Bolivien:Auf den Spuren des ewigen Guerilleros

Bolivien: In La Higuera steht eine Statue, die den Guerillero zeigt, der in dem Dorf exekutiert wurde. Bei dem Versuch, die Revolution aus Kuba hierher zu bringen, starben auch die meisten seiner Gefolgsleute.

In La Higuera steht eine Statue, die den Guerillero zeigt, der in dem Dorf exekutiert wurde. Bei dem Versuch, die Revolution aus Kuba hierher zu bringen, starben auch die meisten seiner Gefolgsleute.

(Foto: Heiko Meyer/laif)

Vor 50 Jahren wurde Che Guevara in einer Schlucht in Bolivien gefangen genommen. Die Orte, an denen er seine letzten Wochen verbrachte, kann man heute bereisen - auf der "Ruta del Che".

Von Tom Noga

Susana Osinaga ist eine Dame in den Siebzigern: die Gesichtszüge verhärmt, die Sprache stockend. Sie sitzt hinterm Tresen ihres Gemischtwarenladens im Zentrum von Vallegrande, einer Provinzstadt im Süden Boliviens. Über ihr an der Wand hängen Bilder des Señor de Malta, des Schutzpatrons von Vallegrande: ein gekreuzigter, schwarzer Jesus. Und ein Foto des toten Che Guevara: umringt von Militärs und Fotografen, ein Uniformierter deutet auf Che Guevaras blanke Brust - dort muss die tödliche Kugel ihn getroffen haben.

Doña Susana war Krankenschwester im Hospital von Vallegrande, als der Leichnam dort ankam, auf einer Bahre, die an den Kufen eines Helikopters hing. "Der Arzt fragte, ob wir wüssten, wer das ist", erinnert sie sich. "Niemand im Krankenhaus hatte die leiseste Ahnung."

Es ist der 9. Oktober 1967. Tags zuvor war der Guerillero in Gefangenschaft geraten, zwei Tage später sollten seine sterblichen Überreste nahe der Landebahn des Militärflughafens von Vallegrande verscharrt werden. Davor wurden ihm die Hände abgehackt, um eine spätere Identifizierung zu erschweren - so groß war die Angst selbst vor dem toten Che Guevara.

Doña Susana hat den Leichnam gewaschen und mit einer Pyjamahose aus dem Krankenhaus bekleidet. "Dann sagten sie uns, wir sollten seine Augen schließen. Die waren offen, sie schienen uns zu folgen, egal, wohin wir im Raum gingen. Aber das haben wir nicht gemacht, weil er mit den offenen Augen und den langen Haaren aussah wie Jesus."

Wo Che Guevaras Leichnam verscharrt worden war, befindet sich heute ein Museum

Das Foto des toten Che Guevara, scheinbar sanft entschlafen, mit offenen Augen - es ist eine Ikone. Wie jene Aufnahme, die der kubanische Fotograf Alberto Korda von ihm schoss: Baskenmütze mit Stern auf dem Kopf, die Haare darunter flatternd im Wind, den Blick in die Weite gerichtet. Die beiden Fotos illustrieren die Legende des ewigen Guerilleros, der sein Leben für eine Sache gab, die er als richtig und wichtig erkannt hatte.

Wo Che Guevaras Leichnam verscharrt worden war und 30 Jahre später, im Sommer 1997, exhumiert wurde, befindet sich heute ein Museum. Es erzählt in Bildern und Schautafeln das Leben des Revolutionärs: geboren im Jahr 1928 im argentinischen Rosario. Während und nach seinem Medizinstudium ganz Süd- und Mittelamerika bereist. In Mexiko den kubanischen Anwalt Fidel Castro kennengelernt. Mit ihm und einer anfangs nur 82 Mann starken Guerillatruppe das Regime des Diktators Fulgencio Batista auf der Karibikinsel gestürzt. Im nachrevolutionären Kuba Leiter der Nationalbank und Industrieminister. Schließlich der Versuch, die Revolution zu exportieren, erst in den Kongo, dann nach Bolivien.

Vor dem Museum in Vallegrande steht Erlan García, 30 Jahre alt, kräftige Statur, eine Baseballkappe tief in die Stirn gezogen. Erlan García ist geboren und aufgewachsen in Vallegrande. Und ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Ruta del Che. Diese Reiseroute auf den Spuren der Guerilla führt von Santa Cruz de la Sierra, Boliviens Wirtschaftsmetropole im feucht-warmen Tiefland, hinauf nach Vallegrande und weiter nach La Higuera, wo Che Guevara erschossen wurde. Touristiker haben sie vor 15 Jahren mit viel Brimborium initiiert. Aber der wirtschaftliche Aufschwung, den sie sich für diese entlegene und arme Region erhofft hatten - der ist ausgeblieben. "Selbst schuld", sagt Erlan, "weil weder unsere Stadtväter noch die Verwaltung der Provinz in die Infrastruktur investiert haben."

Es fehlt an Unterkünften: In Vallegrande gibt es zwar ein paar sehr schlichte Hostels, aber nur ein Hotel der unteren Mittelklasse. Auch das kulinarische Angebot ist überschaubar. Schließlich die Verkehrsverbindungen. Runter nach Santa Cruz sind es nur 250 Kilometer, aber weil die Straße in einem miserablen Zustand ist, braucht man dafür knapp sechs Stunden. Hoch in Boliviens Hauptstadt Sucre ist man sogar neun Stunden unterwegs - weite Teile der 350 Kilometer langen Stecke winden sich als Erdpiste durch die Anden.

"Besonders nach Sucre wären bessere Straßen wichtig", sagt Erlan García. Rundreisen durch Bolivien werden meist in der Kombination mit Peru verkauft. Sie führen gewöhnlich vom Regierungssitz La Paz zum Salar de Uyuni, dem größten Salzsee der Welt, in die ehemalige Silberstadt Potosí, nach Sucre und dann wieder zurück. Ließen sich die Touren in den Süden erweitern, würde nicht nur die Region profitieren, langfristig könnte sich Bolivien als eigenständiges Ziel für Gruppenreisen etablieren.

Erlan führt durchs Zentrum von Vallegrande. Nur sporadisch tuckern Autos vorbei. In den Läden dösen die Verkäufer vor sich hin. Und auf dem Freiluftmarkt sind die meisten Buden geschlossen. Es scheint, als sei das Leben aus dieser Stadt gewichen. Oberhalb des Zentrums liegt das Hospital Señor de Malta, ein bröckliger Flachbau, einstöckig, die Flure zwischen den Abteilungen nicht überdacht. Etwas abseits die Lavandería, das Waschhaus, in dem Doña Susana den Leichnam Che Guevaras gewaschen hat. Eine Hütte ohne Türen und Fenster. Darin ein steinerner Waschtisch mit zwei Becken. Fließendes Wasser gibt es nicht.

Das Waschhaus ist übersät mit Graffiti. Ein Gruppe kubanischer Ärzte hat sich mit einem Spruch von Che Guevara verewigt: "Hasta la victoria siempre" - immer bis zum Sieg. Eine Frau namens Maritza verspricht: "Nosotros luchamos contra la injusticia" - wir kämpfen gegen die Ungerechtigkeit. Andere Inschriften sind auf Portugiesisch, Englisch. Eine ist auf Deutsch: "Sozialismus oder Tod." Fast täglich kommen Besucher, meist Rucksackreisende. "Für sie ist Che Guevara ein Ideal", sagt Erlan García, "als Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit. Im damaligen historischen Kontext war sein Weg der bewaffnete Kampf. Heute ist das keine Option mehr, aber das Ideal lebt fort, solange es Ungerechtigkeit auf der Welt gibt."

Hatte Che Guevara die Situation falsch eingeschätzt?

Unterwegs auf der Ruta del Che nach La Higuera. Die Straße schlängelt sich durch nebelverhangene Berge: einspurig, unbefestigt, übersät mit Schlaglöchern, in denen sich das Regenwasser staut. Links ragen Felswände senkrecht in den Himmel, rechts fallen sie steil und ungesichert ab. Historiker rätseln, warum Che Guevara seinen Feldzug ausgerechnet in Bolivien gestartet hat. Eine Landreform Anfang der 1950er-Jahre hatte hier bereits das Lehnswesen hinweggefegt, anders als in den meisten Ländern Südamerikas. Zudem ist der indigene Bevölkerungsanteil mit mehr als 50 Prozent in Bolivien besonders hoch. Bis heute verständigen sich die Menschen auf dem Land in Quechua und Aymara - aber kein Guerillero war dieser Sprachen mächtig.

Castro und Che Guevara

Fidel Castro (links) und Che Guevara waren über Jahre Weggefährten; das Foto zeigt sie im August 1960.

(Foto: dpa)

Hatte Che Guevara die Situation falsch eingeschätzt? Oder wollte Fidel Castro den ewigen Guerillero loswerden, weil es ihm letztlich mehr um die eigene Macht ging als um den Export der Revolution, wie manche sagen? Dafür spricht, dass Havanna seinen Verbindungsmann aus Bolivien abzog, kaum dass die Guerilleros ihre Mission begonnen hatten. Nach kubanischer Lesart wiederum sollte in Bolivien ein Ausbildungslager für Guerilleros aus ganz Südamerika entstehen. Für die Gegend um Vallegrande hatte man sich wegen der nahen Grenze zu Chile, Argentinien und Brasilien entschieden. Aber diese Nähe ist relativ: Für die unmotorisierten Guerilleros wären die Grenzen nur nach wochenlangen Fußmärschen erreichbar gewesen.

Nach zweieinhalb Stunden holpriger Fahrt ein Schild: Den Berg hinab führt ein Fußweg in eine Schlucht, die Quebrada del Churo. Dort wurde Che Guevara gefangen genommen. Nach ein paar Hundert Metern ein Bauernhof. Hühner und Schweine laufen frei herum, zwei Hunde dösen im Schatten. Der Bauernhof gehört Florentino Águilar, einem kleinen, drahtigen Mann. Er schiebt den breitkrempigen Hut aus der Stirn und zieht eine Pistole und zwei Kugeln aus der Hosentasche. Beide in der Schlucht gefunden, versichert er treuherzig. Das Gewehr würde er verkaufen - für 300 Bolivianos, knapp 35 Euro, pro Kugel verlangt er 100 Bolivianos.

Der Abstieg in die Quebrada del Churo führt über Wiesen und Felder, durchzogen von kleinen Schluchten. "Manche sind nur wenige Meter breit, die meisten so dicht bewaldet, dass man sie von oben nicht erkennt", erläutert Don Florentino. Ein Labyrinth für jeden, der sich hier nicht auskennt. Unten eine Wiese, halb so groß wie ein Fußballfeld, umgeben von grünen Hängen. Dies war einmal eine Yucca-Plantage, erzählt Don Florentino. Der Bauer, dem sie gehörte, hat die Guerilleros ans Militär verraten. Mitten auf der Wiese eine Gedenkstätte. In den Boden eingelassen ein aus Steinen geformter Stern.

Cuba feature

In Kubas Hauptstadt Havanna erinnern bis heute viele Graffiti an den gebürtigen Argentinier Che.

(Foto: Alejandro Ernesto/dpa)

Elf Monate, vom 7. November 1966 bis zum 8. Oktober 1967, sind die Guerilleros durch diesen Teil der Anden geirrt. Gerade mal 17 Mann stark war der Trupp, als er von einem Bataillon des bolivianischen Heeres aufgespürt wurde. Weil Che Guevara sich ergab, stellten die Soldaten das Feuer ein. Im Schutz der Dunkelheit konnten fünf Guerilleros aus dem Kessel entkommen und sich nach Chile durchschlagen - die einzigen Überlebenden des Trupps.

Der Aufstieg nach La Higuera ist anstrengend und schweißtreibend. Man ahnt, welchen Strapazen die Guerilleros ausgesetzt waren - Tag für Tag, mit schwerem Marschgepäck und geschultertem Gewehr. Man ahnt aber auch, wie schwer und entbehrungsreich das Leben der Bauern hier war und ist. Ein Gemüsefeld. Don Florentino hat es beackert, am späten Nachmittag des 8. Oktober 1967. "Plötzlich kamen Soldaten", erinnert er sich. "Einer zerrte einen gefesselten Mann hinter sich her. Mir fiel auf, dass der Gefangene größer war als alle anderen. Sie haben hier kurz geruht, mit ihm reden durfte ich nicht. Dann sind sie weiter nach La Higuera."

La Higuera duckt sich im Schatten eines grünen Hanges. Ein paar alte Bauernhöfe zu beiden Seiten der Piste. Zwei Hostels, das Los Amigos und die Casa del Telegrafista, beide gehören seltsamerweise Franzosen, die sich unabhängig voneinander hier niedergelassen haben. Und ein Platz mit einer überlebensgroßen Statue: Che Guevara in Drillich, der rechte Arm zum Gruß erhoben, eine Zigarre zwischen den Fingern. Dahinter zwei Büsten.

Auf den Menschen, die an seiner Verhaftung beteiligt waren, scheint ein Fluch zu liegen

In der ehemaligen Schule, einem Lehmbau, der heute als Museum dient, sitzt Irma Cañizares. Am 8. Oktober 1967 hatte sie wie jeden Tag damals im Telegrafenbüro gearbeitet. Ihre Chefin hatte sie gebeten, eine Suppe zu kochen, ihre im ganzen Dorf gerühmte Erdnuss-Suppe. Für die Soldaten und für Che Guevara. Später räumte Doña Irma das Geschirr ab. "Das Einzige, was Che sagte, war: 'Danke, mein Kind.'" Er war bleich, niedergeschlagen, die Schuhe kaputt, die Kleidung schmutzig und blutverschmiert." Doña Irma war eine der Letzten, die Che Guevara lebend gesehen haben. Am nächsten Morgen erfolgt der Befehl zur Exekution - direkt von Staatspräsident René Barrientos. Der Gefreite Mario Terán meldet sich als Freiwilliger. Für die Tat muss er sich Mut antrinken. Als er die Schule betritt, steht Che Guevara auf: Er will aufrecht sterben, wie ein Mann. Seine letzten Worte lauten: "Póngase sereno y apunte bien. Va a matar a un hombre." "Zeigen Sie Haltung und zielen Sie gut. Sie töten einen Menschen." Sekunden später bricht er zusammen, getroffen von neun Schüssen.

Reiseinformationen

Anreise: Flug von München nach Santa Cruz de la Sierra mit Air Europa hin und zurück ab 1250 Euro. Avianca und LATAM fliegen Santa Cruz von Lima an (ab 193 Euro einfach), Aerolineas Argentinas von Santiago de Chile und Buenos Aires (ab 310 Euro), Gol von São Paulo (ab 199 Euro). Von dort weiter vom Busbahnhof in Santa Cruz nach Vallegrande per Trufi (Sammeltaxi) und mit dem Taxi nach la Higuera, insg. ca. 30 Euro.

Unterkunft: Albergue Los Amigos, La Higuera. Charmantes Hostel mit liebenswerten Gastgebern. HP 25 Euro pro Person, Tel.: 00591 /710-88433, E-Mail: barlosamigoslahiguera@gmail.com Hotel Santa Cruz, c/ Santa Cruz esq. Florida, Vallegrande. Einfaches Hotel, zentral gelegen, Doppelzimmer 25 Euro, Telefon: 00591 / 9-422518

Lange waren die Geschehnisse ein Tabu, etwas, worüber man nicht sprach: weder in La Higuera noch in Vallegrande. Auch weil ein Fluch auf allen Beteiligten zu lasten schien. Präsident René Barrientos kam bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben, Mario Terán fristet angeblich ein Dasein als Alkoholiker. Oberst Gary Pardo, der die Jagd auf Che Guevara geleitet hatte, schoss sich beim Reinigen der eigenen Waffe ins Rückgrat und ist seitdem querschnittsgelähmt. Und La Higuera siecht vor sich hin. "Hier leben nur noch 20 Familien, vielleicht 50 Personen", sagt Doña Irma. "Früher waren es 70 Familien, große Familien. Viele sind gegangen, weil wir große Schuld auf uns geladen haben."

Doña Irma ist geblieben. Gegenüber der Schule hat sie einen Kiosk. Neben Dingen des täglichen Gebrauchs verkauft sie auch T-Shirts mit dem Konterfei Che Guevaras. Die gehen gut, fast jeder, der La Higuera besucht, kauft eines. Und Besucher kommen, "aus aller Welt, aus Orten mit so komplizierten Namen, dass ich sie mir nicht merken kann". Doña Irma seufzt: "Aber es sind so wenige, ich wünschte, es kämen viel, viel mehr."

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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