Birma:Hinter der Wand

Durch das frühere Birma reisen heißt, in die Unwirklichkeit eines Traums - oder wahlweise Albtraums - einzutauchen.

Wolf-Eckart Bühler

Sie kommen im Morgengrauen, immer zu zweit, und sind wie vom Erdboden verschluckt, sobald die Sonne ihren Zenit erreicht hat. Sie tragen schmucke grüne Uniformen mit roten Käppis; während der eine Arm eine schwarze Aktentasche schwingt, fährt der andere zackig im Takt auf und nieder. Die Augen geradeaus, in die Ferne gerichtet, marschiert das seltsame Paar im Gleichschritt die Hauptstraße entlang, verschwindet hier, taucht unvermittelt dort wieder auf und nimmt zur selben Zeit, wundersam vermehrt, auf der Terrasse eines Kaffeehauses Platz. Um neun sind sie schon ein Dutzend, um zehn eine knappe Hundertschaft.

Angeblich handelt es sich um Kadetten einer Militärakademie - ein Relikt der Zeit, als das britische Empire noch über Birma wachte und in den Pinienwäldern von Pyin Oo Lwin hoch über Mandalay eine wichtige Garnison errichtete. Die tägliche Invasion der geklonten Doppelgänger von Pyin Oo Lwin - was für ein wahnwitziges Symbol für dieses wunderschöne, vermaledeite Land.

Märchenhaft, golden, mystisch: Durch Birma reisen heißt, in die Unwirklichkeit eines Traums - oder wahlweise Albtraums - einzutauchen. Buddhas, soweit das Auge schweift. Das verschwenderische Gold der Shwedagon-Pagode, die Tempel von Bagan und Mrauk Oo. Männer tragen Röcke und Frauen paffen Zigarren. Die Blutlachen auf Pfaden und Trottoirs entpuppen sich erst auf den zweiten Blick als Betelspuren.

Myriaden schneeweißer Pagoden leuchten auf den tropischen Bergkuppen. Birma ist das einzige Land des Globus mit Rechtsverkehr, in dem auch rechts gelenkt wird. Dies ist ein Relikt der 1960er Jahre, als Diktator Ne Win auf Anraten seines Wahrsagers - die linke sei die "schlechte" Seite - per Dekret im ganzen Land die Fahrbahnseite ändern ließ.

Zwei Farben dominieren den Alltag: Rot und Grün, die scharlachfarbene Robe der buddhistischen Mönche und die Uniform der Militärjunta. Wer denkt, dies müssten Kontrastfarben sein, täuscht sich freilich. Jeder Birmane wird einem freimütig erzählen, es gebe nur zwei Wege aus Armut und Elend: das Kloster oder die Armee.

Es ist eine Legende, dass die frommen Männer von Almosen leben - die Topleute schlemmen, trinken und paffen, was das Zeug hält. Wer zur unrechten Zeit das berühmte Kloster der Jumping Cats auf dem Inle-See besucht, erlebt oft Mönche beim fröhlichen Schmaus vor dem Karaoke-Kasten und allenfalls müde Straßenkinder, die mit Kätzlein ihre Kunststücke vollführen.

Rare Ausländer

Nicht einmal die touristischen Highlights des Landes sind überlaufen. Ausländer sind vergleichsweise rar, und wenn, treten sie meist in Kleingruppen auf; selbst die bienenfleißigen Rucksackreisenden, die alle Winkel der Nachbarländer bevölkern, scheinen um Birma einen Bogen zu schlagen. Die meisten Reiseveranstalter scheuen nach wie vor davor zurück, eines der attraktivsten Reiseziele nicht nur Asiens, sondern der Welt anzupreisen; und selbst das Zentralorgan der Globetrotter ließ es sich jahrelang nicht nehmen, seine Jünger vor dem Besuch zu warnen. Das hat vornehmlich zwei Gründe: Birma gilt als gnadenlose Militärdiktatur und ist angeblich auch teurer als seine Nachbarn.

Hinter der Wand

Bis vor wenigen Jahrzehnten war Birma noch das "Juwel Asiens" wegen seiner immensen Bodenschätze und fruchtbaren Ebenen. Das Land besaß das beste Gesundheitssystem und die niedrigste Analphabetenquote der Region. Die seit 1962 herrschenden Militärs brachten es fertig, das Land zu einem der ärmsten und unterentwickeltsten der Welt herunterzuwirtschaften. Ein Land, das ohne florierenden Drogenhandel - Birma gilt nach Afghanistan als Hauptlieferant für Opium und Amphetamine - und die Finanzspritzen des neuen Wirtschaftswunderlands China schon längst im Sumpf versackt wäre.

Bereits seit Jahren führt die Junta die internationale Gemeinschaft an der Nase herum: Immer wieder versprechen die Regierenden in Uniform die Rückkehr zur Demokratie, und immer wieder passiert nichts. Die Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung Suu Sun Kyi befindet sich seit ihrem überwältigenden Wahlsieg 1990 in "Schutzhaft".

Löwenanteil des Haushalts für die Verteidigung

Zwangsarbeit, Menschenhandel, Kriegshandlungen gegen Minderheiten und Meuchelmord an Andersdenkenden zählen zum Alltag. Obwohl Birma keine äußeren Feinde hat, fließt der Löwenanteil des Haushalts an die als "Defense Services" verklärten Streitkräfte.

Und um die Friedhofsruhe zu wahren, opfern die Offiziere selbst die Jugend und damit ihre eigene Zukunft: die "Wiedereröffnung" der mehr als ein Jahrzehnt geschlossenen Universitäten 2001 ist eine Farce, da die Junta nach wie vor eine Studentenbewegung fürchtet, die Demokratie und Menschenrechte fordern könnte.

Die flammenden Appelle der Nobelpreisträgerin, das Regime zu boykottieren, sind ebenso ins Leere gelaufen wie die Illusion des Westens, die unliebsamen Generäle mittels Wirtschaftssanktionen und Handelsbarrieren in die Knie zu zwingen. Die Menschen Birmas brauchen am allerwenigsten Druck, sondern Annäherung; keine Ausgrenzung, sondern eine Öffnung des Landes. Regelmäßige Kontakte mit Ausländern dienen erfahrungsgemäß immer der Opposition, nicht dem repressiven Regime.

Keiner beachtet einen

Sie stehen am Flughafen von Rangun, in den Straßen von Mandalay, ja selbst an den Stränden von Ngapali: übermannshohe, von Monsungüssen gewalkte und von Sonnenglut gegerbte Schilder mit der Bitte, den ausländischen Reisenden behilflich zu sein. Die Realität ist: Keiner beachtet einen. Die Taxifahrer am Flughafen der Hauptstadt gähnen in sicherer Entfernung vor sich hin und setzen eine Miene auf, als wollten sie sagen: Sie werden schon kommen, die Fremden, wenn sie etwas von uns wollen. In der gesamten Stadt gibt es keine Anmache, keine Händler, die einen in dunkle Läden zerren.

Hpa An ist die Hauptstadt des rebellierenden Bergvolks der Karen; bis vor wenigen Jahren noch ein Hort des Widerstands und für Ausländer tabu. Heute stehen hier ein paar Holzhäuser mit Veranden, ein Saloon mit Bierreklame. Jeder Zweite trägt ein Gewehr über der Schulter. Keiner spricht, keiner versteht Englisch. Selbst die Rikschafahrer radeln vorüber, ohne einen eines Blickes zu würdigen, geschweige denn, ihre Dienste anzupreisen.

Das mannshohe Schild im Zentrum mutet zunächst wie Hohn an: "Please provide necessary assistance". Das ist eine Versicherung, dass das Regime auch über uns wacht. Tags darauf wird man an einer der allgegenwärtigen Straßensperren aus dem Auto geholt. "No problem, no problem", grinsen die Uniformierten schräg, während sie die Passdaten in meterdicke Kladden übertragen.

Ein gewaltiger liegender Buddha, den Kopf auf die Hand gestützt, blinzelt von seiner hügeligen Insel, seit Urzeiten Wind- und Wellenbrecher der malerischen Bucht, lässig auf seine Stadt; sie ist in guten Händen, scheint er zu sagen.

Myeik war zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert Hafen des siamesischen Königreichs Ayutthaya und einer der geschäftigsten Handelsplätze Hinterindiens, in dem Thailänder, Malaysier, Chinesen, Inder, Araber, Portugiesen, Holländer, Franzosen und Briten lebten. Heute ist Myeik selbst als Fischerhafen nur mehr Provinz.

Hinter der Wand

Verwitterte Pagoden, Klöster und Moscheen schmiegen sich in die Hügel oberhalb der Kais, mehrgeschossige Teakholzkontore und Handelshäuser mit verschnörkelten Veranden, Türmchen und Erkern verbreiten Kolonialflair. Nur die schöne alte Hafenstraße ist bereits dahin. Für birmanische Verhältnisse herrscht emsige Betriebsamkeit, ja geradezu Aufbruchstimmung.

Die alte Königsstraße nach Thailand, auf der einst Krieger, Kaufleute und Pilger den weiten, gefahrvollen Weg durch die Meerenge von Malakka abkürzten, soll wiederhergestellt werden. An den Stränden nördlich und südlich der Stadt sind Resorts im Bau. Der Öko-Tourismus zu den mehr als 800 Inseln des wunderbaren, noch kaum erschlossenen Mergui-Archipels mit seinen Walen, Delphinen, und Tauchparadiesen wird angekurbelt.

Bislang gab es nicht einmal eine funktionierende Landverbindung mit der rund 900 km nördlich gelegenen Stadt Rangun. Das beginnt sich nun zu ändern, seitdem Kawthaung, Birmas südlichste Stadt, nur 20 Minuten Bootsfahrt vom thailändischen Ranong entfernt, als internationaler Grenzübergang anerkannt ist. Von dort verkehren täglich Schnellboote in sieben Stunden nach Myeik sowie nach Dawei, 250 Kilometer weiter nördlich; eine neue private Fluglinie verbindet beide Orte zuverlässig mit Rangun.

Rechtzeitig Reisegenehmigungen einholen

Wer allerdings das phantastische Mawlamyine (Mulmein), einst bedeutendster Teak-Hafen und zeitweise sogar Hauptstadt Britisch-Birmas, Hpa An, die Metropole der Karen, und den phänomenalen Golden Rock von Kyaiktiyo nicht verpassen will, sollte rechtzeitig eine Reisegenehmigung für die ansonsten für Ausländer gesperrte Route Dawei-Mulmein beantragen.

Man ist hin- und hergerissen, wie nur selten irgendwo auf der Welt, wenn man sich durch Birma bewegt. Manchmal möchte man nur noch fluchen über dieses Land, in dem selbst das simple Geldwechseln zur Tortur werden kann. Und dann wieder ist man zu Tränen der Freude gerührt, wie man es kaum mehr für möglich gehalten hätte.

Gelassen und liebenswert unaufgeregt

Und die Birmanen? Alles halb so schlimm. Man muss eben nur etwas mehr aus sich herausgehen als gewöhnlich, um sie aus ihrer Reserviertheit zu locken. Ein offenes Lächeln - und sie lächeln zurück; ein paar Worte - und sie antworten. "The Burmese Way" kommt wunderbar gelassen und liebenswert unaufgeregt daher. Kein Wunder, dass in einer jüngst veröffentlichten Internet-Umfrage nach dem angenehmsten Reiseland Birma an erster Stelle rangiert. Unbequem? Ja, manchmal. Aber gefährlich? Eher das Gegenteil ist der Fall. In kaum einem anderen Land der Region wird der aufgeschlossene Reisende sich sicherer fühlen können.

Es gibt in Birma eine sympathische Weise, auf sich aufmerksam zu machen: Man presst die Lippen aufeinander, spitzt sie zu einem Kussmund und zieht die Luft zwei-, dreimal stoßweise ein.

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