Besuch in der Inneren Mongolei:Hohhot? Was wollt ihr in Hohhot?

In Peking können es viele nicht fassen, dass Touristen tatsächlich nach Hohhot, der Hauptstadt der Inneren Mongolei, reisen wollen. Dort wird die "Mongolei" für Touristen inszeniert - und es nicht immer gern gesehen, wenn diese das Land auf eigene Faust entdecken wollen.

Martin Bernstein

Jolly Jumper. Eindeutig. Mitten in Hohhot trabt das Pferd des Comic-Cowboys Lucky Luke über die Weltkugel in den Sonnenuntergang. "Das ist das Wahrzeichen Hohhots", sagt der Führer durch die Zwei-Millionen-Stadt, "das Pferdedenkmal erinnert an den mongolischen Ursprung, an die Steppe." Hohhot gilt als touristisches Zentrum der Inneren Mongolei, übrigens auch als Kapitale der chinesischen Milchwirtschaft. Auf nach Hohhot also, in den Sonnenuntergang - von Peking aus betrachtet.

Besuch in der Inneren Mongolei: Im Grasland nördlich von Hohhot werden mongolische Traditionen vor allem für Touristen aufbereitet. Chinesen stellen hier den Großteil der Bevölkerung.

Im Grasland nördlich von Hohhot werden mongolische Traditionen vor allem für Touristen aufbereitet. Chinesen stellen hier den Großteil der Bevölkerung.

(Foto: Martin Bernstein)

"Hohhot. Ah ja." Das Gesicht der chinesischen Gastgeberin am Vortag spricht Bände. "Und was wollt ihr da?" Noch zwölf Stunden bis zum Abflug in die Innere Mongolei. Im höchsten Gebäude Pekings, dem 330 Meter hohen Wolkenkratzer, der das Hotel World Summit Wing beherbergt, treffen westliche Hohhot-Reisende auf Chinesen, die im Leben nicht auf diese Idee kämen. Hongkong, ja. Shanghai, selbstverständlich. Aber Hohhot? Nur 430 Kilometer von Peking entfernt - und doch in einer anderen Welt.

Dabei ist Hohhot eine boomende Stadt. Tetrapak hat seit 2009 eine Produktionsstätte dort. Windenergie-Anlagenbauer Vestas ebenso. Die Stadt ist Verwaltungssitz des Autonomen Gebiets Innere Mongolei. Autonom ist das Gebiet freilich nur unter den Bedingungen des chinesischen Staates - also gar nicht. Und die Innere Mongolei ist nur aus der Perspektive Pekings "innen".

Aus Sicht jener Mongolen, die jenseits der Grenze in einem unabhängigen, kürzlich von der deutschen Kanzlerin besuchten Staatswesen leben, so weit draußen und so chinesisch dominiert, dass man den Stammesbrüdern am liebsten das Mongolentum gleich ganz absprechen würde. Was dann wiederum sogar statistisch begründbar wäre: Noch nicht einmal zehn Prozent der rund 2,3 Millionen Einwohner Hohhots sind Mongolen. 2,1 Millionen Han-Chinesen leben in der Stadt am Südrand des Yinshan-Gebirges. Tendenz steigend.

Im neuen Bahnhof am Stadtrand soll von 2014 an der Hochgeschwindigkeitszug aus Peking ankommen. Hochhäuser wachsen überall aus dem Boden. China eben. Oder doch weniger ferner Osten und mehr Zentralasien? Astana in Kasachstan, Aschgabat in Turkmenistan sehen so ähnlich aus: Postmoderne zwischen hochgeschossenem Schweizerhaus und Retro-Zuckerbäckerstil.

Was wollt ihr in Hohhot?" Ein professioneller Globetrotter hat die Stadt tatsächlich in seinem Buch über die Seidenstraße erwähnt - aber auch, dass die legendäre Handelsroute schon deshalb nicht durch Hohhot führte, weil die Stadt erst um 1580 vom Mongolenfürsten Altan Khan, einem Nachkommen Dschingis Khans, gegründet wurde.

Da war der Handel zwischen China und dem fernen Westen schon längst vom beschwerlichen Landweg auf den viel schnelleren Seeweg umgeleitet worden - sofern er denn überhaupt noch stattfand.

Und nun: Hohhot. Nach kurzer Fahrt durch die Stadt hält der Bus vor dem Hotel. Junge Damen in mongolischen Gewändern warten. In den Händen halten sie kleine Schälchen. Mit einer Art Wodka, nur schlimmer.

Begleiter fangen Touristen wieder ein

Ein Spritzer für den Himmel, ein Spritzer für den Boden, ein Tupfer für die Stirn, ein großer Schluck; 67 Prozent hat das rustikale Destillat, ist später zu erfahren. Einen blauen Seidenschal gibt es als Dreingabe. Seide. Blau. Köke Qota, die blaue Stadt, nennen die Mongolen Hohhot. "Blau" kann auch "rein" bedeuten. Weil es in dieser Stadt am Rand der Steppe so viele Tempel gibt?

Besuch in der Inneren Mongolei: Alt und neu: An der Touristenmeile von Hohhot beim Dazhao-Tempel werden auch solarbetriebene Gebetsmühlen verkauft.

Alt und neu: An der Touristenmeile von Hohhot beim Dazhao-Tempel werden auch solarbetriebene Gebetsmühlen verkauft.

(Foto: Martin Bernstein)

Wie viele es sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Zahl 19 ist häufig zu lesen, an anderer Stelle ist von rund 50 buddhistischen Tempeln die Rede. Oder sind es 15? Ein Blick aus dem Hotelzimmerfenster. Dort hinten, ein Tempel. Und dort: eine Stupa, das Grabdenkmal eines buddhistischen Heiligen. Oder?

Der Stadtführer muss es doch wissen: "Ist das eine Stupa oder ein Tempel?" - "Nein." - "Aber ich habe ihn doch gesehen von meinem Fenster aus, kein Tempel?" - "Nein. Heizkraftwerk!" - "Dort drüben, schau, das meine ich!" - "Ah, das. Ja." - "Was ja?" - "Tempel!"

Bei einer Stadtführung in Hohhot hat man als Gast bisweilen den Eindruck, es könnte nicht schaden, ein bisschen mehr zu wissen als der Guide. Was vermutlich auch gar nicht so schwierig wäre. Kompliziert wird es immer dann, wenn jemand vom offiziellen Programm abzuweichen versucht.

Am nächsten Tag, im wundervollen Gegentala-Grasland zum Beispiel. Eine der Sehenswürdigkeiten, mit denen Hohhot wirbt. Durch das nagelneue Universitätsviertel geht die Fahrt, dann windet sich die Straße hinauf in die Berge. Kaum Dörfer, und wenn, dann halb verlassen, verfallen. Drei Autostunden nördlich von Hohhot beginnt das Grasland.

Wer allein losmarschiert, wird spätestens nach 200 Metern mit dem Moped wieder eingefangen und höflich gebeten umzukehren. Warum? "Zu gefährlich. Sie könnten sich verlaufen." Man hat kilometerweit freie Sicht im Grasland, weshalb dort auch die chinesischen Astronauten landen. Und die wildesten Tiere, denen man begegnet, sind Trampeltiere.

In Hohhot könnte man sich dagegen tatsächlich verlaufen. Daran wären dann möglicherweise die Stadtführer nicht ganz unschuldig. Will der Besucher etwas wissen, was der örtliche Experte selbst nicht weiß, dann gibt dieser nämlich aus lauter Höflichkeit nicht etwa keine Antwort. Er sagt auch nicht: "Das weiß ich gerade nicht." Denn dann würde er sein Gesicht verlieren. Er sagt - im Brustton der Überzeugung - irgendwas, was ihm gerade so durch den Kopf geht.

Der Dazhao-Tempel in Hohhot steht auf dem offiziellen Besuchsprogramm. Und vor dem Tempel sogar eine Reiseführerin bereit. Sie versteht etwas von der Anlage aus dem Jahr 1579 - leider ist sie nicht so ganz leicht zu verstehen. Macht aber nichts, der Tempel ist großartig genug.

Und was es mit all den Bodhisattvas und Himmelskönigen auf sich hat, kann man auch zu Hause nachlesen. Wenig Information, aber ein Fest für die Sinne: leuchtende Farben, der Geruch von Räucherstäbchen. Bunte Gebetsfahnen und blaue Tücher wehen im Wind. Und überall Pferde, in Stein, aus Bronze, auf Textilien.

Dazwischen Alltagsszenen, die man ohne Worte versteht. Mutter und Sohn am sandgefüllten Bronzekessel für die Räucherstäbchen. Der Bub möchte noch eines anzünden, zündeln macht halt so großen Spaß, und noch eines, und noch eines - bis der Mutter der Geduldsfaden reißt. Ein energischer Griff, der Neunjährige wird in andächtige Gebetshaltung gezwungen. Und nach ein paar Sekunden geht sein Blick schon wieder nach rechts, zum Laden, in dem die Räucherkerzen bündelweise feilgeboten werden.

Fremd und zugleich vertraut ist diese religiöse Welt mit ihren rosenkranzartigen Gebetsketten, ihren Heiligenscheinen und gläubig verehrten Statuen, Bildern und Bäumen. Vor dem Tempeltor steht eine riesige Statue. Arbeiter turnen auf ihr herum. Mit kleinen Läppchen polieren sie den Koloss. Altan Khan, der Gründer Hohhots. Und der Erfinder des Dalai Lama.

Dschingis Khans Nachfahren

Der Mongolenkhan hatte nämlich ein Problem. Und das war weniger religiöser denn machtpolitischer Natur. Altan nahm zwar für sich in Anspruch, vom großen Dschingis Khan abzustammen. Doch er war lediglich der Herrscher einer Nebenlinie. Freilich ein ziemlich erfolgreicher. Irgendwann passten politischer Rang und tatsächliche Macht nicht mehr so recht zusammen. Fand zumindest Altan Khan.

Innere Mongolei

Die Innere Mongolei mit der Hauptstadt Hohhot ist ein Autonomes Gebiet in China.

(Foto: SZ Graphik/Borgenheimer)

Und er erinnerte sich an den tibetischen Lehrer und Abt Sönam Gyatsho. Die Missionsreise des Buddhisten in die Mongolei wurde zum vollen Erfolg - für die beiden Beteiligten: Der Khan aus der Steppe verlieh 1578 dem Geistlichen aus den Bergen den Titel eines "Dalai Lama" und machte ihn damit zum Oberhaupt aller tibetischen und mongolischen Buddhisten. Im Gegenzug bekam die Herrschaft Altan Khans die allerhöchsten Weihen.

Seither - und nach den Verfolgungen in den Jahren der Kulturrevolution inzwischen auch wieder offiziell abgesegnet - drehen sich in der Mongolei die Gebetsmühlen. Sogar mit Solarantrieb, im handlichen Reiseformat käuflich zu erwerben im Laden gleich schräg gegenüber vom Dazhao-Tempel.

"Was wollt ihr in Hohhot?" Die Mongolei entdecken? Gar nicht so einfach. Nein, sagt die Kellnerin im mongolischen Kostüm beim mongolischen Abendessen, Mongolin sei sie nicht, Chinesin natürlich.

Nein, sagt der Geschäftsführer des mongolischen Touristenzentrums im Grasland, Mongole sei er nicht. Aber immerhin 90 Prozent seiner Angestellten. Nein, sagt der Reiseführer, die Mehrheit der Anteile am Touristenzentrum hätten nicht die Mongolen - die habe ein chinesischer Staatsbetrieb.

Aber die Reiter zumindest, am Bach hinter den Touristenjurten, die sind Mongolen. Und sie reiten wie die Teufel, heben mühelos im vollen Galopp Gegenstände vom Boden auf. Wahre Nachkommen Dschingis Khans. Ja, sagt der Mann, der die Szenerie beobachtet, echte Mongolen, nicht wahr?! Dann klatscht er in die Hände. "Nochmal wiederholen, bitte!" Dschingis Khans Krieger reiten heute für den Werbefilm eines Hongkonger Reisebüros.

Noch einmal ein paar Schritte ins Grasland. Der Aufpasser mit dem Moped hat wohl gerade woanders zu tun. Endlich allein, im Gras liegen. Ein Hunderte Kilometer breites Meer aus Gras. Dahinter fängt die Wüste Gobi an. Über dem Gras wölbt sich der Himmel, in dessen grenzenlosem Blau zwei Falken kreisen.

"Was wollt ihr eigentlich in Hohhot?" Was für eine Frage: Das, genau das. In diesem Augenblick der Stille nur das.

Informationen

Anreise: von Frankfurt oder München mit Quatar Airways nach Peking, hin und zurück ab 632 Euro, www.qatarairways.com/de. Weiter von Peking nach Hohhot mit Air China ca. 280 Euro, www.airchina.de.

Unterkunft und Reisearrangements: Shangri-La Hotel, Hohhot, DZ mit Frühstück ab 120 Euro. Im Grasland findet jedes Jahr im Juli oder August das mongolische Nadam-Festival statt - mit Schießen, Reiten, Wrestling. Informationen zum Land bietet das Fremdenverkehrsamt der Volksrepublik China, china-tourism.de

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