Beschimpfung Neuseelands:Das philisterhafte Höllenloch

Neuseeländer sind fett, prüde und haben "lesbische Frisuren": Duncan Fallowell hat ein durch und durch politisch unkorrektes Buch über Neuseeland geschrieben - und ein Land in Aufruhr versetzt.

Ingo Petz

Neuseeländer sind fett, hässlich und prüde. Sie leiden an einer pathologischen Emotionslosigkeit, die sie nur beim Rugby überwinden. Die Frauen haben "lesbische Frisuren", die Städte sind Ruinen, der Wein ist überschätzt. Summa summarum ist Neuseeland ein "philisterhaftes Höllenloch" am Ende der Welt. Das meint zumindest Duncan Fallowell.

Maori in Neuseeland

Viele Neuseeländer sind entsetzt über Fallowells Buch: "Das Buch wird nur als Papier für die Katzentoilette benutzt werden."

(Foto: Foto: AFP)

Der 60-Jährige ist nach Neuseeland gereist, weil er einmal in seinem Leben so weit reisen wollte wie nur irgendwie möglich. Darüber hat er das Buch "Going as far as I can. The Ultimate Travel Book" geschrieben.

Zum Leidwesen der Neuseeländer, die seit Wochen in Zeitungsartikeln, Blogs und E-Mails gegen den schöngeistig-snobistischen Londoner wüten. "Das Buch", schreibt ein Anonymus, "wird in diesem Haushalt nur als Papier für die Katzentoilette benutzt werden." "Niemand", meint ein anderer Schreiber im Internet, "sticht das Messer in unser freundliches, grünes, schönes, hippes, kultiviertes und Espresso-süchtiges Neuseeland und kommt damit davon."

Fallowell ist kein Unbekannter und vor allem ist er kein fahrlässig schreibender Idiot. In den Siebzigern schrieb er für die deutsche Avantgarde-Band Can. Er verfasste mehrere, zum Teil äußerst komische Reisebücher. Zudem Romane, die sogar von William S. Burroughs gelobt wurden. Die nationale Empörung Neuseelands fußt vor allem auf einem im Februar erschienenen Artikel in der Sunday Star Times, in welchem der Verfasser gerade die vermeintlich negativ besetzten Sätze zitierte.

Insgesamt aber muss man nach der Lektüre des Buches nüchtern feststellen, dass Fallowells Beobachtungen nicht so falsch sind. Vor allem sind sie im Buch komplexer, amüsanter und scharfsichtiger, als sie von den neuseeländischen Zeitungen dargestellt werden. So beschreibt er Neuseelands selbstverliebten Hang zu einer bodenständigen Normalo-Kultur beispielsweise als "Spelunken-Gehorsamkeit einer allgemeinen Gewöhnlichkeit". Da kann man nur Bravo rufen.

Fallowell hat es zwar auch auf die als "atemberaubend" bekannte Natur des Landes abgesehen, aber als Kulturmensch und Architekturliebhaber will er auf dieser Reise auch seine intellektuellen und ästhetischen Bedürfnisse befriedigt wissen. Ehrlich gesagt, fährt deswegen niemand nach Neuseeland. Aber genau das ist der immanente Witz des Buches. Mit seinen exzentrischen Ansprüchen schafft Fallowell, der eben kein Tourist wie jeder andere ist, die nötige literarische Reibung auf einer Fahrt durch ein Land, das jedwede Exzentrik verpönt und sich als heiliges Königreich des gewöhnlichen Typen von nebenan versteht.

Die Aufgebrachtheit, die das Buch wie einen Orkan wegzureißen scheint, erzählt auch einiges über die Mentalität der Neuseeländer. Denn die Fähigkeit, über sich und nationale Macken zu lachen oder Kritik mit Selbstbewusstsein, Souveränität oder Humor zu begegnen, ist bei den Neuseeländern nicht sonderlich ausgeprägt. Als kleines Land hat man ja auch genug damit zu kämpfen, am Ende der Welt überhaupt wahrgenommen zu werden. Da will man wenigstens positiv auffallen.

Zudem wurden Neuseeländer von ihrem Mutterland, dem britischen Imperium, lange genug als tumbe Hinterwäldler belächelt. Das offensive Beleidigtsein haben indes schon andere zu spüren bekommen. So beispielsweise der bekannte US-Autor Paul Theroux, der Neuseeland ebenfalls mit ein paar kritischen Beobachtungen in seinem Buch "Die glücklichen Inseln" bedachte.

Zu empfehlen ist Fallowells durch und durch politisch unkorrektes Buch vor allem für den deutschen Neuseeland-Reisenden, der den Südpazifik-Staat nicht erst, aber vor allem seit der "Herr der Ringe"-Trilogie zu seinem Sehnsuchtsland erkoren hat. Denn bei Fallowell erfährt er allemal mehr als die üblichen Klischees, die sich um Hobbits, Schafe und die unberührte Natur ranken.

Dieses Neuseeland ist gerade in Deutschland zum Mythos geworden. Ein Mythos, der mittlerweile so sehr in der Mitte der Gesellschaft verankert ist, dass er nicht nur als kitschige Tapete für die glitschigen Romanzen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens herhält, sondern auch für die harmlosen Träume der deutschen Mittelschicht. Der Grund dafür sieht, polemisch gesprochen, so aus: Neuseeland ist ein friedliches, schönes Land, in dem es wenige Menschen und keine Diktatoren gibt, dafür aber jede Menge Grün und Öko.

Neuseeland ist ungefährlich wie Tafelwasser. Es ist einigermaßen westlich, zivilisiert und vor allem sind Neuseeländer freundlicher als die Deutschen. Demzufolge verursacht es keine Kopfschmerzen. Es tut keinem weh, es zwickt und zwackt nicht wie zum Beispiel Russland oder China. Neuseeland ist ein Land für das gute Gewissen und für einen bequemen, vorhersehbaren Urlaub, der zwar individuell ausschaut, aber immer mehr zur Massenware verkommt.

Kurzum: Der Deutsche liebt Neuseeland, weil es sein Ikea-Abenteuer-Paradies ist. Tatsächlich aber sollte man Neuseeland vor allem als ein normales Land mit normalen Problemen sehen. Das ist allemal gesünder. Und mit Fallowell macht das sogar richtig Spaß.

DUNCAN FALLOWELL: Going as far as I can. The Ultimate Travel Book. Profile Books, London 2008. 280 Seiten, 12,99 Britische Pfund.

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