British-Columbia:"Ihr seid jetzt Teil der Nahrungskette"

Lesezeit: 3 min

Per Schlauchboot durch Amerikas letzte Wildnis: Eine menschenleere Bergwelt mit der letzten stabilen Grizzly-Population der Welt. Die Bären sind unberechenbar - und hungrig.

Eines der schönsten Raftinggebiete weltweit ist hoch im Norden Amerikas zu finden. Auf den Flüssen Tatshenshini und Alsek bewegen sich Abenteuerurlauber tagelang durch eine spektakuläre, menschenleere Bergwelt.

Der vom Wasser in die Felsen gehobelte Korridor verbindet den Tatshenshini-Alsek-Provinzpark mit den Nationalparks Kluane (Kanada), Glacier Bay und Wrangell-St. Elias (beide USA). 1979 wurde das Gebiet von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt. Die eine Hälfte liegt ständig unter Schnee und Eis: die andere beherbergt die letzte stabile Grizzly-Population der Welt.

Der Bär löst sich vom Waldsaum und trottet in Richtung Fluss. Sein Fell glänzt in der Sonne. Hin und wieder hält er prüfend die Nase in den Wind. Die Rafts, mit denen die Urlauber unterwegs sind, hat er noch nicht registriert. Doch so weit wollen es die Führer erst gar nicht kommen lassen - laut schreiend laufen sie dem Grizzly entgegen.

"Ursus horribilis" in Aktion

Das Tier reagiert sofort: Es stellt sich auf die Hinterbeine und schaut - und rührt sich nicht vom Fleck. Während die Tourbegleiter die Rucksäcke über ihre Köpfe halten, um größer zu wirken, scheint der Grizzly in aller Ruhe nachzudenken.

Nach etwa 15 Sekunden dreht er sich langsam um und joggt zum Wald zurück. Der ist vielleicht 200 Meter von ihm entfernt. Doch der braune Riese erreicht ihn - nicht einmal sonderlich schnell laufend - in weniger als 20 Sekunden.

Die Kulisse ist Ursus horribilis - so der wissenschaftliche Name des Grizzlys - angemessen. Umgeben von mächtigen Viertausendern, mündet der Tatshenshini River hier in einem Kessel in den Alsek River.

Im Nordwesten steht der Mount Logan, mit 5959 Metern der höchste Berg Kanadas. Im Westen streckt die Fairweather Range ihre Gipfel himmelwärts, im Südosten wälzt sich der Melbern-Gletscher dem Fluss zu. Mittendrin liegt die Felseninsel Petroglyph Island. Küsten- und Inlandindianer trafen sich hier einst zum Handel.

Von hier sind es fünf Tagesreisen bis zu nächsten menschlichen Behausung. Gleich am ersten Tag, kurz nach dem Start in Dalton Post, kommt es die schwerste Passage des Schlauchboottrips: In einer 90-Grad-Kurve kracht der Tatshenshini erst gegen eine 200 Meter hohe Felswand und galoppiert dann durch einen engen, acht Kilometer langen Canyon.

Dabei prügelt er die Rafts durch heftige Stromschnellen. In wilder Fahrt geht es haarscharf an dicken Felsbrocken vorbei und über steile Stufen, zu deren Füßen kräftige Gegenströmungen die Passagiere aus den Sitzen heben. Doch die Guides kennen jede Finte des Flusses.

Pfefferspray gegen Bärenattacken

Am ersten Tag geht es durch düstere Urwälder aus Schwarzkiefern, am zweiten Tag öffnet sich dann das Tal. Die ersten von Schnee bedeckten Zweieinhalbtausender schieben sich ins Bild. Touristen befahren den Tatshenshini noch nicht lange. Viele Creeks und Canyons wurden erst von den Guides benannt.

"Das da drüben ist Bear Bite Creek", sagt Expeditionsleiterin Mel und dreht das Raft in Blickrichtung. "Vor ein paar Jahren wurde dort eine Frau nachts im Zelt in die Wade gebissen." Da spitzt der Mitfahrer die Ohren.

Andere Hinweise auf Bären tauchen am Tag darauf auf. Inzwischen hat man gelernt, sich auf die wichtigsten Dinge zu konzentrieren: warm bleiben, trocken bleiben - und kein Gang aufs Klo ohne Pfefferspray und Nebelhorn, um für einen Angriff gerüstet zu sein.

Mutter Natur in Höchstform

In einem Birkenwäldchen haben Grizzlys ihre "Graffitti" hinterlassen: mit scharfen Klauen tief in die Stämme gerissene Kerben in gut drei Metern Höhe. Tourbegleiter Mark klatscht jetzt öfter in die Hände. "Ihr seid jetzt Teil der Nahrungskette", sagt er den Touristen.

Am fünften Tag sorgen einmündende Creeks für Turbulenzen auf dem Tatshenshini. Von Gletschergeröll aufgestülpte Ufer und blau schimmernde Eisfelder überall - Mutter Natur läuft hier zu Hochform auf.

Bald grassiert das, was die Guides "SOS" nennen, das "Scenic Overdose Syndrom" (Landschafts-Überdosis-Syndrom). Ermattet vom Wechseln der Kamera-Speicherkarten, lehnt sich der Rafter zurück und konzentriert sich aufs Genießen.

Nachmittags kommt Gegenwind auf, jeder muss nun paddeln. Bald kommen die Viertausender in Sicht - und Petroglyph Island mit dem Grizzly am Waldsaum. Am siebten Tag erreicht der Tatshenshini-Alsek-River dann Alaska. Die kanadisch-amerikanische Grenze, eine rote Linie, die auf beiden Ufern schnurgerade bergan verläuft und irgendwo zwischen den Bergen verschwindet, wirkt für die Flussreisenden absurd.

Tags darauf tasten sich die Rafts in eine surreale Welt aus Eis und Wasser. Die Eisberge scheinen miteinander zu sprechen. Dann lösen sich Stücke vom Rumpf und verschwinden im Wasser. Zu nah heran wollen Mel und Mark nicht: Geschichten von jäh herum rollenden Eisbergen gibt es viele.

Der zehnte Flusstag versinkt im Regen. Am elften geht es dann nach Dry Bay, einer Fischfabrik mit Rollfeld. Nichts bleibt trocken, alle frieren erbärmlich. Nie war die Vision einer heißen Dusche schöner.

Informationen: Canadian Tourism Commission, c/o Lange Touristik-Dienst, Eichenheege 1-5, 63477 Maintal (Tel.: 01805/52 62 32 für 12 Cent/Minute, E-Mail: canada-info@t-online.de)

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: