Brasilien:Einsame Schönheit

Der Archipel Fernando de Noronha in Pernambuco ist das Lieblingsziel der Brasilianer. Nun entdecken auch andere Urlauber die streng geschützten Inseln.

Von Charlotte Theile

Wer zum schönsten Strand der Welt möchte, sollte einen starken Magen haben. Unter lautem "Ohhh!" und "Eyyy!" kippt das Flugzeug zur Seite, unter dem Fenster taucht ein Felsen auf, Bäume, eine riesige Landebahn. Das Flugzeug dreht sich, Strände ziehen vorbei, kleine Häuschen, ein Swimmingpool, dann kippt es zur anderen Seite. Der Pilot dreht in schnelleren Runden um die Insel. Atlantik, Felsen, Strand, Himmel, Atlantik, Felsen, Strand. Hilfe!

Der Archipel Fernando de Noronha im Bundesstaat Pernambuco - ein Dutzend Inseln und ein paar Felsen auf knapp 30 Quadratkilometern - ist eines der beliebtesten Reiseziele Brasiliens. Zumindest, wenn man Brasilianer fragt. Außerhalb des Landes ist die Inselgruppe noch nicht so bekannt. Das könnte sich bald ändern. Kürzlich hat das Reiseportal Trip Advisor Baía do Sancho auf der Hauptinsel zum besten Strand der Welt gewählt.

"Auf Noronha ist es so: erst die Tiere, dann die Menschen", sagt Kevele Lima und schiebt sich eine per Flugzeug importierte Garnele in den Mund. "Alles hier ist Naturschutzgebiet. Wer ein Tier überfährt, muss 5000 Real (etwa 1600 Euro) Strafe zahlen - selbst wenn das Tier schuld war." Lima ist 31, seit 23 Jahren lebt er auf Noronha. Lange genug, um als echter Inselbewohner zu gelten. Das Bleiberecht ist begehrt: Nur etwa 1500 der 5000 Bewohner dürfen für immer auf der Insel wohnen - alle anderen haben nur eine Arbeitserlaubnis. Kevele Lima arbeitet als Reiseführer. Dass die Insel bald von Touristen aus Europa und Nordamerika überrannt werden könnte, fürchtet er nicht, er ist einer der wenigen hier, die Englisch sprechen. Außerdem hat sich Fernando de Noronha als Musterbeispiel des nachhaltigen Tourismus etabliert. Nur 420 Reisende dürfen sich gleichzeitig auf der Insel aufhalten, heißt es in den Reiseberichten, andere schreiben , das Limit sei 246. "Stimmt alles nicht", sagt Lima. "Meistens sind es etwa 1000."

Was stimmt, ist, dass auf Noronha strenge Regeln die einzigartige Umgebung bewahren: Gut 70 Prozent der Insel sind Naturschutzgebiet, nur die Hauptinsel darf betreten werden. Hotels, Restaurants, Tauchschulen werden nur dann gestattet, wenn sie das Ökosystem nicht beeinträchtigen. Sanfter Tourismus, so wie er auf Fernando de Noronha praktiziert wird, ist Luxus-Tourismus. Ein einfaches Zimmer kostet mindestens 70 Euro pro Nacht, Reisende zahlen für jeden Tag auf der Insel eine Umweltsteuer von 15 Euro. Selbst Roberto Maldonado von der Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) fällt zu Fernando de Noronha vor allem eines ein: dass er dort extrem gut gegessen habe. Die Restaurants bieten eine riesige Auswahl an Gerichten - japanisch, italienisch, französisch, eingeflogen vom Festland. Auf der Insel selbst wächst nicht viel, die Fische im Meer sind geschützt.

Der Hotelchef umgibt sich mit gut aussehenden Frauen und zeigt den Surfergruß

"Wenn das Essen ausgeht, bekommt ihr alle eine Woche gratis im Hotel Zé Maria!" Jubeln. Beim Festival de Food, das jeden Mittwoch und jeden Samstag im größten Hotel der Insel stattfindet, wird vor allem Neugier befriedigt. Wer noch nie gesehen hat, wie ein Berg Sashimi feinster Qualität aussieht oder mal probieren will, wie viel Lamm er auf einmal essen kann: Hier ist der Platz dafür. Drei kleinwüchsige Transvestiten sind zur Unterhaltung der Gäste vom Festland eingeflogen worden, außerdem das Fernsehen. Die Garnelenplatten, der Fisch und der Rinderbraten werden vorgestellt und gefilmt, die Transvestiten tanzen, die Touristen fotografieren sich selbst mit Riesen-Paella im Hintergrund.

Der Hausherr, ein braun gebrannter Mann mit langen, schmutzig-weißen Locken, sieht zufrieden aus. Der Tisch mit den Sashimi-Bergen sei das spirituelle Zentrum des Hauses, erklärt Zé Maria, das Hotel hat er nach sich selbst benannt. Wie er Hotel und Restaurant aufgebaut hat, als er vor 26 Jahren auf die Insel kam, was er verdient oder welche Pläne er hat - das sind keine guten Fragen für den 58-Jährigen, der gerade zwei Schönheitsköniginnen aus der Küstenstadt Recife mit Küsschen verabschiedet. "Gute Dinge" seien in seinem Leben passiert - Spirit, Glaube, das Meer. Zé Maria zeigt den Surfergruß, kleiner Finger und Daumen ausgestreckt, die Audienz ist beendet. Von den brasilianischen Touristen, die für seine Hotelzimmer und die legendäre Silvesterparty Preise bezahlen, wie man sie sonst von Schweizer Ski-Orten kennt, wird er verehrt wie ein König.

Bis auf die Preise ist Noronha ein entspanntes Reiseziel. Man sieht Surfer, Taucher, Spaziergänger, am Strand finden Slackline-Wettbewerbe statt. Alle fahren quietschbunte Beachbuggys. Nur eine Straße ist geteert, der Rest ist Sandpiste voller Schlaglöcher. Vor der einzigen Tankstelle hängt ein Plakat: "Danke, dass Sie sich für unser Unternehmen entschieden haben."

In Sueste Bay braucht man nichts weiter als Taucherbrille und Schnorchel, um die gewaltige Vielfalt des Meeres zu bestaunen: Hunderte bunte Fische, riesige Schildkröten und kleine, friedliche Haie schwimmen um einen herum. Die strikte Vorgabe, keines der Tiere zu berühren, ist in dem Gewimmel nicht so einfach einzuhalten. Dass die Insel bei Tauchern so beliebt ist, hat aber noch einen anderen Grund. Im Meer liegen zwei Wracks: eines 64 Meter tief und nur für Profis erreichbar, außerdem das Frachtschiff Eliane Estatatus, nur acht Meter unter der Wasseroberfläche und selbst ohne Tauchschein zu erkunden.

Dazu: Delfine. In der Golfinho Bay einige Kilometer weiter kann man sie schon vom Festland aus beobachten. Näher kommt man den Tieren mit dem Boot, wobei es hier, wie fast immer auf Fernando de Noronha, die Wahl zwischen ganz normalem und ganz schön krassem Luxus gibt. Für umgerechnet 320 Euro kann man die Insel mit einer eigenen Yacht umrunden. Die Delfine kommen dabei so nah, dass man sie fast schon streicheln kann. Nach dem Tauchgang gibt es Champagner und gebratenen Fisch. Die etwa drei Stunden dauernde Bootsfahrt bietet Schatten in der unbarmherzigen Insel-Sonne, eignet sich daher auch für einen Mittagsschlaf - zum Beispiel, wenn man die Nacht davor bei Leila Saadaoui verbracht hat.

Neben der im 18. Jahrhundert erbauten Ortskirche, dort, wo früher einmal das Pfarramt war, hat Saadaoui, eine Marrokanerin, die lange in Frankreich gelebt hat, eine Art Club aufgemacht. Tanzfläche, Bar und Bühne gehen direkt in die Kirche über. Am Sonntag läuft Samba, sonst Reggae. Saadaoui findet, dass wenig ausländische Touristen kommen - doch für ihre Freunde in Europa ist Noronha zu weit entfernt.

Wie es ist, wenn man längere Zeit in der abgeschiedenen Tropenlandschaft verbringt? Dann, erzählt Reiseführer Kevele Lima, merke man doch, dass einem einiges fehle. Die Supermärkte sind hin und wieder leer, wenn es Sturm gegeben hatte und weder Schiffe noch Flugzeuge übers Meer kommen konnten. Früher war Noronha ein Gefängnis, wie viele abgelegene Inseln. 200 Jahre lang versuchten Menschen auf allen möglichen Wegen, das heiße, felsige Eiland zu verlassen. Der Mulungu, ein Baum, der auf der Insel wächst, eignet sich hervorragend zum Bootsbau - nach ein paar Stunden auf dem Meer saugt sich das Holz allerdings voll mit Wasser. "Nach sechs bis sieben Stunden Fahrt sind die Gefangenen ertrunken", sagt Kevele Lima. Auf der Insel erfuhr das kaum jemand.

Die wenigen tausend Menschen, die heute auf Fernando de Noronha leben, stammen von diesen Gefangenen ab. Im 18. und 19. Jahrhundert haben sie eine Burg und eine Kirche errichtet, die Straßen gepflastert und einen erhöhten Appellplatz angelegt. Später dann kamen die Amerikaner, das Militär, ein geheimer Stützpunkt entstand. Mitte der 1960er-Jahre beendeten die Amerikaner ihre Mission im Pazifik, Noronha lag verlassen da. Als die Insel noch einmal 20 Jahre später begann, in den Tourismus zu investieren, war Umweltschutz bereits ein Thema. 2001 kürte die Unesco den Archipel zum Weltnaturerbe. Haie, Delfine, die bunten Fische und Vögel hier draußen sollten bewahrt werden.

Ob das auch gelingen wird, wenn immer mehr Touristen bereit sind, viel Geld für ein paar Tage auf Fernando de Noronha zu zahlen? Der kleine Inselflughafen jedenfalls, auf dem man schon jetzt einige Stunden auf Gepäck und Papiere warten muss, kann trotz Überlastung kaum ausgebaut werden. Für eine schöne Landebahn fliegt schließlich niemand über den Atlantik.

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