Buchhändler in französischer Geisterstadt:"Hier ist es nicht trist"

Nicolas Mahieu Goussainville-Vieux Pays Frankreich Flughafen Charles de Gaulle Buchhandlung

"Der Fluglärm stört mich gar nicht": Nicolas Mahieu vor seiner Buchhandlung.

(Foto: Reuters)

Der Bau des Pariser Flughafens Charles de Gaulle bedeutete das Aus für Goussainville-Vieux Pays. Das Dorf liegt direkt in der Einflugschneise, die meisten Bewohner zogen weg. Dennoch betreibt Nicolas Mahieu hier eine Buchhandlung - wenn auch oft ohne Kunden.

Von Carolin Gasteiger

Goussainville-Vieux Pays ist ein kleines Dorf nördlich von Paris. Genauer gesagt: ein lautes Dorf nördlich des Hauptstadt-Flughafens Charles de Gaulle, im Département Val-d'Oise. Täglich düsen Flugzeuge über den Ort hinweg, viele Einwohner sind ins moderne Goussainville umgezogen, wenige Kilometer weit weg. Der Flughafenbetreiber kaufte ihre Häuser, im alten Dorfkern, den einmal mehrere tausend Menschen bevölkerten, wohnen nur noch ein paar Hundert Menschen. Den Bildern des Fotografen Charles Platain nach zu urteilen, müsste eigentlich jeder, der in den Straßen mit den verfallenen Häusern lebt, vor Einsamkeit vergehen. Nicolas Mahieu hat hier ein Antiquariat mit Buchhandlung - und denkt nicht daran, den Laden aufzugeben.

SZ.de: Monsieur Mahieu, hassen Sie inzwischen Flugzeuge?

Nicolas Mahieu: Aber nein. Flugzeuge sind doch sehr nützlich, wenn man weit reisen möchte.

Viele der Einwohner des alten Dorfes sind aber wegen des Fluglärms weggezogen. Sie ertragen das nach wie vor - wie?

Nicolas Mahieu Goussainville-Vieux Pays Frankreich Flughafen Charles de Gaulle Buchhandlung

"Der Fluglärm stört mich gar nicht": Nicolas Mahieu vor seiner Buchhandlung.

(Foto: Reuters)

Ich lebe nicht in Goussainville, sondern bin nur zum Arbeiten hier. Der Flugzeuglärm stört mich nicht, aber ich muss zum Glück nachts auch nicht hier bleiben. Dann ist der Lärm unerträglich, wenn die Fenster nicht schallisoliert sind oder im Sommer offen stehen. Tagsüber ist es hingegen, als würde man am Bahnhof oder an einer Autobahn wohnen. Lärmbelästigung gibt es heutzutage in jedem Ort. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran.

Verfallene Häuser, mit Brettern vernagelte Fenster. Wie kamen Sie vor 15 Jahren auf die Idee, ausgerechnet hier ein Antiquariat zu eröffnen?

Ein Buchhändler hatte damals vor, aus dem Ortskern ein ganzes Bücherdorf zu machen, dabei wollte ich ihm helfen. Leider wurde aus dem Projekt nichts, ich bin trotzdem geblieben.

Aber der Flughafen hat die Menschen vertrieben: Goussainville-Vieux Pays soll fast ausgestorben sein.

Das stimmt so nicht, hier leben mehr als 350 Menschen. Und auch das Bild eines verlassenen Dorfes ist falsch: Das Leben hier wird nur nicht wahrgenommen, weil es alle nur machen wie die Flugzeuge und einfach vorbeirauschen.

Wie können wir uns das Leben in Goussainville-Vieux Pays denn vorstellen?

Um einzukaufen, braucht man hier ein Auto oder muss sich die Lebensmittel ins Haus liefern lassen. Das Jahr über finden einige Veranstaltungen statt, es gibt sogar einen Festsaal. Aber abgesehen davon, ist hier nichts. Kein Café oder Restaurant - wirklich schade.

Sind Sie im Laden viel allein?

Allein in unmittelbarer Umgebung meines Antiquariats leben fünf Familien, deren Häuser der Flughafen nicht gekauft hat. Inzwischen kenne ich die Dorfbewohner gut, einige sind Freunde geworden. Sie kommen immer wieder auf eine Tasse Tee vorbei und um zu plaudern. Das Leben hier ist nicht trist, wieso sollte ich also weggehen wollen?

Vielleicht weil Ihre Buchhandlung das einzige Geschäft im Dorf ist und an manchen Tagen kein einziger zahlender Kunde vorbeischaut?

Als ich 1997 anfing, gab es im gesamten Département Val d'Oise 15 Antiquariate, inzwischen ist nur noch meines übrig. Dass die Kunden nicht persönlich auftauchen, ist heutzutage aber kein Problem, ich verkaufe viel übers Internet. Umgekehrt kommen sogar viele Leute her, um mir ihre Bücher zu verkaufen.

Momentan ist mehr los in Ihrem Dorf als sonst.

In der letzten Zeit gab es einige Reportagen über unser Dorf. Das zieht Neugierige an und Leute, die sich für ein Haus oder ein Lokal interessieren. Ab und zu herrscht sogar reger Betrieb. Manchmal hilft es eben, seine Geschichte immer wieder zu erzählen.

Sie glauben also, dass eines Tages wieder Leben in Goussainville-Vieux Pays einziehen wird?

Allerdings! Wenn all die zugemauerten Häuser dank eines Wiederaufbauprojektes erst einmal saniert sind, wenn es wieder Hotels, Restaurants und Cafés gibt, warum nicht auch ein Theater? Alles ist möglich!

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