"Big Apple" mit dem Nachwuchs:Wickelraum und Wolkenkratzer

Mit Kleinkind durch New York: Entspanntes Gucken statt Besichtigungsstress, verzücktes Service-Personal, kostenlose Attraktionen. Und das Beste: Niemand hält Sie für einen Touristen.

Es gibt erprobte Reiseziele für junge Familien - New York gehört auf den ersten Blick nicht dazu. Wer seinen Freunden erzählt, dass er mit einem Kleinkind nach Manhattan will, dem sind Stirnrunzeln und fragende Blicke gewiss. New York ist zwar die ultimative Bestimmung für alle Kinder, die gern Aufzug fahren - aber sonst? Doch die Stadt hat auch für kleine Kinder einiges zu bieten - von riesengroßen Stofftieren bis hin zu echten Gorillas. Und ihre Erziehungsberechtigten werden den "Big Apple" einmal ganz anders kennenlernen.

Es lässt sich nicht bestreiten: Für einen Besuch im Museum of Modern Art mit einem wankenden, grabschenden Eineinhalbjährigen brauchen Eltern starke Nerven. Aber warum sollten sie nicht einfach dann gehen, wenn der Kleine gerade seinen Mittagsschlaf im Buggy hält?

Eltern werden feststellen, dass es Vorteile hat, das Besichtigungstempo zu drosseln und die Tagesplanung flexibel zu gestalten. Endlich müssen sie kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn sie Kakao trinken anstatt noch ein Museum zu besuchen. Endlich haben sie ein Alibi dafür, nur auf einer Parkbank neben der Sandkiste zu sitzen und Leute zu beobachten. So schrumpft New York auf menschliches Maß.

Und so erleben sie die Stadt nicht als Tourist, sondern wie ein Einheimischer. Allerdings sollten sich Eltern darauf vorbereiten, regelmäßig von anderen Touristen nach dem Weg gefragt zu werden. Denn wer ein Kind vor sich herschiebt, wird selbstverständlich für einen New Yorker gehalten.

Schlösser aus Glas, Türme aus Stahl

Was aber soll den Kindern an New York gefallen? Die Antwort könnte lauten: Ungefähr das, was in "Kevin allein in New York" vorkommt. Manches in dieser Stadt könnte direkt aus dem Märchenbuch stammen: Luftschlösser aus Glas und Burgtürme aus Stahl, die so hoch sind, dass ihre Spitzen bei schlechtem Wetter in den Wolken verschwinden - und so schön, dass sie in der untergehenden Sonne glitzern, als hätte jemand sie mit Blattgold überzogen.

Hinzu kommt geheimnisvoller weißer Dampf, der hier und dort aus den Heizanlagen der Unterwelt durch den Straßenbelag dringt, so als stünde New York auf vulkanischem Boden. Haushohe Figuren schweben bei der Thanksgiving-Parade am vierten Donnerstag im November durch die Betoncanyons. Beim Tiergottesdienst zu Ehren des Heiligen Franz von Assisi werden alle Teilnehmer von der Heuschrecke bis zum Elefanten mit Weihwasser gesegnet (am ersten Sonntag im Oktober in der Kathedrale St. John the Divine).

Wickelraum und Wolkenkratzer

Vieles andere haben Kinder zu Hause vielleicht schon gesehen - nur nicht so groß. In New York biegen Limousinen mit 16 Türen um die Ecke, und die Baukräne reichen bis zum 50. Stock. Der Dogwalker mit seinen zwölf Hunden an der Leine, die lebenden Taschenkrebse, die an den Fischständen von China Town über den Korbrand krabbeln, die waghalsigen Inline-Skate-Artisten in der Bandshell im Central Park, das abendliche Lichtermeer am Times Square - das alles sind kostenlose Attraktionen für New-York-Besucher jeden Alters.

Ein Geheimtipp unter Fünfjährigen ist das Geschäft Evolution (120 Spring Street) in Soho, mit seinen Knochen, Gerippen und ausgestopften Tierkörpern. Ein echter, 100 Millionen alter Dinosaurierzahn kostet weniger als 20 Dollar (rund 16 Euro), eine Tarantel unter Glas noch nicht einmal 40 Dollar. Kurzum: Es ist eine Fundgrube für Kinderzimmerschmuck.

Schatzkammer für Gruselfans

Ähnliches gilt für "Abracadabra", den wohl originellsten Halloween-Shop der USA. Etwas größere Kinder werden es genießen, sich hier einen Weg durch das Chaos von Masken, Kostümen, Puppen und Tierfiguren zu bahnen. Das Licht ist schummrig, es tropft aus der Decke und riecht modrig. Aber für Gruselfans ist es eine Schatzkammer. 80 000 Einzelstücke lagern hier, vom zweieinhalb Meter großen Yeti bis zum Reagenzglas für die Giftküche.

Weitere Highlights: Der Toys "R" Us am Times Square (1514 Broadway) mit computeranimiertem Saurier und 18 Meter hohem Riesenrad ist nach eigenen Angaben der größte Spielzeugladen der Welt. Dinosaur Hill (306 East 9. Street) bietet Hunderte Puppen, Marionetten, Figuren und Mitbringsel ab zwei Dollar. Dylan's Candy Bar (1011 Third Avenue) hat gleich zwei Etagen mit Süßigkeiten voll gestopft. Und F.A.O. Schwarz (767 Fifth Avenue) hält Geschenkgutscheine im Wert von 100 000 Dollar bereit. Aber Schauen kostet ja nichts: Die Great Hall gleich beim Reinkommen ähnelt einem Wasserloch in der Serengeti - von der Giraffe bis zur Springmaus ist die afrikanische Fauna in Lebensgröße als Stofftier vertreten.

Spannender als die Fahrt mit der Geisterbahn

Müssen die Kinder zwischendurch auf Toilette, suchen Eltern am Besten eines der großen Kaufhäuser auf. Auch Toiletten in Fastfood-Restaurants und Pizzerien sind leicht zugänglich. Von öffentlichen Toiletten sollten sie sich jedoch fern halten - wenn sie diese überhaupt finden. Der Filmemacher Greg Allen (38) hat sich die Mühe gemacht, auf seiner Website www.daddytypes.com alle Männertoiletten in New York aufzulisten, die über einen Wickeltisch verfügen. Weitere wertvolle Hinweise enthält das zweimonatlich erscheinende Magazin "Time Out New York Kids".

Sofern sich der Nachwuchs für Blauwale in Lebensgröße, den Gebissaufbau des T-Rex oder die Artenvielfalt des Wüstenskorpions interessiert, empfiehlt sich ein Besuch im American Museum of Natural History am Central Park. Am Besten nehmen Eltern die Subway: Ein Trip in den ratternden Untergrundzügen kann spannender sein als eine Fahrt mit der Geisterbahn.

Wickelraum und Wolkenkratzer

Oder sie spazieren quer durch den Park und legen eine Pause auf der großen Ballwiese oder dem Spielplatz ein. In der Südostecke des Parks begegnen Besucher tauchenden Eisbären: Der überschaubare Central Park Zoo, bekannt aus dem Trickfilm "Madagaskar", ist vor allem für kleine Kinder ideal.

Wer mehr Zeit hat, sollte sich für den Bronx Zoo auf der anderen Seite des East River entscheiden. Gitter und Käfige wurden dort schon vor vielen Jahren abgeschafft und durch Panzerglasscheiben ersetzt.

Die Tiere leben in künstlichen Urwäldern und riesigen Freigehegen. Allein die Erkundung des 43 Millionen Dollar teuren Gorillawaldes mit künstlichem Nebel, Baumstämmen, Lianen und Wasserfällen kann einen ganzen Nachmittag ausfüllen.

Die 22 Gorillas sollen in der weltweit einmaligen Anlage lernen, unter möglichst natürlichen Bedingungen ohne menschliche Hilfe zu überleben. Es ist übrigens kein Wagnis mehr, in die Bronx zu fahren: Ausgerechnet New York, das eine so perfekte Kulisse für Thriller hergibt, gehört nicht mal zu den 20 gefährlichsten Städten der USA.

Freundlicher Empfang im Lokal

Während in London schon mal Schilder mit der Aufschrift "Kinder nicht erlaubt" an Restaurants hängen, ist das Personal in New York oft geradezu verzückt, wenn Gäste mit quengelndem Anhang erscheinen. Ein Vorteil ist auch, dass die meisten Restaurants schon am späten Nachmittag gut gefüllt sind. Familien müssen somit nicht - wie in Italien oder Spanien - bis lange nach Einbruch der Dunkelheit durchhalten, wenn sie nicht allein speisen wollen. Einen legendären Ruf unter jungen New Yorker Familien genießen "John's Pizza" (278 Bleecker Street), "Angelo's Coal Oven Pizza" (117 West 57. Street) und "Katz's Delicatessen" (205 East Houston Street). Als bester Bagelshop der Stadt gilt "H&H Bagels" (2239 Broadway).

Eigene Hotel-Etagen für Familien

Bleibt die Wahl des Hotels. Unschlagbar ist das "Washington Square Hotel" (103 Waverly Place) im Herzen von Greenwich Village, in dem vor langer Zeit schon Bob Dylan abstieg. Ein Doppelzimmer kostet gut 200 Dollar die Nacht. Wenn möglich, sollte die Nummer 902 reserviert werden - das ist das größte Zimmer mit fantastischem Ausblick über die Bäume von Washington Square. Alle Räume sind in einem verträumten Art-Déco-Stil gehalten. Der einzige Nachteil: Andere haben auch schon davon gehört, und deshalb ist es oft ausgebucht.

Das vermutlich familienfreundlichste Hotel von Manhattan heißt "Doubletree Guest Suites" (1568 Broadway) und verfügt über zwei Stockwerke mit speziellen Zimmern für Gäste mit kleinen Kindern. Hier stehen Plastikbecher im Schrank, und die Möbel haben keine scharfen Kanten. Alle Zimmer haben Schlafgelegenheiten für mindestens vier Personen. Preisgünstige Alternativen sind "Hotel Beacon", "The Lucerne", "Mayflower", "Excelsior Hotel", "Milburn Hotel", "Gracie Inn", "Travel Inn" und das "Gershwin Hotel", wo sich Familien von den aufregenden Tagen erholen können.

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