British-Columbia:Gamaschen bitte!

Der West Coast Trail auf Vancouver Island ist eine der spektakulärsten Wanderrouten in Nordamerika. Er ist aber auch einer der matschigsten. Deshalb sollte man die kleinen Überzieher nicht vergessen.

Ingo Hübner

"Zuerst ein paar Zahlen für die Wanderstatistik." Ein leicht diebisches Grinsen huscht bei diesen Worten über das Gesicht von Rangerin Lee. Könnte aber auch Einbildung sein. In dem kleinen Hexenhäuschen wird es still, die Orientierung suchenden Wanderer lauschen angespannt.

Das Haus, das die Nationalparkverwaltung am Startpunkt des West Coast Trail in Bamfield unterhält, markiert den letzten Posten der Zivilisation. Sprühregen hängt wie ein Schleier vor der Hütte. Zügig betet Lee vor: "Der Trail ist 75 Kilometer lang, hat 108 Brücken, 37 Leitersysteme und vier Cable Cars, um größere Flüsse zu überqueren."

Systeme deshalb, weil sich an den Felswänden oft mehrere Leitern übereinander, bis zu 60 Meter hoch, befinden. Rund 100 Personen müssen pro Jahr wegen Verletzungen oder simplen Schwächeanfällen evakuiert werden. 29 waren es seit Mai - in dickem schwarzem Edding prangt die Zahl auf einer Tafel hinter Lee an der Wand.

Hätte mir das einer mal vorher gesagt!

Der West Coast Trail ist nämlich für die Physis einer der anspruchsvollsten Wege, die der nordamerikanische Kontinent zu bieten hat.

Hätte mir das einer mal vorher gesagt! Und noch etwas. Bei Begegnung mit Berglöwe oder Wolf: In die Augen schauen, Stöckchen schwingen und Tier bedrohen! Bei Begegnung mit Schwarzbär: All das lieber nicht, sondern Ruhe bewahren und sich langsam entfernen! "Mit den Tieren hat es aber noch nie Zwischenfälle gegeben", besänftigt Lee die Gemüter mit vertrauenserweckender Stimme.

Wer auf der Abenteuerskala noch einen Punkt draufsetzen will, nimmt am besten den West Coast Trail Bus in Victoria, um nach Bamfield zu gelangen. Mit etwas Glück fährt ihn Ronda. Sie könnte glatt als Schwester von Ozzy Osbourne durchgehen.

Mit der gleichen Todessehnsucht wie Ozzy, der auf der Bühne Tauben den Kopf abgebissen hat, jagt sie den Bus durch die Waldstraßen, während dessen Achsen permanent versuchen geräuschvoll von unten durch den Fußboden zu brechen.

Ab und an kommen Trucks entgegen, schwer beladen mit Holzstämmen, denen Ronda dann in letzter Sekunde mit schreienden Bremsen aufs Bankett ausweicht.

Das alles ist aber schnell vergessen, wenn der Wald einen erst mal in seinen feuchten Schoß aufgenommen hat. Dann diktieren ganz andere Banalitäten die Gedanken.

Dinge wie: Wo ist das nächste Kilometer-Zeichen? Wir müssten doch schon längst so weit gelaufen sein... Oder: Kann ich etwas von meinem Gepäck verbrennen, damit der Rucksack leichter wird?

Aber nein, was für ein frevelhafter Einfall! Immer schön einen Fuß vor den anderen setzen und die Natur genießen. Hier kommt sie wirklich nahe an dich ran, wenn sie nur ein paar Monate Zeit dafür hat. Der Weg ist schmal, links und rechts wuchert das Grün in Hülle und Fülle.

Riesenfarne, Sträucher, Gräser, sie alle wollen die kleine Schneise zurückerobern, die die Park-Ranger in den Wintermonaten für die Wanderer im Sommer in Schuss bringen. Nach zehn Kilometern: Pachena Point, der erste Leuchtturm inklusive Wärterhaus.

Wirkt ein wenig befremdlich so eine Oase streng gestutzter Grünfläche und die adrett rot und weiß gestrichene Behausung nach all dem Urwald. Und der Wärter ist wohl auch spazieren gegangen. "Eintritt willkommen", steht an der Gartentür und für ein wenig Geschichte ist immer Zeit.

Die Leuchttürme und vor allem der Trail sind die Antwort auf die schweren Havarien vor der Küste von Vancouver Island, die um die Jahrhundertwende vielen Menschen das Leben gekostet haben. Der West Coast Trail wurde zunächst für die Verlegung von Telekommunikations-Tiefseekabeln vor der Küste angelegt, die von Victoria nach Indien führten.

Später diente er als Rettungsweg für die Schiffbrüchigen. Wie viele dann wohl noch auf dem Weg auf der Strecke geblieben sind?

Tsusiat Falls ist der wohl bekannteste Zeltplatz entlang der Strecke. Goldener Strand, von wuchtigem Treibholz übersät. Eingerahmt von einer hohen Felswand, von der sich ein etwa zwanzig Meter breiter Fluss hinabstürzt.

Erfrischung im eiskalten Wasser

Der Ort ist noch spektakulärer, weil ich ihn mir zu Fuß erobert habe und nun meinen matten Körper in dem eiskalten Wasser erfrischen darf. Das tut Not, denn es sind 17 Kilometer bis zum nächsten Camp und der Trail soll anstrengender und unwegsamer werden.

Gamaschen bitte!

Eines hab ich bei der Statistik nämlich unterschlagen, ist ja auch eher Teil des Selbsterfahrungsprogramms: die Mudholes, Schlammlöcher. 779 hat der Trail, ich hab sie alle gezählt, wirklich! Gut, dass man doch die knöchelhohen Wanderstiefel gekauft hat und nicht die flachen, mit denen wäre man mächtig aufgeschmissen.

Gamaschendiskurs am Lagerfeuer

Wenn es dann richtig zur Sache geht, helfen aber eigentlich nur noch Gamaschen. Womit wir auch schon beim Thema für den abendlichen Smalltalk am Lagerfeuer wären: Wie tief waren eure Schlammlöcher heute? (Erfahrungsaustausch mit den entgegenkommenden Wanderern) Habt ihr Gamaschen? Welche, die die man mit einem Riemen unter der Schuhsohle hindurch zusätzlich befestigen kann?

Dabei kann sich am abendlichen Lagerfeuer ein richtiger "Gamaschendiskurs" entwickeln. Und dann gibt es auch noch Leute, wie mich natürlich, die keine Gamaschen haben, aber im Gegensatz zu mir auch gute Gründe dafür haben.

Dana zum Beispiel, eine Patrouille der Ditidaht First Nations, die für die Sicherheit der Wanderer sorgt. Sie glaubt, dass die Gamaschen den Schlamm die Beine hinaufsaugen und so das Laufen noch schwerer machen, als es sowieso schon ist.

Vor allem bei Regen wird es kompliziert, denn dann steigt nicht nur die Saugkraft der Schlammlöcher, es machen auch die unzähligen Holzstege und die monströsen Baumstämme, die sich entschlossen haben den Weg zu zieren, der gemeinen Schlittschuhbahn Konkurrenz.

Von allem drei bietet der Trail eine nette Kombination zwischen den Tsusiat Falls und Nitinat Narrows, dem Punkt, wo die Ditidaht First Nations eine Fähre über den Fluss unterhalten.

"Die Ditidaht haben schon immer eine wichtige Rolle auf dem West Coast Trail gespielt", erzählt Fährmann Carl, gemütlich in seinen weißen Garten-Plastikstuhl gelehnt, während neben ihm im Bullerofen das Feuer frische Holzscheite laut krachend verzehrt.

"Meist törichte Wanderer retten"

Jenseits der Überdachung des Bootssteges regnet es. Ein wenig Stolz schwingt in seiner Stimme mit, als er darüber berichtet, wie seine Familie früher oft Schiffbrüchige auf dem Trail aufgelesen und sie so vor dem Tod gerettet hat. "Heutzutage müssen wir meist törichte Wanderer retten, die den Trail unterschätzen", sagt er und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Dann steht er auf, Arbeit wartet, der Wald hat neue Wanderer auf der anderen Seite des Flussufers ausgespuckt.

Im Rückblick gehen einem fast 17 Kilometer Schlammwurzelmarsch komprimiert auf zwei drei Foto-Schnappschüsse aber erstaunlich leicht von der Hand. Wie fern ist da der Weggedanke, wie haben das bloß die Schiffbrüchigen überlebt?

Der Mühen Lohn erfolgt immer abends. Auf dem Zeltplatz, am Strand. Dort wird die Enge des Waldes mit teilweise übermächtigen Dimensionen der Weite kontrastiert.

Cribs Creek ist so ein Ort. Nebel steigt über der Brandung des Pazifik auf und fingert wie mit Geisterhänden in den Wald hinein, der sich beinahe schwarz hinter dem Strand erhebt. Dann geht die Sonne unter. Viel Zeit lässt sie sich hier.

Unter den Wolken ein endlos glühendes Band am Horizont. Danach habe ich von Wurzeln geträumt, oberschenkeldicke, die sich um meine Beine winden und mich in die Schlammlöcher hineinziehen wollen.

Bei solchen Symptomen sollte als Alternative die Strandroute gewählt werden, was wir am nächsten Tag auch befolgen, solange es geht. Am Strand sitzt einem nämlich oft die Zeit im Nacken, weil es Engstellen gibt, die nur unter gewissen Tidenständen passiert werden können.

Kurz nach dem zweiten Leuchtturm am Carmanah Point liegt am Strand die Behausung, oder besser ein Verschlag aus Brettern und Plastikfolien zusammengezimmert, von Chez Monique. Chez hat es sich zur Aufgabe gemacht Hamburger, Süßigkeiten und andere Köstlichkeiten an Wanderer zu verkaufen und während des Essens wie ein Maschinengewehr auf die Gäste einzureden.

Dummerweise wage ich es, über die Schlammlöcher zu jammern, die hinter uns liegen, worauf Chez mich anfährt, dass ich Haltung bewahren soll. "Das ist nichts gegen das was Du noch vor Dir hast mein Junge, da kommen Schlammlöcher, so groß und tief, dass Du drin baden kannst. Freu Dich, das sind die, wo Deine Mutter immer geschimpft hat, wenn Du früher drin spielen wolltest", herrscht sie mich an.

Postkartenreife Strandkulisse

Ihr weißes wehendes Haar verleiht ihr die Aura einer leicht verrückten Professorin. Chez ist mit Peter, einem Angehörigen der Ditidaht verheiratet und wohnt hier draußen schon ewig, wie sie sagt. Sie wird wohl auch noch lange bleiben, um den vorbeikommenden Wanderern einzuheizen.

Weiter geht's, kilometerlang durch postkartenreife Strandkulisse, ab und an blasen Wale ihre Wasserfontänen in Sichtweite. Die ganze Szenerie wirkt äußerst friedvoll und wiegt mich schließlich in dem trügerischen Gefühl, den Weg im Sack zu haben.

Doch bekanntlich ist es nicht besonders schlau die Rechnung ohne den Wirt, in diesem Fall die Wirtin Chez, zu machen. Am Carmanah Creek geht es wieder in den Wald, und ab da fährt der Trail alle nur erdenklichen Schikanen auf.

Der visuelle Kosmos beschränkt sich nach kürzester Zeit auf Wurzelwerk, hüfthoch, Schlamm, knietief, Leitern, wolkenkratzerhoch und natürlich Bäume und Baumstämme in der Größenordnung von Tanklastwagen. Dafür ist viel Zeit sich auf die Geräusche zu konzentrieren.

Schlammlöcher können beim Reintreten nämlich in unendlich vielen Tonhöhen glucksen und schmatzen. Schön ist es auch zwischen dem permanenten Trommelfeuer der Wassertropfen auf das Blattwerk das Nahen entgegenkommender Wanderer herauszuhören.

Oft kündigt sich das durch ein zartes Klingeling an, das sind die Bärenglocken, die vorsichtige Seelen an ihren Rucksäcken befestigen. Dabei verschwende ich schon lange keinen Gedanken mehr an irgendwelche Tiere, die mir gefährlich werden könnten, ich bin nur noch darauf fixiert den Trail zu besiegen.

Irgendwann kam dann das 75-Kilometer-Zeichen und ich habe wieder geträumt, diesmal von meinem Triumph. Hat mir die Nationalparkverwaltung wirklich eine Urkunde ausgestellt?

Als ich aufwache umgibt mich Meditationsmusik, der Raum ist in dezentes braunes Licht gehüllt, Geruch von ätherischen Ölen in der Luft. "Du bist während der Entspannungsmassage eingeschlafen", freut sich Michelle. So soll es sein.

"Weißt Du, dass der West Coast Trail auf der Was-ich-einmal-im-Leben-tun-will-Wunschliste der Kanadier ganz oben steht? Nur kaum einer traut es sich schließlich auch zu."

Warum tut man sich so etwas auch an, ist die entscheidende Frage. Nun, die First Nations gehen in den Wald, um dem Schöpfer näher zu sein und auf dem West Coast Trail gibt es verdammt viel Wald.

Information: Lange Touristik Dienst, Tel. 01805 526 232, E-mail: canada-info@t-online.de, British Columbia im Internet: www.HelloBC.com

Flug LTU fliegt Dienstag, Mittwoch und Sonntag von Düsseldorf (Zubringer ab Frankfurt, München) nach Vancouver, Tel. 0211 9418 333, Internet: www.ltu.de

Übernachten Vancouver: Opus Hotel. Schickes Hotel, das sehr zentral im angesagten Viertel Yaletown liegt. 322 Davie Street, Tel. +1 (604) 642 6787, Fax (604) 642 6780, E-Mail: Info@opushotel.com, Internet: www.opushotel.com

Victoria: The Fairmont Empress Hotel. Ist die Queen zu Besuch, steigt sie hier ab. Zentral gelegen mit phantastischem Blick über den Hafen und kleinem aber feinem Spa. 721 Government Street, Tel. +1 (250) 995 3652, Fax (250) 389 2747, E-Mail: theempress@fairmont.com, Internet: www.fairmont.com/empress. Buchbar auch über den Reiseveranstalter TUI, Internet: www.tui.de

Von Vancouver zum West Coast Trail Mit dem Bus nach Victoria: Pacific Coach Lines fährt von Stadtzentrum Vancouver nach Victoria, Tel. +1 (604) 662 7575, Internet: www.pacificcoach.com Mit dem West Coast Trail Bus geht es von Victoria zu den Startpunkten des Trails, Tel. +1 (250) 477 8700, Internet: www.trailbus.com

Praktisches Der West Coast Trail ist vom 1. Mai bis zum 30. September geöffnet. Für die 5 bis 7 Tage dauernde Wanderung ist eine Erlaubnis der Nationalparkbehörde erforderlich. Da die tägliche Zahl der Wanderer limitiert ist, empfiehlt es sich vorher zu reservieren. Informationen für das Permit gibt es im Internet unter: http://www.pc.gc.ca/pn-np/bc/pacificrim/activ/activ6a_e.asp

Die Anschrift der Nationalparkbehörde lautet: Pacific Rim National Park Reserve, 2185 Ocean Terrace Rd., P.O. Box 280 Ucluelet, Tel. +1 (250) 726 7721, Fax (250) 726 4720, E-Mail: pacrim.info@pc.gc.ca Das schwierigste Stück der Wanderung ist das südliche Ende. Wer also extrem beginnen will, startet von Port Renfrew aus, gemächlicher ist der Start in Bamfield.

Ausrüstung Das Gepäck sollte so leicht wie möglich sein. Ausrüstung und Kleidung sollte sehr regenresistent und atmungsaktiv sein, aus Materialien wie z.B. Gore-Tex. In Vancouver gibt es eine Vielzahl von Outdoor-Geschäften. Besonders bei Mountain Equipment (130 West Broadway, Internet: www.mec.ca) in Vancouver bleiben keine Wünsche offen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: