Bhutan:Alles in Buddha

Glücklich sein, so die Losung des Königs von Bhutan, ist wichtiger als das Bruttosozialprodukt. Das können nun auch Touristen erleben: Das erste private Hotel hat eröffnet.

Claus Biegert

Die ersten Strahlen der Sonne berühren gerade die höchsten Schneegipfel im Westen, als ein rot gewandeter Mann mit roter Mütze in die von Gebetsfahnen gesäumte Auffahrt einbiegt. Er öffnet eine schwere, hohe Doppeltür, durchquert eine von vierkantigen, geschnitzten und bunt bemalten Säulen getragene Halle, steigt in den zweiten Stock, streift vor einem Raum seine Schuhe ab und tritt vor den goldenen Schrein Buddhas.

Jeden Morgen füllt Lopen Kinzan die sieben Messingschalen auf dem Altar mit geweihtem Wasser, danach zündet er Rauchwerk an. Mit ihm vollziehen Tausende von Mönchen und Nonnen in Bhutan jeden Morgen diesen Ritus, in abgelegenen Klöstern wie in den Dzongs, jenen Klosterfestungen aus dem 17.Jahrhundert, um die sich heute die wenigen Ortschaften des Königreichs scharen.

Lopen Kinzan jedoch unterscheidet sich von den anderen Geistlichen der bergigen Monarchie: Der Altar steht in keinem der spirituellen Stätten, sondern im Zhiwa Ling, Bhutans erstem privatem Hotel. Lopen ist hier der "resident monk", der Hausmönch. Zhiwa Ling bedeutet: Platz des Friedens.

Das Zhiwa Ling wird seinem Namen gerecht: Westlich von Paro gelegen, thront es in der traditionellen, trutzigen Dzong-Architektur am Hang, mit flachen Granitsteinen ummauert, von drachenreichem Holzdekor gesäumt, inmitten eines Parks mit geschwungenen Linien; ein Bach, der von den Bergen kommt, wird in weichen Windungen durch das Anwesen geführt.

Nahe dem Hotel wird der Bach zu einem Wasserfall, weitet sich dann zu einem Seerosenteich und verlässt das Gelände zwischen acht kleinen Häusern mit je vier Suiten. Diese schmalen Häuser tragen die Namen der acht Symbole des Tashi Dagye - im Himalaya-Buddhismus die acht Symbole eines erfüllten Lebens. Die Ausstattung der Räume steht den weitläufigen und eleganteren Suiten im Haupthaus in nichts nach. Luxus zwischen Drachen.

"Alle großen Gebäude Bhutans sind Dzongs", sagt Ugyen Rinzin, Besitzer des Hotels und Gründer der Touristikfirma Yangphel, "also lag es nahe, bei einem großen Hotel die traditionelle Architektur eines Dzong aufzugreifen." Tatsächlich kommt einem die Hotelhalle sofort in den Sinn, wenn man Tage später und einen Pass von Paro getrennt, auf Socken durch den an Farben überbordenden Gebetsraum des Dzongs von Punakha geht.

Wie in den Jahrhunderte alten Schnitzereien laufen auch in den Säulen des Hotels lange Sprünge vertikal durch das Holz, trennen Drachenköpfe in zwei Hälften oder Blumen von ihren Stengeln. "Wir haben das Holz nicht getrocknet, die Sprünge gehören dazu, sie erinnern uns daran, dass das Material einmal lebendig war und die Natur ihren eigenen Willen hat."

Alles in Buddha

Buddhistisches Bauen ist mehr als nur das Festhalten an Formen. Ugyen Rinzin hat den Architekten Peter Kämpf 1992 beim Trekking kennen gelernt, bei einer Tour, die er führte. Sieben Jahre später schreibt er Kämpf eine E-Mail: Ob er sich vorstellen könne, ein Hotel für ihn zu bauen?

Bhutan: undefined
(Foto: Grafik: Martina Schuler)

2002 beginnen die Arbeiten. Ähnlich geriet Hoteldirektor Hans J.Keller, ebenfalls aus der Schweiz, auf seinen Posten: Im September 2006 schreibt er auf eine Anzeige im Internet, er sei ein pensionierter Hotelier, einen solchen suche man doch. Vier Monate später kommt Rinzins Antwort: Ja, er sei an ihm interessiert. Das Zeitgefühl im Himalaya kennt keine Hektik.

Eine Entdeckung der Langsamkeit ist für den Gast auch das Decken der Tische im Speisesaal. Die Mädchen heißen Dechen, Pema, Ash Maya, ihre grazilen Hände legen Servietten und Besteck mit Anmut und Präzision, es ist ein Ballett zarter Finger in Zeitlupe. Die Lunchkarte wird gereicht, der 21-jährige Mukesh präsentiert sie im Gleichklang zu den Bewegungen der Mädchen. Choreographie in der Gastronomie.

Das Angebot von Küchenchef Sonam Yogi, ungeachtet seines Namens ein großer Blonder aus Schweden, verbindet indische und lokale Küche mit europäischen Rezepten. Der Kräutergarten, den Hans J.Keller gleich nach seiner Ankunft anlegen ließ, liefert Estragon, Koriander, Oregano, Thymian und Rosmarin; üppig schmückt Sonam damit die Teller, bevor sie die Küche verlassen.

Bald stehen Curries, Linsenbrot, Chutneys, Fleischbällchen in Rotweinsauce, Spinatpfannkuchen mit Austernpilzen an Ingweryoghurt und rosa Filets von Rindern aus dem hiesigen Hochland auf dem Tisch. Wir sprechen über die Zukunft des hundertjährigen Königreichs, das im Frühjahr 2008 in eine Demokratie übergehen wird; über die Chancen und Gefahren für ein Land, das durch seine Geographie uneinnehmbar und unattraktiv ist für die benachbarten Großmächte, das seinen Reichtum in der Natur hat, gleichzeitig "für keine Summe der Welt" Bergsteiger oder Jäger ins Land lässt und das ein "plastikfreies und rauchfreies Bhutan" propagiert; über die Verführungskraft der Medien und das staatliche Fernsehen, das keine Gewaltfilme zeigt.

Und natürlich ist die Rede vom "Gross National Happiness", dem Bruttosozialglück, das, wenngleich statistisch nicht sicher erfassbar, auf königliche Initiative dem Bruttosozialprodukt übergeordnet ist. Autonomie plus Utopie - Höhenluft scheint hohe Ziele zu schaffen.

Alles in Buddha

Bhutan: Mönche beim "Schwarzer-Hut-Tanz" auf dem farbenprächtigen Tsechu Fest.

Mönche beim "Schwarzer-Hut-Tanz" auf dem farbenprächtigen Tsechu Fest.

(Foto: Foto: AP)

Ugyen, er stellt sich mit Vornamen vor, ist ein schlanker, hochgewachsener Mann in seinen Vierzigern, mit königlichem Gestus und weicher Stimme. Einmal sinniert er, als er den Rotwein hebt, und es klingt wie der Trinkspruch eines Außerirdischen: Warum der Westen nicht aus seinen Fehlern lerne? Warum die Konzerne nicht sehen, dass sie durch durch den Raubbau ihre eigene Existenz zerstörten? Warum die Ehrfurcht vor der Natur entschwinde?

Hotelier Keller hat, als habe er die Fragen geahnt, ein Sachbuch aus den Neunziger Jahren dabei: "Robots Rebellion" von David Icke. Er klopft als Antwort auf den Deckel: "Da steht alles drin!" Er reicht es seinem Gegenüber. Ugyen schiebt das Buch über dem Bauchgurt in seinen knielangen Gho, den traditionellen Umhang, der wie ein Kimono geschnitten ist; dort hat er auch sein Mobiltelefon verstaut. Erst wenn im Gho beim besten Willen kein Platz mehr ist, greifen Bhutans Männer zu einer Tasche.

Eine Reisegruppe drängt an die Tische. Viele tragen noch den weißen Schal, den das Personal bei Ankunft den Gästen um den Hals legt. Kommt ein hochgesteller Rinpoche oder Lama, wird der Direktor gerufen, sobald der Wagen auf der Straße gesichtet wird. Keller eilt dann vor den Eingang und wartet, die Arme mit dem Schal vor sich ausgebreitet, bis seine Heiligkeit den Schal nimmt und ihm, Keller, umlegt.

Einmal ging es schief. Keller amüsiert: "Ich verharrte in meiner Demutshaltung, den Blick gesenkt, da höre ich die verzweifelte Frage: What should I do? Der vermeintliche hohe Gast war ein amerikanischer Tourist. Put it over my head, zischte ich." Der Mann tat, wie ihm geheißen und das versammelte Personal, so Keller, "lachte, wie ich sie noch nie habe lachen hören". Dabei ist Lachen hier Alltag; in der Halle hängt eine Collage aus den Köpfen der 80 lachenden Mitarbeiter.

Gruppen, die absteigen und weiterziehen - das befriedigt Keller nicht. Er will erreichen, dass der "Platz des Friedens" auch zum Bleiben verführt. Sein Plan: "Buddhismus ist der Way of Life dieses Landes, also habe ich die großen buddhistischen Lehrer der Welt eingeladen". Alle haben zugesagt, von Dezember bis August nächsten Jahres werden sie zu einwöchigen Seminaren ins Zhiwa Ling kommen. Keller: "Jeder Teilnehmer ermöglicht mit seinem Geld die Teilnahme einer Person aus Bhutan. Damit wird jeder Gast zum Spender."

Alles in Buddha

Im Tashi Delek, der Bordzeitschrift der königlichen Fluglinie Drukair (gesamte Flotte: vier Jet-Flugzeuge für je 152 Passagiere) nimmt das Programm bereits einen besonderen Platz ein. Für den lebhaften Schweizer Pensionär Hans J. Keller ist die Ausdehnung ins Spirituelle nichts Außergewöhnliches. "Mit vierzig war ich bloß ein netter Marketingmann," sagt er, "dann haben mir einige Erlebnisse die Augen geöffnet." In den 1980er Jahren baute er ein Mini-Öko-Dorf in North Carolina, später - als Vizepräsident des Penta in New York oder des Plaza in London - pflegte er immer Kontakt zu den alternativen Denkern der Metropolen.

Wir gehen zum Meditationshaus am höchsten Punkt des Parks. Ein Hund schläft auf dem Weg. Wir steigen über ihn, so wie wir in Paro, in Thimphu oder Punakha über Hunde gestiegen sind. Die meisten Hunde Bhutans öffnen nicht einmal ein Auge, wenn ein Schuh neben ihren Kopf tritt oder ein Auto sie knapp umrundet. Sind sie auch Buddhisten?

Spätestens nach Mitternacht wird man von dieser Illusion befreit, wenn die wilden Horden hundertstimmig bellend durch die Straßen jagen, Territorien und Essensfunde verteidigend. Dem Zhiwa Ling wird in diesem Punkt eine Sonderstellung zuteil: Nachts hört man nur den kleinen Wasserfall, vielleicht den Wind in den weichen Nadeln der Blaukiefern.

Der Blick aus dem Nordfenster des Meditationshauses trifft über dem goldenen Scheitel Buddhas genau auf das "Nest des Tigers": In fast 3000 Metern Höhe klebt das Kloster Taktsang am Felsen.

Das "Nest des Tigers" liegt in 3000 Metern Höhe

Padma Sambhave, der Begründer des Buddhismus in Bhutan, so geht die Sage, ritt auf einem Tiger, entkam seinen Verfolgern, fand an dieser Stelle Sicherheit und bezwang die Dämonen der Gegend. Das soll im Jahr 747 unserer Zeitrechnung gewesen sein.

Der Aufstieg ist ein beliebter Ausflug, zwei Stunden für einen Weg müssen Ankommende aus dem Flachland einrechnen. Die jungen Mönche springen ins Tal und wieder hoch, während man selber noch Luft holt.

Das "Tiger's Nest" ist auch ohne Höhenmeter atemberaubend. Diese Selbstverständlichkeit, mit der dieses Bauwerk aus dem 17.Jahrhundert am Berg sitzt, verdient einen Architekturpreis und die Adelung der Unesco zum Weltkulturerbe. Im April 1998 brannten große Teile des Klosters ab, und der König gab das Geld für den Wiederaufbau, was den frischen Eindruck des Gebäudes erklärt.

Wieder im Tal, empfiehlt sich ein heißes Steinbad, nur wenige Schritte vom Meditationshaus entfernt. Badewasser im Holzkasten, erhitzt durch glühende Steine aus dem Feuer, ist eine alte Methode in Bhutan, Vergnügen und Medizin zu verbinden. Die Steine mineralisieren das Wasser.

Ob wir "Erma datsi" kennen, will Mukesh wissen. Dann bringt er, zum bestellten Essen, als Dreingabe eine Schüssel voll grüner Chilis gekocht in Käse. Mit einer Verbeugung legt er noch das Rezept für das Nationalgericht neben den Teller, er hat es auf dem Laptop gerade geschrieben - mit seiner E-Mail-Adresse für Feedback. Bhutan will hören, was die Welt draußen denkt.

Informationen

Anreise und Einreisebestimmungen: Individualreisen nach Bhutan sind nur über örtliche Reiseveranstalter möglich. In diesem Fall bietet sich Yangphel Adventure Travel an: Mr.Karma Lotey / Ms. Karma Choden, Tel.: 00975/2/32 32 93, -94, Fax: 00975/2/32 28 97, E-Mail: md@yangphel.com, www.yangphel.com

Ein Visum (ca. 14 Euro) wird ausgestellt, sobald man die Rechnung für den Aufenthalt auf ein Schweizer Konto überwiesen hat. Pro Tag sind es ca. 140 Euro; darin enthalten sind: Hotel, drei Mahlzeiten, Führer, Auto.

Da der Anschlussflug über Delhi oft nicht am gleichen Tag möglich ist, braucht man ein Transitvisum für Indien (zwölf Euro), das die Konsulate in einem Tag ausstellen.

Flüge nach Paro (Bhutans einzigem Flughafen) gibt es außerdem von Kalkutta, Bangkok und Kathmandu. Die besten Reisezeiten sind März bis Mai und Oktober bis Dezember.

Unterkunft: Zhiwa Ling Hotel, Tel.: 00975/2/32 18 73, Fax: 00975/2/32 18 74, E-Mail: info@zhiwaling.com, www.zhiwaling.com, Zimmerpreise auf Anfrage

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: