Berner Oberland:In der Ruhe liegt die Kraft

Lesezeit: 2 min

Die Schweizer stehen ohnehin nicht in dem Ruf, das Leben überhastet anzugehen. Auf urigen Berggasthöfen schalten sie sogar noch einen Gang zurück.

Der Berg ruft - un die Urlauber folgen. Aus aller Welt strömen sie in die alpinen Feriendomizile der Schweiz. Ruhe und Abgeschiedenheit sucht man auf den ersten Blick manchmal vergeblich. Doch es gibt sie noch, die abgelegenen Orte voller Ursprünglichkeit. Entdecken kann sie beispielsweise, wer den urigen Berggasthöfen im Berner Oberland einen Besuch abstattet.

"Nur wer gegen den Strom schwimmt, findet zur Quelle", sagt Adi Bohren. Der Wirt des Berggasthauses "Waldspitz" etwas abseits von Grindelwald auf 1918 Metern Höhe sitzt in der rustikalen Stube seiner Hütte und isst Gämssalami mit Alpkäse. Der 46-Jährige kocht, jagt und schnitzt. Vor allem seinetwegen kommen die Gäste zum "Waldspitz". Natürlich auch wegen der Aussicht auf das Wetter- und das Schreckhorn, sowie auf Eiger, Mönch und Jungfrau.

Licht spenden die Kerzen

Im Massenlager vom "Waldspitz" übernachten nur Gäste, die auf Komfort verzichten können. Separate Pensionszimmer gibt es nicht. Das Gasthaus ist inzwischen auch mit dem Postbus zu erreichen, was Adi nicht sonderlich gefällt. "Die Luft hier oben in den Bergen ist dünn. Deshalb geht man eben langsamer - aber viele begreifen das nicht."

Das "Berghotel Obersteinberg" dagegen ist mit keinem Fahrzeug zu erreichen. Es liegt völlig abgeschieden auf 1776 Metern, umrahmt von Gletschern und Wasserfällen. Zu Fuß steigen die Wanderer vom Ort Stechelberg im Lauterbrunnental über viele Stufen mehr als 800 Höhenmeter auf. Das Hotel hat keine Stromversorgung. Licht spenden ausschließlich Kerzen. Die Gäste übernachten in 14 schlichten Zimmern. Böden, Wände, Decken - alles aus Holz. Knarrende Dielen, strahlend weiße Federbetten, Wasserkrug und Waschschüssel ganz wie in früheren Jahrhunderten. "Die Nachttöpfe haben wir allerdings vor zehn Jahren abgeschafft", sagt Hugo von Allmen, der das Hotel mit seinen Geschwistern führt.

Knarrende Treppen als Wecker

Nicht ganz so einsam wie auf dem Obersteinberg ist es im hinteren Kiental. Allein die spektakulär steile Postautostrecke zum "Berggasthaus Golderli" lockt viele Besucher an. "Luxuriöses Übernachten ist etwas anderes", sagt Beatrice Jost, die Wirtin des 1925 erbauten Golderli. "Unsere knarrenden alten Treppen sind die Wecker im Haus", pflichtet ihr Ehegatte Georges bei.

Stolz ist Familie Jost auf den neuen Alpwirtschafts- und Naturlehrpfad. Auf diesem Themenweg können sich Touristen über Flora und Fauna informieren. Eine besondere Attraktion nahe des "Golderli" ist ein über 500 Jahre alter Ahorn, der als Kraftbaum verehrt wird.

Kraft schöpfen, nicht verbrauchen

Kraftorte sind auch am Oeschinensee oberhalb von Kandersteg ein Thema. "An diesem Ort schöpft man Kraft und verbraucht sie nicht", erklärt Susanne Wandfluh, Wirtin des "Hotels Oeschinensee" auf knapp 1600 Metern. Ihre Gäste wandern entweder von Kandersteg mit dem Rucksack auf dem Rücken oder nehmen die Nostalgie-Sesselbahn.

Das Hotel ist eines von drei Häusern am türkisfarbenen See, der malerisch von Bergen umrahmt ist. Das Hotel ist seit 1892 im Besitz der Familie Wandfluh. "Wir lieben das Natürliche und leben das auch", sagt Wirt David. Auf der Terrasse können die Gäste das Bergpanorama genießen. Abends ist nur noch das Geräusch des Wasserfalls zu hören.

Ruhe pur. Das ist nichts für jedermann, sagt David. "Manchmal halten die Leute diese Ruhe in den Bergen gar nicht mehr aus." Informationen: Viele Berghotels haben nur einige Monate im Jahr geöffnet. Urlauber, die vor allem Ruhe suchen, sollten im Sommer im Mai oder Juni und möglichst nicht am Wochenende kommen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: