Blühende Pisten am Spitzingsee:Was vom Winter übrig bleibt

"Das Wetter macht uns krank" - Besuch in einem Ort, der vom Schnee lebt, aber keinen Schnee hat.

Karin Steinberger

Irgendwann hat Nikolaus Gumberger genug vom ewigen Gejammer. Nur weil der Winter nicht kommt, ist der ganze Ort wie besessen.

Blühende Pisten am Spitzingsee: "Verhungern muss da herob'n jedenfalls noch keiner": Nikolaus Gumberger auf seinem Bootssteg am Schliersee.

"Verhungern muss da herob'n jedenfalls noch keiner": Nikolaus Gumberger auf seinem Bootssteg am Schliersee.

(Foto: Foto: Hess)

Er sitzt im Willy-Merkl-Haus am Stammtisch, Anorak offen, das Gesicht leicht gerötet, ein Bier vor sich. "Der Schnee hat schon auch seine Nachteile", sagt er, schaut in die Runde, wartet, was passiert.

Lang dauert es nicht.

"Also mir fehlt der Schnee nicht", sagt Wickerl, dem der Parkplatz gleich neben der Kirche am Spitzingsee gehört. 700 Liter Diesel hatte er letztes Jahr um diese Zeit schon verfahren. Wegen der ewigen Schneeräumerei.

"Der Skifahrer parkt ja trotzdem nicht bei mir, der parkt am Lift oben." Herrgott, war das ein Winter, der letzte Winter. So viel Schnee, dass man den Himmel fast nicht mehr sehen konnte; so viel Gewicht, dass selbst die uralten Almhütten ächzten; so viel weißer Nachschub, dass das Geld nur so dahinging fürs Salzen und Räumen der Straßen und Forstwege, Tausende Euro.

Sie wussten gar nicht mehr wohin mit dem ganzen Matsch. "Der Schnee ist ja neuerdings auch giftig", sagt Willi Jordan von der Ochsenalm, weit hinten in der Valepp. Gelächter.

Wahr ist es trotzdem. In den Bach darf man ihn nicht mehr reinschieben, und den See muss man vor ihm schützen, weil er voller Salz ist, voller Gift.

Fehlen tut er trotzdem, jetzt, wo er nicht da ist.

Es ist wie verhext in diesem Jahr. Draußen liegt der Spitzingsee auf 1085 Metern, ein bisschen zugefroren nur, so warm wie er ist. Drumherum dieser Abklatsch von Winterlandschaft, gesprenkelt mit weißen Tupfern, die Südhänge grünlich.

Und dann hat ihnen am Donnerstag auch noch der Orkan "Kyrill" den Wald niedergemäht. Entwurzelt und umgeknickt liegen die Bäume um den See herum, die Sessellifttrasse entlang.

Der Pferdeschlitten hat noch immer seine Räder dran, und in "Ingo's Skiverleih" am Seeweg machen sie sich nicht einmal mehr die Mühe, zu öffnen. Nur in den Postkartenständern im Kiosk hängt der Winter, weiß und makellos. Skigebiet Spitzingsee.

So ist das bis jetzt in diesem Jahr: Kein Schnee, keine Kälte, kein Skifahrer. Wo sie doch im Winter vom Schnee leben, und von der Kälte, und vom Skifahrer.

Nikolaus Gumberger geht es ohnehin mehr um das Eis am See. "Eisnick" nennen sie ihn hier oben. Fürs Eis braucht er keinen Schnee. Im Gegenteil.

Das Eis säuft ab, wenn es zu viel draufschneit. "Es bringt ja nix, wenn's Eis so halbscharig ist", sagt er, schaut in die Runde. So gesehen war der letzte, verschneite Winter eine Katastrophe, vom Eis her gesehen, da ist Nikolaus Gumberger der See fast den ganzen Winter abgesoffen.

Kein Eisstockschießen, kein Eisgolfen. Er hat nicht einmal mehr versucht, nachts eine Eisschicht aufzubauen, schön dünn, schön glatt. Lage für Lage aufgespritzt. Bei minus zwei Grad.

Dieses Jahr ging es besser, an Weihnachten war der See immerhin 14 Tage lang zugefroren. "28 Bahnen, 4000 Menschen auf dem See, hervorragende Eisverhältnisse", sagt Eisnick.

Am Berg sah es anders aus.

Auch er war befahrbar, über Weihnachten, aber es war nur der unechte Schnee, das muss man mögen.

Sie sind hier oben am Spitzing fast alle irgendwie vom Wetter abhängig, der eine so, der andere anders. Es gibt also unterschiedliche Ansichten über diesen Winter, der daherkommt wie ein Frühling.

Wickerl ist es am liebsten, wenn die Leute einfach nur parken. Schnee braucht er nicht. Eisnick will Eiswetter. Sonnig, kalt, schneearm. Willi Jordan von der Ochsenalm, den sie hier "Ochsnwilli" nennen, ist den ganzen Sommer oben auf der Alm. Seit 25 Jahren. Der Ochsnwilli braucht im Sommer Wasser fürs Vieh. Also braucht er Schnee im Winter.

So war das schon immer. Dem einen war ein warmer Winter lieber, dem anderen ein kalter. Der eine wollte Schnee, der andere seine Ruhe. Geschimpft haben immer ein paar.

Aber dieses Jahr ist trotzdem alles anders.

Was vom Winter übrig bleibt

Mit der Wärme kamen in den letzten Wochen nicht nur Wanderer und Mountainbiker mitten im Januar. Es kamen auch Journalisten.

Vor einer Woche sind ein paar mit Hubschraubern gekommen, sie sind über Fischhausen und Neuhaus unten am Schliersee geflogen, die Spitzingstraße entlang, rauf zum Spitzingsattel, über den Spitzingsee und die stillstehenden Skilifte am Stümpfling, am Roßkopf und auf der anderen Seite am Taubenstein, über die Ochsenalm und die Valepp.

Sie haben gefilmt, was vom Winter übrig bleibt. "Das waren Journalisten, von der Bergwacht waren die jedenfalls nicht", sagen sie am Stammtisch.

Und weil jeder Journalist einen braucht, der etwas sagt, hat auch fast jeder hier oben schon etwas gesagt zum Winter - im Radio oder im Fernsehen. Einen rechten Schmarrn hätten da einige von sich gegeben, mosern sie am Stammtisch.

"Verhungern muss da herob'n jedenfalls noch keiner", sagen sie.

Sie sind entspannt im Willy-Merkl- Haus. Vielleicht auch deshalb, weil ihnen keine Skilifte gehören und keine Skihütten. Da redet es sich leichter.

Aber mit den Journalisten kamen auch die Fragen. Und es kam die Häme. Im Bayerischen Fernsehen witzelte der Moderator Christoph Süß über die "blühenden Pisten" vom Spitzingsee und fragte: "Schnee, was war das nochmal?"

So was ärgert sie hier oben schon. Da machen die sich lustig, weil sie dieses Jahr ihre neue Beschneiungsanlage bekommen haben. Die modernste im Voralpenraum.

Damit eben nicht passiert, was jetzt passiert: Damit die Lifte nicht stehenbleiben und Skifahrer vorbeifahren, hin zu den hohen, beschneiten Pisten Österreichs. Und noch etwas haben die Journalisten mitgebracht.

Das Wort Klimakatastrophe.

Und genau das hat ihnen hier gerade noch gefehlt.

Sie haben sie dick, diese Fragen, warum sie hier noch ans Skifahren glauben, in einem Skigebiet, das zwischen 1100 und 1600 Höhenmetern liegt. Sie finden sie lästig, all die Naturschützer, Professoren und Klimaforscher, die predigen, dass man in diesen Höhen bald sehr viel öfter Winter wie diesen erleben wird.

Warm und schneelos.

"Hamma ois scho g'habt", sagt Nikolaus Gumberger. 2002 zum Beispiel, da seien Skikurse erst Mitte Januar möglich gewesen. "Alles Hysterie."

Keinen Schnee, keine Kälte, keinen Skifahrer

Sie haben die Fragerei dick. Aber wenn sie unter sich sind, sagen sie doch, dass was dran sein könnte. Auf lange Sicht.

Willi Jordan merkt schon seit Jahren an seinem Vieh, dass sich irgendwas tut beim Klima, weil die Kühe im Sommer auf der Alm manchmal schon morgens wieder in den Stall wollen. "Die Sonne ist denen zu aggressiv, die packen's nimmer."

Und auch Nikolaus Gumberger sagt, dass sie schon spürbar sei, die Veränderung.

Als Kind sei er jeden Winter auf dem Eis am Schliersee gewesen. Fünf, sechs Wochen. Damals gab es auch noch eine Eisschnelllaufbahn auf dem See. Die gibt es schon lange nicht mehr.

Keiner kennt die Seen hier besser als der Eisnick.

Was vom Winter übrig bleibt

In seinem Bootshaus am Schliersee ist momentan so wenig Wasser, dass er die Boote in den See tragen müsste. Und dann der brutale Wind letzte Woche, der oben am Spitzing alles verwüstet hat, der heiße Sommer, die Schneemassen letzten Winter.

Er schüttelt den Kopf, normal ist das nicht mehr. Die Seen seien früher zuverlässiger gewesen. Dass es im Januar mal so warm war, dass er seine Boote hätte vermieten können, daran kann er sich nicht erinnern. "Es ist der Wahnsinn, das Wetter. Aber der Schnee kommt."

Dann zeigt er hoch in die Berge, zum Jägerkamp-Gipfel. "Schau, ein kleines Flammerl ist schon oben."

Ein paar Straßen von seinem Bootshaus entfernt sitzt der Bürgermeister der Gemeinde Schliersee/Spitzingsee. Franz Schnitzenbaumer ist noch nicht lange Bürgermeister.

Seit ein paar Monaten erst. Er fremdelt noch im prächtigen Rathaus. Ein junger Mann unter einer mächtigen Holzdecke. "Die ist 500 Jahre alt, mindestens", sagt er.

Die Sonne scheint ins Bürgermeisterzimmer, er sagt, dass es für die Gemeinde keine Katastrophe sei, das Wetter. Es war schon immer so, dass sie oben am Spitzing mehr am Winter verdient haben und unten in Schliersee mehr am Sommer. Dann rechnet er leise die Verluste durch die ausbleibenden Steuereinnahmen gegen die gesparten Kosten für Räumfahrzeuge auf.

So gesehen könnte der Winter dieses Jahr fast noch ein Geschäft werden, auch ohne Schnee, sagt er, lacht.

Dann holt er ein großes Buch aus dem Nebenzimmer, die "Schliersee Chronik". Er blättert, bis er gefunden hat, was er sucht. 1902 der erste Skikurs in Schliersee, 1904 das erste Skirennen.

Wetten auf den ersten Schnee

Die Schlierseer Gegend, sagt der neue Bürgermeister, sei die Wiege des Wintersports in Deutschland. Und noch etwas findet er. 1895/96: Winter sehr schneearm. 1900/01: erster Schnee erst am 29. Januar.

Franz Schnitzenbaumer klappt die Schliersee-Chronik zu, schaut triumphierend auf und sagt: "So viel zu dem Thema."

Sie haben hier schon Wetten abgeschlossen, wann der Schnee kommen wird. Der Bürgermeister hatte auf Ende letzter Woche gesetzt. Gekommen ist ein Orkan. Wie gesagt, er ist noch neu.

Peter Lorenz hält nichts von Vorhersagen oder von Wetten, von drehenden Monden und wetterfühligen Knochen. Peter Lorenz ist Geschäftsführer der Alpenbahnen Spitzingsee, Herr über fast alle Lifte am Spitzingsee. Peter Lorenz hat ein großes Problem mit dem Wetter.

Er sitzt in seinem Büro an der Talstation der Stümpfling-Sesselbahn, ein bisschen oberhalb des Spitzingsees. An schönen Wintertagen stehen hier Tausende Autos herum. Skifahrerautos. Jetzt stehen vier da, eines davon ist seines, auf matschigem Untergrund, der Sessellift steht, die Piste ist grün, Bäume liegen herum. Es ist ein krasser Gegensatz zu dem, was im Internet beworben wird.

Was vom Winter übrig bleibt

25 Pistenkilometer, zwei moderne Vierersesselbahnen mit Wetterschutzhauben, eine Gondelbahn, 13 Schlepplifte, Snowboarder Funpark, Pisten in allen Schwierigkeitsgraden, 13 beschneite Hektar auf der Suttenabfahrt und der Lyrapiste. "Nach umfangreichen Modernisierungen zählt das Gebiet wieder zu den Top 5 Skigebieten in Deutschland . . . und zu den schneesichersten." Es klingt wie ein Witz.

Seit 25 Jahren ist Peter Lorenz im Seilbahngeschäft. Er sagt es nicht, aber das hier dürfte der Tiefpunkt sein.

Da haben sie investiert im Spitzingsee-Skigebiet, die Schörghuber Unternehmensgruppe und die Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee, gegen alle Vernunft. Obwohl sich der Schnee jeden Winter mehr nach hinten rausschiebt. Obwohl sich die Ausnahmewinter häufen. Obwohl sie in Spitzingsee in Konkurrenz stehen mit einem Nachbarland wie Tirol, wo laut Alpenverein in den letzten zehn Jahren 2,3 Milliarden Euro in Skianlagen investiert wurden. 230 Millionen pro Jahr. "Da sitzen wir doch wie die Maus vor der Schlange", sagt Stefan Witty vom Deutschen Alpenverein und fordert einen Strategiewechsel, ein Umdenken.

Peter Lorenz sagt: "Was da jetzt stattfindet, ist eine Wettersituation. Und Wetter ist nicht gleich Klima."

Sie haben die Sessellifte erneuert, haben für die Beschneiungsanlage 21 Turmkanonen und einen 40000 Kubikmeter fassenden See in den Berg gehauen. Hier an der Stümpflingbahn finden sie es nicht komisch, wenn Journalisten Schneekanonen im Schlamm filmen. Die Hoffnung jedenfalls hat man noch nicht aufgegeben. "Bei minus drei Grad fangen wir sofort an. Dann schickt der Computer eine SMS an den zuständigen Schneemeister, und es geht los", sagt Peter Lorenz und schaut hinaus auf die traurige Piste.

Wanderer im Regen

Er träumt von dem Tag, an dem der Schnee kommt und das Geschäft, von dem Tag, an dem sie vor lauter Andrang vier Kassen öffnen müssen und zwei Liftmänner die Massen in den neuen Vierersessellift hineinschieben, hinauf zur neuen Jagahütt'n, die momentan auch zu ist.

Viele am Spitzingsee träumen von dem Tag. Aber noch ist er nicht gekommen. Es ist warm, leichter Regen. Wickerl düst mit dem Schneeräumer auf seinem Parkplatz neben der Kirche herum, Eis aufrauhen, damit es die wenigen, die da sind, nicht gleich hinschmeißt.

Gunda Kolb, Gründerin der Gundlalm und der legendären Spitzingseer Tanzbar Spinnradl, sagt, so scheußlich sei es hier normalerweise nur im April. 81 Jahre ist sie alt, die Grande Dame vom Spitzing, sie schaut Wanderern hinterher, die im Regen spazieren, schüttelt den Kopf.

Im Hotel Jagdhof steht Jagahütt'n-Pächter Otto Riegger und sagt: "Wir weinen noch nicht, aber das Wetter macht uns krank, das arbeitet täglich im Kopf", dann schwärmt er von der Beschneiungsanlage und davon, dass nächstes Jahr alles besser wird, wenn die verbohrten Umweltschützern nicht wieder stören.

Die Wendelstein-Wetterstation kündigt für Montagabend Schnee an, sagt seine Frau. Otto Riegger lächelt müde.

Werner Fees vom Bund Naturschutz in Miesbach ist das Lächeln schon lange vergangen. Er kämpft seit Jahren gegen den Wahnsinn, den sie da oben am Spitzingsee betreiben.

"So eine Beschneiungsanlage ist doch anachronistisch. Das sagen ja nicht nur wir, dass es einen Klimawandel gibt. Die Entwicklung ist unbestritten. Diese Kurzsichtigkeit des Denkens, das empört mich", sagt er, dann holt er Karten heraus, deutet auf den riesigen, in die Natur geschlagenen Speichersee, die neuen Beschneiungstrassen, er redet vom Missbrauch der Trinkwasserreserven, von Mondlandschaften in den Alpen und von Politikern, die sich instrumentalisieren lassen.

Das alles sei doch ein gigantischer Irrweg. Er zitiert die Warnung der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass der Einsatz von Schneekanonen erhebliche Mengen an Wasser und Energie verbraucht und langfristig der Umwelt schadet.

"Da löschen sie das Feuer mit Benzin", sagt er.

Seine Frau bringt Tee, und er holt weitere Unterlagen aus dem Keller.

Er hat sich abgearbeitet an dem Thema. Seit er den Stümpfling einmal öffentlich "Verstümpfling" nannte, reden viele nicht mehr mit ihm. Er erzählt von Ludwig Wörner, dem umweltpolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, der die Änderung des Gesetzes der Beschneiungsanlagen durch die CSU eine "Lex Spitzingsee" nannte.

Fees hat den Kampf um den Berg verloren, das weiß er, Beschneiungsanlagen seien offensichtlich Bayerns einzige Antwort auf den Klimawandel. "Die sagen, wenn es noch 20 Jahre geht, haben wir noch 20 Jahre Geschäft gemacht. Ich sage: Aber was ist dann? Dann haben wir einen kaputten Berg."

Und oben am Spitzingsee, wo sie schon immer vom Winter gelebt haben, da oben, wo es ohnehin nur Wirte, Personal und ein paar Eingeborene gibt, da oben ist es jetzt wieder an der Zeit für den Stammtisch, es hilft ja nichts, sie haben jetzt zwar eine Beschneiungsanlage, aber noch keinen Schnee, keine Kälte, keinen Skifahrer.

Wickerl freut sich, Eisnick wartet weiter auf das Eis, Ochsnwilli auf das Wasser. Bier wird getrunken, und dann wird der wahre Feind benannt: "Denn das Allerschlimmste hier oben sind sowieso die Mountainbiker."

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