Bilbao:Jenseits von Guggenheim

Bilbaos Tourismus hat bislang vor allem von dem spektakulären Guggenheim-Museum profitiert. Doch allmählich begreift die baskische Stadt, wie schön sie eigentlich ist.

Sebastian Schoepp

Ein warmer Wind weht von der Biskaya herüber, die Luft ist feucht und schmeckt nach Salz. Der Abend blaut, und an der Uferpromenade springen die Straßenlaternen an. Ihr Licht spiegelt sich orange in den Wassern des Nervion.

Weihnachtsmarkt in Bilbao

Auf dem traditionellen Weihnachtsmarkt in Bilbao bereitet ein Mann baskischen Pfannkuchen zu.

(Foto: Foto: AFP)

Vom "Gran Hotel Domine" hat man eine schöne Aussicht auf den Fjord, an dem sich Bilbao aufreiht. Dennoch zieht es den Gast ins nahe gelegene "Zortziko. "Zortziko" bezeichnet eigentlich ein Gedicht mit acht Versen in Euskera - der Sprache, die außer Basken keiner versteht.

Widerstrebend gibt die schwere Holztür nach. Innen warten ernste junge Männer in schwarzen Gewändern mit grauen Schärpen, die aussehen, als betrieben sie eine fernöstliche Kampfsportart. Sie geleiten die Gäste in einen gut ausgeleuchteten fensterlosen Raum, in dem Stühle um einen großen Tisch stehen.

Kelche mit schwarzem Wein

Eine Wand ist bedeckt mit Sätzen in einer verschlungenen Kalligrafie. Die Ordensleute beginnen, Kelche mit schwarzem Wein zu füllen. Es geht still und dezent zu, eben wie bei einem Geheimzirkel. Keine Musik, kein Geklapper, kein Gemurmel anderer Gäste, die man in den angrenzenden Separees vermutet.

Das "Zortziko" ist das Lieblingsrestaurant Frank O.Gehrys. Dass Bilbao heute mit einem solchen Lokal werben kann, hat die baskische Metropole ursächlich dem amerikanischen Architekten zu verdanken. Vor acht Jahren löste er aus, was Zigor Bereziartua von Bilbao Turismo den "Guggenheim-Effekt" nennt.

"El Botxo", "das Loch", wurde die Stadt bis dahin genannt, und das nicht nur wegen ihrer Lage im tiefen Tal des Nervion. Es war das Duisburg Spaniens, voller Schlote, Qualm, Gestank, Dreck, Abwasser, Lärm. Die Stadt lebte im metallischen Rhythmus ihrer Fabriken und Werften.

Stadt der Architekten

Im Zuge der europaweiten Krise von Kohle, Stahl und Erz Ende der 1980er Jahre verschwand der Schrott, und es tat sich ein neues, ein wirtschaftliches "Botxo" auf, das Gehry mit seinem fischig glänzenden, amorph verschachtelten Museumsgebilde füllte.

Deswegen sind seitdem neuneinhalb Millionen Besucher gekommen. Nach Angaben der Museumsleitung hängen nahezu 5000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von Guggenheim ab. Ihre Aktivitäten sollen im Jahr 2004 mehr als 184 Millionen Euro in den Großraum Bilbao gebracht haben. Dort leben 1,1 Millionen Menschen, das ist die Hälfte aller Basken.

Gehry folgten weitere namhafte Architekten, die in Bilbao bauten: Santiago Calatrava (Brücke), Norman Foster (U-Bahn), Ricardo Legorreta (Hotel), Dolores Palacios und Federico Soriano (Kongresszentrum), Isozaki Arrata (Hochhäuser) oder Cesar Pelli, der demnächst den ehemaligen Containerhafen mit Bürotürmen zustellt. Der Barceloneser Designer Javier Mariscal hat das höhlenartige Innere des "Gran Hotel Domine" mit schiefen Säulen und gescheckten Sesseln gestaltet.

So ist aus der alten Industriemeile am Nervion ein Themenpark zeitgenössischer Architektur geworden. Alle Beteiligten waren bemüht, den industriellen Charakter durch Metall, Glas, Beton und Rost weiterleben zu lassen. Früher hat Bilbao Stahl verarbeitet, heute spielt es damit. Durch die Kulisse wabert Trockeneisnebel, weil kein echter Industriedunst den Nervion mehr heraufwabert.

Sie wird belebt durch ein bis dato in der Stadt unbekanntes Phänomen: Fremdlinge mit einem Stadtplan in der Hand. Sie halfen den Einheimischen wiederzuentdecken, wie schön sich Bilbao doch eigentlich in seine sieben grünen Hügel kuschelt, überwölbt vom blassblauen, mit Wolken durchsetzten atlantischen Himmel.

Bilbao; Reuters

Das Guggenheim Museum versinkt im Nebel.

(Foto: Foto: Reuters)

Nur der Baulärm nervt. Die Lokalzeitung El Correo berichtet in großer Aufmachung über die Unbilden der allgegenwärtigen Arbeiten. "Müssen sie denn wirklich alles gleichzeitig machen?", klagt ein Geschäftsmann. Da das aber soweit das einzige Problem zu sein scheint, kehren die Menschen aus den Vororten zurück in die Stadt, was man an den Immobilienpreisen ablesen kann. Eine 80-Quadratmeter-Wohnung kostet 400.000 Euro.

Stockfisch und Bohnen

Von den Touristen kommen laut Statistik zwei Drittel nur wegen des Guggenheim-Museums. Doch wer den Kulissenwechsel über die Calatrava-Brücke in den historischen Kern wagt, hat die Chance, ein Stück altes Spanien zu erleben, wie es aus den hektischen Metropolen Barcelona oder Madrid längst verschwunden ist.

In Bilbao gibt es noch die Kaffeehäuser voller Marmor, Messing und Spiegel, wie das "Boulevard", das "Iruña" oder "La Granja". Die Kramerläden heißen wie früher in Kolonialzeiten Ultramarinos. Dort stapelt sich der Bacalao, der Stockfisch, in den Schaufenstern, die getrockneten Bohnen schaufelt man nach wie vor aus großen Säcken.

In den 1970er und frühen 80er Jahren traute sich die spanische Nationalpolizei ins Zentrum Bilbaos nur schwer bewaffnet. Die Altstadt war Eta-Territorium. Doch diese Zeiten seien vorbei, wird allenthalben versichert.

Die Terrorgruppe hat seit zwei Jahren nicht mehr gemordet, die wichtigsten Führer sind gefasst. Niemand lässt mehr wie zu Francos Zeiten die Sektkorken knallen, weil Eta einen Schergen des Regimes hat hochgehen lassen. Die regierende Nationalpartei - eine Art baskische CSU - hat sich klar vom Terror distanziert.

Noch das Schlimmste, was einem passieren könne, sei, in einen Ausbruch von kale borroka zu geraten, in periodisch aufflammende Straßenkrawalle radikaler Separatisten. Aber das sei wirklich großes Pech, versichert Ana Intxausti, die als Reiseleiterin natürlich bestrebt ist, das beste Bild des Baskenlandes zu zeichnen.

"Alle Welt denkt, wir fahren in gepanzerten Fahrzeugen herum und gehen mit dem Maschinengewehr unterm Arm zur Arbeit", sagt sie. In ihren Augen blitzt es. Allerdings gibt es hier eine Menge Leute, die in gepanzerten Autos herumfahren: Gemeinderäte der oppositionellen Sozialisten etwa, oder Unternehmer, von denen vielen nach wie vor "Revolutionssteuer" abgepresst wird.

Rechtfertigung als Gewohnheit

Basken sind es gewohnt, sich bei Reisen in andere Teile Spaniens ständig und überall für derartige Dinge rechtfertigen zu müssen. Deshalb sind sie nicht immer scharf auf das Thema.

Dazu kommt, dass ihnen Vielreden grundsätzlich nicht liegt - jedenfalls, wenn man dem 2003 gestorbenen Bildhauer und Philosophen Jorge Oteiza glaubt, der seine Landsleute als eher introvertierte Menschen porträtierte: Sie waren als Schafhirten für sehr entlegene Gegenden geeignet, weil sie es aushielten, ein halbes Jahr lang mit niemandem zu sprechen.

Zentraler Begriff in Oteizas Schaffen ist das baskische Wort "huts", das eine Art inneres Vakuum beschreibt, das Fehlen von etwas, das man vermisst, aber nicht genau benennen kann. Begrenzt wird diese Leere laut Oteiza von komplementären Polen wie alt und neu, ländlich und städtisch. Oteiza hat dieser Leere Gestalt gegeben, in dem er sie mit scharf umrissenen, abstrakten Formen umgab.

Mehr als 200.000 Menschen besuchten im vergangenen Jahr eine Retrospektive mit seinen Werken im Guggenheim-Museum; einer der Fälle, in denen die dekonstruktivistische Architektur Gehrys der Kunst mal nicht die Schau stahl.

Nur ein paar Schritte entfernt liegt das Schifffahrtsmuseum. Dort kann man die Pole etwas konkreter besichtigen, zwischen denen die baskische Seele hin und her irrt: Motoren, Taue, Kohlebunker, Landkarten. Basken sind eher Techniker als Tänzer, eher Kaufleute als Krieger.

Als das in Kriegen gedemütigte und bankrotte spanische Königreich Ende des 19.Jahrhunderts in lähmender Nostalgie nach vergangener Größe versank, bauten die Basken Schiffe und Fabriken, die Region fand den Anschluss an europäische Industriezentren.

Aus dem herrschenden Kastilien kam nach baskischem Empfinden selten Gutes. Spätestens seit die Truppen General Francos 1937 die Selbstverwaltung Euskadis und die Renaissance der Sprache niederkartätschten, ist das Verhältnis zerrüttet.

Sehr unsüdländisch

Viele Basken suchten ihr Heil in der Auswanderung. Noch heute spricht man die guten Wirtschaftsdaten Chiles dem merkantilistischen Fleiß baskischer Immigranten zu, die die Südspitze Südamerikas wegen des verwandten Klimas schätzen. Rückkehrer, "Indianos" genannt, füllten Bilbaos Innenstadt mit stattlichen Bürgerhäusern von nordischer Solidität.

Auf dem Land denken Basken - sehr unsüdländisch - eher korporativ als individuell. Alles, was höher als 500 Meter liegt, gehört der Allgemeinheit; die Gemeinden betreiben auf den Höhen Holzwirtschaft. Seit dem Mittelalter ist Aufforstung vorgeschrieben. Deshalb sind 65 Prozent Euskadis, wie die Region auf Euskera heißt, bewaldet.

Aus den grünen, regnerischen Tälern zwischen Bilbao und San Sebastian steigt dampfend die Feuchtigkeit, während das kahle Zentralspanien zunehmend an Dürre leidet. Die Ursprünge des Euskera liegen noch immer im Dunkeln, es weist keine offensichtliche Ähnlichkeit mit anderen europäischen Sprachen auf.

Und was nun wollen die Euskaldun eigentlich? Nichts anderes als alle anderen, sagt Ana Intxausti: Ihre Sprache sprechen, tüfteln, über die Berge wandern, sauren Txakolí-Wein trinken und Pintxos essen, wie hier die Tapas heißen. Oder mal mit ihren Lieben in ein schickes Restaurant wie das "Zortziko" einkehren.

Dort werden inzwischen Gänseleberpastete und Täubchen in fünf Garstufen gereicht. Dazu wird Wein aus dem baskischen Teil der Rioja ausgeschenkt. Dort widmet sich Frank O.Gehry mittlerweile dem nächsten Projekt: Im Dorf Elciego baut er ein Hotel. Es sieht aus wie ein Haufen riesiger verschachtelter Weinkisten. Noch so eine Landmarke der baskischen Seele.

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