereich am anderen Ende der Anlage. Endlich zurück im Zelt, ist der Schlafsack kalt und der Körper auf Hochtouren. Gerade als die Augen zufallen, muss der Zeltpartner aufs Klo und rammt einem den Ellbogen in die Nieren.

Auf einem Campingplatz wird alles, was mit Körperhygiene und der Intimsphäre zu tun hat, auf einmal öffentlich und fremdbestimmt. Wer zu früh in die Waschräume will, trifft gerne mal auf ein schwarzgelbes-Warnschild, bei dem ein Strichmännchen rücklings auf den Hosenboden fällt: "slippery when wet." Wer zu spät kommt, den bestraft das Kollektiv. Im Waschbecken verschmelzen dann Bartstoppeln jeglicher Couleur mit der Zahnpasta einer ganzen Kompanie.

Das Duschen gleicht einer Art Brackwasserwaten für Fortgeschrittene, wobei beim Umziehen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Unterhose in die Suppe am Boden fällt. Natürlich gibt es auch richtig saubere Zeltplätze, aber das sind stets jene im Nachbarort. Oder die im Himalaja.

Dort kann es passieren, dass man sich als Tourist auf das Schlimmste vorbereitet hat. Mit Hygienetüchern, mehrlagigem Klopapier und, je nach Zugänglichkeit des Terrains, Urinbeuteln oder Pinkelflaschen. Doch die indischen Sherpas wissen mehr über die Bedürfnisse europäischer Reisender als norditalienische Campingplatzbetreiber. Das Toilettenzelt ist stets sauber; früh morgens und spät abends steht eine Waschschüssel mit warmem Wasser vor dem Eingang. Und nachts findet selbst der Schlaftrunkene ausreichend Platz hinterm Zelt der Nachbarn.

Dominik Prantl

Erst tröpfelte es nur, dann schüttete es, aber die Steaks waren schon fast durch. Also beschlossen wir, die Kocherei vor unserem Zelt nicht abzubrechen, sondern die Pfanne mit dem heißen Öl mit einem Topfdeckel zu schützen. Das war zunächst gut fürs Fleisch, aber schlecht für den weiteren Verlauf des Abends. Der Deckel verrutschte, Regen fiel ins Öl, das Öl explodierte, die Pfanne kippte, Öl tropfte in die Flamme - wir mussten zur Seite springen, aber wenigstens wurde uns warm.

Kurz gesagt: Nicht das Essen ist das Problem beim Zelten, sondern die Zubereitung. Wenn man nicht gerade mit dem Auto an den Gardasee fährt, fangen die Herausforderungen schon beim Sprit für den Kocher an. Gaskartuschen dürfen nicht ins Flugzeug, man kann sie aber auch nicht überall kaufen. Dann muss ein Benzinkocher her. Allerdings: Die Brennstufen dieser Dinger zu zünden, ist die reinste Raketenwissenschaft. Dagegen ist die Frage, wie man Nudeln und Soße in verschiedenen Töpfen auf einem Kocher zubereiten kann, ohne dass beides am Ende kalt ist, zu vernachlässigen.

Abgesehen davon ist der Camper gegenüber dem Hotelgast kulinarisch klar im Vorteil. In Touristenorten stehen oft eher Schnitzel und Currywurst auf der Speisekarte als einheimische Spezialitäten. Und in manchen exotischen Luxus-Resorts entpuppt sich der "catch of the day" als tiefgefrorener Import-Lachs. Der Camper aber kauft auf Bauernmärkten ein, was ihm gefällt. Nur im Grundkurs Physik sollte er halt nicht geschlafen haben. Das schöne Fleisch jedenfalls war nach dem Ende des Flächenbrandes vor dem Zelt nur noch ein Häufchen Kohle.

Jochen Temsch

Die Natur ist schön, aber gegen uns. Niemandem ist das bewusster als dem Reisenden, der zwischen sich und die Wildnis nur eine dünne, manchmal löchrige Haut aus Polyester stellt. Zwar ist die Fauna oft sogar der Grund, weshalb wir in ein bestimmtes Land fahren. Aber sie hält sich leider nicht an die zivilisatorischen Grenzen, die wir ihr auf dem Zeltplatz setzen.

Elefanten, Löwen oder Bären sind da noch das geringste Problem. Sie machen sich nichts aus Zelten, es sei denn, es riecht dort betörend nach Essensabfällen. Viel bedrohlicher sind die kleinen Lebewesen mit wahlweise sechs Beinen (Mücke, Ameise) acht (Spinne, Skorpion) oder gar keinen Beinen (E-coli-Bakterium). Sie können einem den sauer verdienten Urlaub gehörig versauen.

In einer abgelegenen Safari-Lodge im Tsavo-East-Reservat in Kenia halten es die Betreiber für nötig, den Gästen auf dem Rückweg vom Restaurant zum Safarizelt einen mit Pfeil und Bogen bewehrten Angestellten mitzugeben, weil es hier Löwen und vor allem aggressive Nilpferde gibt. Als man dann die Zähne geputzt hat und sich ermattet in das zelteigene King-Size-Bett fallen lässt, fällt einem etwas Dunkles an der hellen Zeltplane auf. Es stellt sich als Skorpion heraus, und der verdammte Pfeil-und-Bogen-Wächter ist schon weg.

Also muss man sich dem Kampf gegen die Natur stellen, ein weißes Frotteehandtuch nehmen, den Skorpion damit fassen und samt Handtuch aus dem Zelt schmeißen. An Schlaf ist danach natürlich nicht mehr zu denken. Genauso wenig, wie wenn der Zeltpartner am mückenverseuchten Trasimener See in Italien nach dem nächtlichen Klogang vergisst, das Moskitonetz zu schließen. Das hochfrequente Geräusch am Ohr ist die größere Folter als die juckenden Stiche am nächsten Tag.

Aber es gibt auch erwünschte, manchmal sogar nützliche Tiere beim Campen. Abgesehen von Schmetterlingen und Eichhörnchen ist das alles, was sich zum Grillen eignet: Fisch oder Huhn, in exotischeren Gegenden auch mal ein Krokodil oder eine Antilope. Und selbst der stets hungrige Pinscher der Zeltnachbarn kann nützlich sein: Er eignet sich perfekt zur Beseitigung der Küchenabfälle.

Hans Gasser

Mit Nachbarn ist es ja allgemein so eine Sache: Man ist froh sie zu haben, aber es stört einen, dass es sie gibt. Sie sind praktisch, um sich Zucker zu leihen, aber sie nerven spätestens, wenn sie bis spät nachts feiern oder - noch schlimmer - sich spät nachts über die Party beschweren. Da Zeltwände ein denkbar ungeeigneter Schallschutz sind, ist das auf dem Campingplatz meist schlimmer als daheim. Morgens um vier werden Heringe in den Boden geprügelt, um das Zelt wetterfest zu machen. Beim Abendessen lernt man alles über die Erziehungsmethoden der schwäbischen Eltern zur Linken. Und des Nachts zählt ein fachmännisch durchgeführtes Schnarchen noch zu den beruhigendsten Geräuschen.

Aber wer je nach mehrstündiger Fahrt spät abends angekommen ist, um festzustellen, dass die Gaskartusche doch seit letztem Urlaub leer ist, lernt schnell, dass der begrenzte Raum des Zeltplatzes eben nicht Enge, sondern Nähe bedeutet. Unter freiem Himmel werden alle Nachbarn Brüder. Morgens wird - irgendwer hat immer gerade zu Hause angerufen - der Wetterbericht geliefert, einen Hammer auszuleihen ist kein argwöhnisch beäugter Staatsakt mehr, und das Starthilfekabel liegt ohnehin jederzeit griffbereit.

Und auf einmal sitzt man unter einem wetterfesten Vordach und denkt, dass Schwäbisch eigentlich doch ganz nett klingt. Und sollte es mit den Nachbarn gar nicht klappen, bleibt der beruhigende Gedanke, dass der Umzug mit dem Zelt deutlich unkomplizierter ist als mit der Wohnung.

Peter Sich

© SZ vom 09.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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