Besondere Unterkünfte:Ein Bett auf dem Hudson River

Wer sich für diese Privatunterkünfte entscheidet, profitiert doppelt: Von den Gastgebern gibt es Tipps, die in keinem Reiseführer stehen und im Angebot sind ungewöhnliche Quartiere - zum Beispiel eine ehemalige Einwandererfähre in New York.

Evelyn Pschak

Es gibt Menschen, die würden 100 alte Lkw-Reifen vor ihrem Eingang für Müll halten. Und es gibt Victoria MacKenzie-Child, die verschlissene Pneus aus der Nachbarschaft zusammensucht, in Dreierreihen anordnet, mit Erde füllt und mit Mais, Kürbissen, Basilikum, Paprika und gelben Studentenblumen bepflanzt. Die Gefäßwahl passt zum Ort: Victoria MacKenzie-Child wollte einen urbanen Garten auf dem Pier, der zur historischen Fähre führt, die sie mit ihrem Mann Richard bewohnt. Und mehr Urbanität ist nicht möglich: Die Yankee des Designer-Paars liegt auf dem Hudson River in Hoboken, New Jersey, vor Anker.

Besondere Unterkünfte: Die Menschen, die einst auf dem Schiff fuhren, hatten es nicht ganz so gemütlich wie die heutigen Gäste.

Die Menschen, die einst auf dem Schiff fuhren, hatten es nicht ganz so gemütlich wie die heutigen Gäste.

(Foto: Navid Baraty)

Am Flussufer gegenüber, nur sieben Fahrminuten mit der New York City Waterway Ferry entfernt, blinkt Manhattan. Trotzdem: Von Hektik ist an Bord nichts zu spüren. Wer mit beherztem Schritt über die kippelige Holzbrücke in den Schiffsbauch steigt, findet sich in einem Sammelsurium alter Fundstücke wieder. Gegürtete Überseekoffer erzählen von der früheren Bestimmung der 1907 gebauten Yankee: Sie schipperte einst die Immigranten von Ellis Island, Sitz der Einreisebehörde, nach New York City. Geklöppelte Spitze, Lochmusterleinen und Damastdecken stapeln sich in den Koffern, die nach Lavendel riechen, wenn man sie öffnet.

Der Geruch steigt wieder in die Nase, sobald man zwischen die Laken des Gästebetts schlüpft. Hinein in den wiegenden Schlaf eines Kitschromans. Der Mond steht über Hoboken. Leise ächzend schaukelt das Schiff. Die Wellen werfen das Funkeln der Glühbirnen zurück, die MacKenzie-Child um die Reling gespannt hat. Sie ist wie die nimmermüde Fee Tinker Bell, nur in Schottenmuster-Tracht, die regenbogenfarbenen Haare in Entscheidungsnot zwischen Dutt und Pippi-Langstrumpf-Frisur.

Hühner liefern Inspirationen

Was nicht alt ist an Bord, hat sie selbst entworfen. Der Name MacKenzie-Child steht in den Staaten für verspielte Keramikarbeiten, für Tischschmuck mit bunten Schleifen und Glasperlenstickerei, für schwarz-weiße Karomuster auf Stuhllehnen und rosa Teekannengriffe in Form von Hühnerfedern. Hühner inspirieren das Ehepaar - ein paar Exemplare gackern im Freigehege vor der Küche.

Victoria und Richard sind seit 43 Jahren verheiratet und entwerfen seit den achtziger Jahren getöpfertes, bemaltes, beklebtes und besticktes Kunsthandwerk. Doch seit dem Jahr 2000 gehört den beiden die Firma, die noch heute unter ihrem Namen fortbesteht, "dank schlechter Berater" nicht mehr.

Im Jahr darauf habe sie die Yankee gefunden, erzählt die 69-Jährige lächelnd, wie um sich selbst zu beteuern, dass ein Verlust auch den Mut herbeizwingen kann, sich neu zu positionieren. Ihr "Erster Maat" Aaron habe ihr von der Internetplattform Airbnb berichtet, über die Privatleute ihre eigene Wohnung als Unterkunft für Touristen anbieten. "Zuerst war Richard dagegen. Aber unsere finanzielle Situation ähnelte auf einmal der unserer künstlerischen Anfänge. Also begann ich, die Kabinen herzurichten. Das hat Spaß gemacht. Es war, wie im Innern einer großen Skulptur zu arbeiten."

Persönlicher Kontakt zwischen Gastgebern und Gästen

Victoria und Richard passen mit ihrer Yankee exakt in das Akquisekonzept von Airbnb. Das vor vier Jahren in San Francisco gegründete Unternehmen vermittelt weltweit Privatunterkünfte mit besonderem Dreh: Ein viktorianisches Schloss in Yorkshire, ein Baumhaus mit Blick auf die Bucht von San Francisco, Frank Sinatras ehemalige Villa in Palm Springs, sogar eine Fidschi-Insel. Oder eben die letzte verbliebene Immigrantenfähre New Yorks.

Besondere Unterkünfte: Am Pier haben die Besitzer, das Künstlerpaar Victoria und Richard MacKenzie-Child, alte Autoreifen bepflanzt und zum Garten arrangiert.

Am Pier haben die Besitzer, das Künstlerpaar Victoria und Richard MacKenzie-Child, alte Autoreifen bepflanzt und zum Garten arrangiert.

(Foto: Navid Baraty)

"Airbnb ist mehr als ein Internetdienst", sagt der Geschäftsführer von Airbnb in Deutschland, Gunnar Froh, "es ist eine einzigartige weltweite Community und die Chance, Menschen und Orte völlig anders zu erleben."

Bislang wurden mehr als zwei Millionen gebuchte Nächte vermittelt. In mehr als 19. 000 Städten in 192 Ländern finden Reisende über die Plattform außergewöhnliche Adressen. Allein in New York gibt es mehr als 10.000. Weltweit kommen täglich 500 neue dazu. Der persönliche Kontakt zwischen Gastgebern und Gästen ist ausdrücklich gewollt.

Und den hat man auf der Yankee garantiert. Schon allein, weil es für alle Schiffsbewohner nur ein gemeinsames Badezimmer gibt. Oder weil Aaron Smulktis, ein kalifornienblonder Grafiker, der sich um Reparaturen kümmert, gegen zwei Uhr morgens zu den Touristen ins Gästezimmer eilt, um einen alten Konzertflügel vor Wasserschäden zu retten. Bei starkem Regen sei die Yankee leider undicht, sagt er betreten. Aaron liebt das Schiff nicht minder als seine Arbeitgeber. Inzwischen wohnt auch er an Bord. Das eigene Apartment in Williamsburg hat er vermietet - über Airbnb. Dennoch treibt es ihn ab und zu in seine alte Gegend, ein Viertel von industriell gefärbter Infrastruktur, das sich junge Designer und Künstler erschließen.

Schneller und individueller Zugang zur Stadt

Wer dort aus der L-Train-Station steigt, erschrickt erst mal: Abbruchhäuser, deren löchrige Mauern den Blick auf Hinterhöfe voller Schutt freigeben. Fabrikfenster, blind vor Schmutz. Doch dann, in der Moore Street: der Szene-Italiener Roberta's mit eigener Radiostation. Wenige Meter weiter hat die Modedesignerin Mary Meyer ein schickes Verkaufsloft aufgemacht, und der Kreativen-Treffpunkt 3rd Ward, für den Aaron früher arbeitete, finalisiert in einer großen alten Fabrik gerade die letzten Büros für den Neubezug. Ohne Aaron hätte man kaum den Weg bis hierher gefunden. In den Reiseführern von 2011 ist keine der drei Adressen notiert.

Das System Airbnb scheint aufzugehen: Über den Kontakt mit den Gastgebern erschließt sich selbst eine Stadt wie New York ganz einfach. Und der Zugang gerät schneller und individueller als über die gängigen Concierge-Ratschläge großer Hotelketten.

Die Highline, eine zur Parkanlage umgebaute Hochbahntrasse, ist zwar schon längst kein Geheimtipp mehr, dennoch besteht Aaron darauf, vor der Rückfahrt den Umweg über den Meatpacking District zu machen. Auf Höhe des Hotels The Standard kann man über den Hudson schauen. "Auf der anderen Seite liegt die Yankee", freut sich Aaron. Man kann sie nicht sehen, ein Schiff liegt davor. Aber den Pier erkennt man. Darauf lichtes Grün, aus schwarzen Reifen wachsend. Garten oder Unrat? Was für eine Frage!

Informationen:

Anreise: Vom Flughafen JFK mit dem Airtrain zur New Yorker U-Bahn. Mit dem A Train Richtung Manhattan. An der 42nd St/Port Authority aussteigen, den NJ-Transit-Bus 126 am Gate 204 Richtung Hoboken besteigen. An der 14th St/Washington aussteigen und Richtung Hudson gehen. Von hier kann man die Yankee schon sehen. Unterkunft: Doppelkabine ca. 160 Euro/Tag; Anschrift: 1 Independence Court, Hoboken, NJ 07030;

Der Link zum Schiff bei Airbnb: http://de.airbnb.com/rooms/150825

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