Besuch am überfüllten Flughafen Tegel:Es hätte schlimmer kommen können

Nach der gescheiterten Eröffnung des Willy-Brandt-Flughafens muss der überlastete Airport Tegel noch mehr Passagiere in die Luft bringen als früher. Doch die Berliner bleiben überraschend entspannt. Bis auf einen.

Friederike Zoe Grasshoff, Berlin

"Planen Sie mehr Zeit für Anreise und Check-In ein!", "Kapazitätsgrenze erreicht!", "Es wird eng!" Die Meldungen der vergangenen Wochen ließen nichts Gutes erhoffen für die Passagiere am Berliner Flughafen Tegel. Dieser musste unverhofft das Desaster um den wieder nicht eröffneten neuen Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg abmildern, genauso wie der alte DDR-Flughafen Schönefeld.

Beide Airports sollten seit 3. Juni eigentlich geschlossen sein, nun müssen sie und die Passagiere ein Jahr länger durchhalten - und das mit noch mehr Verkehr, denn die Airlines hatten in Erwartung des größeren Willy-Brandt-Flughafens ihre Flugpläne aufgestockt. Ja, es könnte eng werden. Und ja, es ist eng in Tegel, an diesem Tag in den noch jungen Sommerferien in Berlin.

Die Menschen schieben und drängeln, bleiben dabei aber entspannter als gedacht - mehr wie auf einem Festival als auf einem überfüllten Flughafen. Männer mit Deutschland-Trikots und Strohhüten grölen "Deutschland, Deutschlaaaaaaand", nur ein kleiner Junge heult: "Mama, wann sind wir da?" Auf dem grau gesprenkelten Steinboden liegen Spanierinnen in Hotpants und blättern in Frauenzeitschriften, ein Mann schläft mit offenem Mund auf einer Heizung. Entspannen in Tegel, Terminal A.

Weniger entspannt war Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn. Er kritisierte, Tegel habe dem Massenansturm in den ersten Ferientagen nicht standgehalten. Flughafensprecher Leif Erichsen sah das anders: Die Abfertigung habe "den Umständen entsprechend gut geklappt". Vielleicht stießen dem ehemaligen Bahnchef bei den Rückmeldungen seiner Mitarbeiter aber auch nur die viel zu oft gehörten Wörter "warten", "überfüllt" und "Verspätung" sauer auf.

In den Sommerferien werden allein in der Hauptreisezeit von Donnerstag bis Sonntag 30.000 Passagiere mehr als sonst durch Tegel geschleust, insgesamt wollten rund um das erste Wochenende etwa 320.000 Menschen fliegen. Doch da die neu gebaute Alternative fehlt, geht der Betrieb in Tegel weiter.

Und wie: Türkische Großfamilien, Anzugträger, Fußballfans, japanische Reisegruppen mit riesigen Spiegelreflexkameras und Rucksacktouristen strömen aus den Bussen und Taxis. Sie schieben sich durch die schwitzende Menge, in der sich nur Verliebte Zeit für lange Abschiedsküsse nehmen. Die Reisenden stöhnen, schimpfen, lachen, trinken Bier, rauchen, essen Currywurst. Und warten auf die Erlösung: den Flieger in den Urlaub.

Malta, Belgrad, Peking. Seit dem Debakel um den Willy-Brandt-Flughafen muss der Flughafen täglich rund zwanzig zusätzliche Starts und Landungen verkraften. "Es ist nur so voll hier, weil die Leute aus Angst vor dem Chaos mehrere Stunden vor Abflug angereist sind", sagt eine Servicemitarbeiterin, die in einem weinrotem Polo-Shirt im Terminal C steht und dienstbeflissen lächelt. "Alles läuft glatt."

In den schmalen Gängen des Terminal A werden die Warteschlangen an den Check-In-Schaltern länger, krümmen sich, verschmelzen zu einem großen Wartepulk. Aus den Lautsprechern durchdringt eine Frauenstimme die Halle, sie fordert einen PKW-Besitzer dazu auf, seinen Wagen aus dem Halteverbot zu fahren: "Sie behindern den öffentlichen Nahverkehr!" Kurze Pause, dann wird die Stimme noch energischer: "Ich wiederhole: Sie behindern den öffentlichen Nahverkehr." Der Mann auf der Heizung schläft immer noch, den Kopf auf seinen Rucksack gebettet.

Warten, warten, warten. Auch an der Currywurstbude vor dem Flughafengebäude: Stau. Ein Flughafenmitarbeiter mit neongelber Weste stopft sich hastig ein paar Pommes in den Mund. "Der Verkehr hat zwar zugenommen, ein großer Unterschied zu sonst ist das aber nicht", nuschelt er. Das befürchtete Reisedesaster in Tegel, bleibt es etwa aus?

Und das in der Stadt, die damit kokettiert, chaotisch zu sein, aber dafür kreativ? Der "Arm-aber-sexy-Stadt", in der tagtäglich die S-Bahnen ausfallen? Zumindest in Tegel kann Berlin auch anders, muss es ja auch. Schließlich ist in der Hauptstadt diesmal gleich ein ganzer neuer Flughafen ausgefallen.

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