Berlin: 20 Jahre Mauerfall:Fototermin am Checkpoint Charlie

Touristen, die in Berlin nach Überresten der Mauer suchen, finden sie am Checkpoint Charlie hinter Schautafeln, Souvenirständen und Fotodarstellern.

Im Kalten Krieg standen sich hier die Panzer gegenüber, heute wirbt ein Mann in einem Plüschwurst-Kostüm für das neue Currywurstmuseum um die Ecke. Touristen huschen aus Reisebussen über die Straße. Sie posieren vor des Kopie des Wachhäuschens am Checkpoint Charlie. Ein Bild mit zwei Männern, die als Soldaten verkleidet sind, kostet einen Euro. Fliegende Händler verkaufen Pelzmützen, Gasmasken und Flachmänner mit Lenin-Emblem. Eine Pferdekutsche klappert vorbei.

Die Mauer, ein Jahrmarkt? Das ist zu einfach gesagt. Der Checkpoint Charlie, der berühmteste der ehemaligen Grenzübergänge in Berlin, ist ein Ort, an dem Geschichte wieder lebendig wird. Man muss sie aber erst mal finden. "Ich hätte es mir viel historischer vorgestellt", sagt Besucher Mike Schäfer (18), der auf Studienfahrt in Berlin ist.

Touristen suchen noch immer nach den Spuren der Mauer. Die ist fast restlos weg. Längere Stücke sind noch erhalten am Martin- Gropius-Bau, in der Bernauer Straße und an der von Künstlern gestalteten East Side Gallery. Nur drei von 100 Wachtürmen sind erhalten. Zu groß waren die Freude über den Mauerfall von 1989 und der Hass auf das Bollwerk nach 28 Jahren deutsch-deutscher Spaltung.

Wo die Grenze mit ihren 155 Kilometern Gesamtlänge verlief, wissen selbst Berliner nicht mehr genau. Ein Pflasterstreifen zeichnet den Weg in der Stadt nach. Am Checkpoint Charlie macht die Kurve einen Knick. "Sind wir im Osten?", rätselt ein Tourist aus Wales. Falsch: Er steht mit beiden Beinen im Kreuzberger Teil der Friedrichstraße.

Benannt wurde der dritte amerikanische Kontrollpunkt (Checkpoint) nach dem Alphabet der US-Armee. Der Autobahnübergang in Helmstedt nannte sich "Alpha", der in Dreilinden "Bravo". Als DDR-Grenzposten am Checkpoint Charlie entgegen der Abkommen auch Angehörige der West- Alliierten nach den Pässen fragten, griff US-General Lucius A. Clay ein. Er schickte Panzer.

Es war das einzige Mal, dass die Supermächte im Kalten Krieg so direkt miteinander konfrontiert waren. Einen Tag lang, am 27. Oktober 1961, standen sich Sowjets und Amerikaner mit je 30 Panzern gegenüber. Die Welt hielt den Atem an. Moskau und Ost- Berlin lenkten schließlich ein.

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Diese Krise war gebannt, aber nahe dem Checkpoint Charlie spielten sich immer wieder Dramen ab. Der erst 18 Jahre alte Peter Fechter verblutete 1962 bei seinem Fluchtversuch im Todesstreifen, nachdem DDR-Grenzer ihn angeschossen hatten.

Jutta Gallus demonstrierte verzweifelt dafür, ihre Kinder wiederzubekommen, die ihr die DDR entrissen hatte. Die Schauspielerin Veronica Ferres war angelehnt an ihr Schicksal "Die Frau vom Checkpoint Charlie" im Film.

Bis 1990 diente der Kontrollpunkt als Übergang für Reisende aus dem Ausland, DDR-Funktionäre und für Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland. Unvergessen ist vielen, wie sich der Cellist Mstislaw Rostropowitsch am 11. November 1989 an die Mauer setzte und Bach-Sonaten spielte.

Zehn Jahre später sammelten Anwohner und Geschäftsleute für die Kopie der weißen Grenzbaracke, die stolze 200.000 Mark gekostet haben soll. Heute ist durch die Scheibe ein Foto Rainer Hildebrandts zu sehen, des Gründers des gegenüberliegenden Mauermuseums, der 2004 starb.

"Snackpoint Charlie"

In den vergangenen 20 Jahren sind in Berlin ganze Viertel neu gebaut worden. Am Checkpoint Charlie stehen Alt- neben Neubauten. Es gibt noch zwei Brachflächen, die einem irischen Investor gehören. Das stilvolle "Café Adler" ist einer Kaffeekette gewichen, ein Imbiss heißt "Snackpoint Charlie": Flair ist etwas anderes.

"Das ist alles nur Business", sagt Irene Müller, die im benachbarten tschechischen Kulturzentrum arbeitet. Für die Geschichte, die das Gelände hatte, findet sie es nicht gut gemacht. Sie geht mit Besuchern zur Gedenkstätte in der Bernauer Straße, die generell gelobt wird.

Der große Publikumsrenner aber ist das in die Jahre gekommene private Mauermuseum, das schon seit 1963 im "Haus am Checkpoint Charlie" sitzt. 850.000 Besucher wurden im Jahr 2007, der jüngsten Erhebung, gezählt. Nur das Pergamonmuseum und das Alte Museum hatten mehr. Vor dem Haus ist ein Teil Original-Mauer postiert, eine gern genutzte Fotokulisse.

Beeindruckend im Museum sind die Geschichten und Exponate rund um die Fluchten von DDR-Bürgern wie umgebaute Autos, in denen Menschen über die Grenze geschmuggelt wurden. Und wer weiß noch, dass in der DDR Tauchgeräte verboten waren wegen der Fluchtgefahr? Oder dass Kinder auf West-Berliner Seite in den Grenzgewässern ertranken, weil aus Angst vor Schüssen niemand helfen wollte?

"Ich hatte keine Ahnung, wie schlimm es damals war", schreibt eine Museumsbesucherin. "Jetzt bin ich schlauer - und frage mich, wie das passieren konnte. Es war toll und lehrreich." Ein anderer Gast beschwert sich: "Ausstellungsstücke total verstaubt! Unmöglich, dafür 12,50 Euro zu verlangen."

Chefin ist Alexandra Hildebrandt, die sich vor einigen Jahren mit den falschen Soldaten vor ihrer Haustür gestritten hat. Heute möchte sie dazu nichts mehr sagen. Wichtig ist Hildebrandt, dass die Besucher des Museums lernen, wie wertvoll Freiheit ist und wie viele Menschen dafür kämpften und ihr Leben verloren. Das Haus soll weiter ausgebaut werden, kündigt sie an. "Wir wachsen, wir arbeiten sehr viel."

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Die Witwe hat von ihrem Mann Rainer, dem Fluchthelfer und Kämpfer gegen den Kalten Krieg, eine Lebensaufgabe übernommen. Alexandra Hildebrandt regt die Debatte um das Gedenken an, das ist ihr zu Gute zu halten. Als sie vor fünf Jahren am Checkpoint Charlie mit mehr als 1000 Holzkreuzen an die Todesopfer erinnern ließ, war das zwar eher künstlerisch und vom Standort her fragwürdig. Aber es war plakativ, und mehr, als von offizieller Seite an einem zentralen Schauplatz zu sehen war. Die Touristen fanden es interessant. Die Aufmerksamkeit war da.

Wie der Checkpoint 2019 aussehen soll

Dem rot-roten Senat mit den "Kommunisten" in der Regierung ist lange vorgeworfen worden, sich nicht genug um das Mauergedenken zu kümmern. Das hat sich geändert. Zwei Jahrzehnte nach der Wende bieten sich viele Möglichkeiten, die Geschichte zu erkunden, von Infotafeln, über Audioguides bis zum Radweg auf den Spuren der Teilung. 2006 wurde ein großer Gedenkstättenplan für Berlin beschlossen. Zu spät, meinten Kritiker.

Der Gedenkstätten-Referent des Landes, Rainer Klemke, sieht die Fehler in der Aufarbeitung nicht bei Rot-Rot. "Dass der Senat mit größter Priorität das Gesamtkonzept Berliner Mauer erarbeitet und vorangetrieben hat, kann Versäumnisse aus der Vergangenheit leider nicht ungeschehen machen", sagt er.

In zehn Jahren, am 30. Jahrestag des Mauerfalls, sollen die brachliegenden Flächen am Checkpoint Charlie bebaut sein. Geplant ist ein Museum über Berlin als Schauplatz des Kalten Krieges, das viele Perspektiven ausleuchtet. "Wir wollen keine weichgespülte Geschichte", betont Klemke.

Geschichtsstunde mit Taschenlampe

Referent Klemke hofft, dass um 2013/2014 etwas zu sehen ist. Das Museum ist Teil eines Investorenprojektes. Aber wie sich das Ganze in Zeiten der Finanzkrise entwickelt, lässt sich schwer prophezeien.

Bevor das Museum entsteht, bietet eine Freiluftausstellung eine anschauliche Geschichtsstunde. 2,5 Millionen Besucher haben sie seit 2007 gesehen. "Wir erreichen ein Publikum, das sonst nie in Gedenkstätten geht", sagt Klemke. Sogar abends, mit Taschenlampe, stehen die Menschen vor dem Zaun mit den Tafeln.

So ist der Checkpoint Charlie im Herbst 2009 typisch für die Stadt, die an vielen Ecken etwas Unfertiges hat. "Wanderer - verweile und bedenke: An diesem Ort endete die westliche Welt und es begann die Macht des Moskauer Kremls von hier bis Wladiwostok", ist auf einer Tafel am Mauermuseum zu lesen. Daneben hängt eine zerschlissene Kreml-Flagge. Eine Kopie.

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