Blaudruck - ein fast vergessenes Handwerk:Das blaue Wunder

In der Werkstatt der Familie Wagner in Bad Leonfelden: Seit 1878 bedrucken die Wagners mit handgefertigten historischen Modeln Stoffe. Die alten Muster sind aber erst nach dem Färben sichtbar.

Von Stephanie Schmidt

Kein Zufall, dass im Verkaufsraum der Blaudruckerei Wagner in Bad Leonfelden große Porträts der Ahnen von Karl Wagner hängen. Gäste sollen die Bilder sehen, es freut ihn, wenn sie fragen, was es damit auf sich hat. Mit einem kräftigen Händedruck begrüßt der breitschultrige Mann die Besucher, die er anschließend durch seinen Betrieb führen wird. "1878 hat mein Urgroßvater dieses Haus erworben und eine Färberei eingerichtet", sagt Wagner. Karl ist der Vorname seines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters, er selbst nennt sich scherzhaft "Karl IV" - ohne Punkt. Rings um eine lange Theke hängen königsblaue Stoffe mit zarten weißen Mustern - Blüten, Ranken, Ornamente. Aus ihnen werden Dirndl, Vorhänge, Tischdecken oder Schals. "Inzwischen hab ich rausg'funden, dass sich meine Familie seit mehr als acht Generationen mit dem Färben beschäftigt", berichtet der 56-Jährige. Seit Langem erforscht er mithilfe alter Aufzeichnungen, wie seine Vorfahren gelebt und gearbeitet haben.

Deren Handwerkskunst pflegen Karl Wagner und seine Frau Maria nach alter Tradition - sie färben Stoffe nach überlieferten Rezepten und bedrucken sie von Hand mit Modeln aus Holz. 1832 existierten allein im Mühlviertel noch 17 Färbereien, die zum Teil auch mit Blaudruck-Technik arbeiteten. Heute gibt es in ganz Österreich nur noch zwei Betriebe - neben der Blaudruckerei Wagner die Blaudruckerei Koó im Burgenland, deren Mitarbeiter aber nicht Modeln, sondern eine Walzendruckmaschine einsetzen.

Ein kräftiges Blau ist der Grundton für alle Stoffe - die Farbe bezeichnet man als Königsblau oder Indigoblau. "Wir machen viele Stoffe für Dirndlkleider und drucken unsere Muster auf Seide und Leinen, auch zweiseitig", erklärt Maria Wagner, die das Handwerk von ihrem Schwiegervater erlernte. Zuerst wird gedruckt, dann gefärbt. Bei Führungen zeigen die Wagners, wie sie mit den Modeln arbeiten. Klare Arbeitsteilung: Maria Wagner hat den Papp angerührt, eine graue Masse, die sie nun mit dem Pinsel auf ein sogenanntes Steppkissen streicht. "Ich bin der Streichjunge", sagt sie augenzwinkernd. Was sie da tut, war früher die Aufgabe der Lehrlinge. Danach setzt sie den Model auf das Steppkissen. "Im Papp ist Alaun drin, Tonerde, Sonnenblumenöl, Harz vom Akazienbaum. Das genaue Rezept darf ich natürlich nicht verraten", sagt die 50-Jährige. Sie reicht den Model ihrem Mann, der ihn auf den Stoff legt und behutsam mit der Faust auf dessen Oberseite schlägt. Das geht so weiter, Zug um Zug, bis der Stoff fertig bedruckt ist. Stunden kann das dauern. Rapportstifte an den Modeln zeigen dem Färbermeister an, wo genau er einen Model ansetzen muss, damit das Muster auf dem Stoff später gleichmäßig aussieht

Modelstecher gibt es nicht mehr. Künftig ist man wohl auf Lasertechnik angewiesen

Ungefähr 200 Modeln mit verschiedenen Mustern verwendet das Paar, "alle aus Familienbestand. Manche sind 150 bis 200 Jahre alt", sagt Karl Wagner. Die kunstvoll an den Modeln befestigten Stifte sind aus Holz oder Metall und formen das jeweilige Muster. Heute können nur noch wenige Menschen Modeln fertigen, denn den Lehrberuf des Modelstechers gibt es nicht mehr, ebenso wenig wie den des Blaudruckers. In der Zukunft werde man bei Modeln wohl teils auf Lasertechnologie angewiesen sein, schätzt Karl Wagner.

Zurzeit läuft das Geschäft sehr gut. "Der Blaudruck erlebt eine Renaissance", sagt Maria Wagner. Der Begriff "Blaudruck" führt freilich etwas in die Irre, weil der Stoff noch weiß ist, während er bedruckt wird. Ist das zu diesem Zeitpunkt noch kaum sichtbare Muster fixiert, beginnt die mehrwöchige Trockenzeit. Erst danach tauchen die Wagners das Leinen mehrmals in ihre Küpe. Der Begriff bezeichnet ebenso den Bottich, in dem die Stoffe gefärbt werden, wie das Farbbad selbst. Die Färbelösung enthält Indigo-Farbstoff, Schwefel und Natron. Früher wurde unter anderem der aus der Indigopflanze gewonnene Farbstoff verwendet, heute nimmt man synthetisch hergestellten Indigo. Kommt der Stoff aus der Flüssigkeit, ist er aber zuerst gelb und grün. "Durch Oxidation wird der Stoff nach ein paar Minuten blau. Daher kommt auch der Ausdruck 'Ein blaues Wunder erleben'", ergänzt sie. Mit Zitronensäure wird der Papp herausgewaschen, und endlich ist das weiße Muster auf königsblauem Grund zu sehen. Genau genommen erlebt man beim Blaudruck also ein "weißes Wunder".

Wer noch mehr über die Tradition des Blaudrucks erfahren möchte, kann das einzige Färbermuseum Österreichs besuchen. Es ist eines von circa 80 Museen im Mühlviertel und befindet sich in einem Barockgebäude in der Marktgemeinde Gutau. "In diesem Haus wurde mehrere Jahrhunderte lang gefärbt und gedruckt, bis zum Jahr 1968", sagt Anneliese Weißengruber, die hier ehrenamtlich Besucher durch das Museum führt. Auch dort gibt es jede Menge alte Holzmodeln - 250 verschiedene gehören zum Bestand des Museums.

Die Blaufärber des Mühlviertels arbeiteten mit dem hier wachsenden Färberwaid. Weißengruber zeigt zu einer Kugel gedrehte, getrocknete Blätter dieser Pflanze. "In dieser Form wurde Färberwaid früher gehandelt." Damit er seine volle Wirkung entfalten konnte, musste er mit Urin versetzt werden und gären. "Deshalb haben die Färber so übel gerochen. Bevor gefärbt wurde, gingen die Gesellen ins Gasthaus und tranken kräftig, damit man genug Urin zum Färben bekam", erzählt die Lehrerin. "Oft reichte das nicht, und man musste Urin beim Wirt zukaufen." Er machte also ein doppelt gutes Geschäft. Einst waren die Färbergesellen auf Wanderschaft und hofften, irgendwann als Meister sesshaft zu werden. "Dafür musste man entweder die Tochter eines Meisters heiraten oder seine Witwe. Die Witwe eines Färbermeisters ist nie lange allein geblieben", sagt Weißengruber bei dem Rundgang, der auch zu einem 6,40 Meter langen, mit zwölf Tonnen schweren Granitsteinen gefüllten Holzkasten führt. Die mehr als 200 Jahre alte Mangel für Leinenstoffe funktioniert noch. Mit der ganzen Kraft ihrer Arme setzt die zierliche Frau das Steuersystem und damit auch die Mangel in Bewegung.

In einem Raum liegen Muscheln mit kreisrunden Löchern. "Die Knöpfe für die Blaudruck-Dirndl sind aus Perlmutt, man kann sie aus einem Seeohr wie diesem hier herausdrechseln", erklärt Weißengruber. Dabei handelt es sich um das ohrförmige Gehäuse einer Meeresschneckenart. Dass sich Blaudruck auch für Kleider in modernem Design eignet, will die ebenfalls am Ort ansässige "Zeugfärberei" zeigen, die mit verschiedenen Druck- und Färbemethoden experimentiert. Am 22./23. Juli findet in Haslach im Mühlviertel der internationale Webermarkt statt, wo es ebenfalls ausgefallene Blaudruck-Mode gibt.

Auch die Wagners stellen ihre Kreationen bei solchen Treffen für Blaudrucker, Färber, Weber und Liebhaber des Kunsthandwerks vor. Noch ist "Karl IV" mit voller Energie bei der Sache, und doch denkt er bereits an die Zukunft seines Betriebs: "Mir ham drei Buam. Hoffentlich will einer weitertun." Vielleicht versuchen sie sich erst mal als "Streichjungen". Den Papp richtig zu dosieren und gleichmäßig aufzutragen, ist freilich nicht kinderleicht.

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