Bremen:Avantgarde und niederdeutsche Tradition

Weil der Erfinder von Kaffee HAG Reklame machen wollte, entstand vor 75 Jahren die Böttcherstraße in Bremen. Heute ist sie eine der Haupttouristenattraktionen in der Hansestadt.

Sein Geld machte er mit Kaffee HAG, sein Herz schlug für die Kunst: Ludwig Roselius ging ebenso als Erfinder des entkoffeinierten Kaffees in die Geschichte ein wie als Mäzen.

Vor 100 Jahren verkaufte Roselius den weltweit ersten Schonkaffee. Vor 75 Jahren spazierte das staunende Publikum erstmals durch das von ihm finanzierte architektonische Gesamtkunstwerk: die Böttcherstraße in Bremen.

Wie die Überlieferung besagt, führte den Kaffeekaufmann sein täglicher Arbeitsweg durch das verfallene Handwerker-Gässchen unterhalb des Marktplatzes. Die Freuleins Pennmeyer, die das Haus Nummer 6 bewohnten, überzeugten ihn 1902, ihnen den zur Last gewordenen Besitz abzukaufen.

Architektur als Kaffee-Reklame

In den folgenden Jahren erwarb Roselius die weiteren Bauten und fasste einen Plan: Die mit Mitteln seiner 1906 gegründeten Kaffee-Handels-Aktiengesellschaft (HAG) neu errichtete Böttcherstraße sollte als Reklame für sein Getränk dienen.

Nur ein Haus von 1588 blieb stehen. Sechs weitere ließ Roselius vom Bremer Architekturbüro Runge und Scotland und dem Bildhauer Bernhard Hoetger in Backstein neu bauen. Bei den Arbeiten ab 1922 entstand eine Mischung aus niederdeutscher Tradition und Avantgarde. Akzente setzten die Erbauer zudem mit Plastiken und Backsteinreliefs.

Als ein Höhepunkt expressionistischer Baukunst gilt der aus blauen und weißen Glasbausteinen gestaltete Himmelssaal im Haus Atlantis. Mit dem Paula Modersohn-Becker-Museum schuf der kunstsinnige Roselius 1927 das weltweit erste Künstlerinnen-Museum.

Mit dem Crusoe-Haus setzte er der Romanfigur Robinson Crusoe ein Denkmal. Das Haus des Glockenspiels schließlich ist nicht nur für den Klang von 30 Glocken aus Meißener Porzellan bekannt. Dazu drehen sich in einer Mauernische zehn Holztafeln, die berühmte Ozeanbezwinger zeigen.

Schon seit der Eröffnung 1931 mischten sich in der Böttcherstraße Kunst und Kommerz. In Probierstuben konnten Kunden den Schonkaffee verkosten. Viele Kunsthandwerker arbeiteten in ihren Ateliers, im Restaurant Flett ließen es sich die Flaneure gut gehen.

Den Nationalsozialisten allerdings war die Straße ein Dorn im Auge. Und zwar so sehr, dass sie das Ensemble unter Denkmalschutz stellten als abschreckendes Beispiel für "Entartete Kunst". Britische Brandbomben legten die Straße 1944 in Schutt und Asche. Mit Mitteln des Kaffee-HAG-Konzerns wurde sie wieder aufgebaut, 1988 trennte sich die Familie endgültig von der Touristenattraktion.

Kino, Spielbank und Kunsthandwerk

Heute zählt die Böttcherstraße zu den bedeutenden Touristenattraktionen Bremens. Laut Statistik rangiert sie mit der Roland-Skulptur auf dem Marktplatz und dem historischen Schnoor-Viertel unter den Top drei in der Besuchergunst, wie die Geschäftsführerin der Böttcherstraßen Gmbh, Susanne Gerlach berichtet.

Neben der Kunst lockt die Besucher Kunstgewerbe, hochwertige Mode und kulinarische Genüsse, ein Programmkino, ein Nobel-Hotel und die Bremer Spielbank.

Zum Jubiläum wird den Gästen noch bis zum 25. Juni ein besonderes Programm geboten: mit vielen Vorträgen, Konzerten und Ausstellungen und Aufführungen. Unter anderem bieten Musik-Studenten neue Kompositionen für das Glockenspiel dar. Die in Bremen ansässige Schauspielergruppe, Shakespeare Company, setzt die Geschichte der Böttcherstraße in Szene unter Titel: "Eine folgenreiche Tasse Kaffee".

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