Berg Athos:Eremiten in der Schwebe

Utopia für Fortgeschrittene: Die Mönchsrepublik auf dem Berg Athos ist einer der letzten Orte der Entrückung und Kontemplation.

Von Michael Winter

Stimmt es, dass sie Frauen riechen, die sich in Männerkleidung einschleichen wollen? Herr Vasilis schaut verblüfft in die Luft, tritt einen Schritt zurück, lehnt sich gegen die Reling und breitet die Arme aus: "Sie glauben gar nicht, was alles geredet wird". Er habe sein halbes Leben bei den Mönchen verbracht. Er kenne alle Klöster.

Berg Athos; AP

Das Helandariou-Kloster aus dem 14. Jahrhundert wurde im März 2004 von einem Feuer teilweise zerstört.

(Foto: Foto: AP)

Herr Vasilis greift in seine Aktentasche und zieht drei dünne Bändchen hervor. Sie enthalten schlechte Fotos. Abbildungen der Athosklöster und kurze, nichts sagende Beschreibungen in Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch. Der deutsche Text ist offenbar Opfer eines Übersetzungscomputers. Herr Vasilis lässt es sich nicht nehmen, das Buch zu signieren.

Plötzlich taucht der Berg vor uns auf. Wir halten genau darauf zu. Ein gewaltiges Massiv mit drei Spitzen. Das Touristenschiff nähert sich mit hoher Geschwindigkeit der Küste. Landen darf es nicht. Der Zutritt zu diesem seltsamsten Land der Welt ist streng reglementiert.

Prozedur à la Kafka

Um an Land gehen zu können, bedarf es einer Prozedur, die von Kafka hätte erfunden sein können. Frauen dürfen nicht einmal ein Schiff betreten, das an der Küste landet. Sogar weibliche Tiere sind ausgeschlossen. Die Mönchsrepublik liegt auf dem östlichen Finger der Halbinsel Chalkidiki.

Vom Rest der Welt wird sie durch eine Mauer getrennt. Personen und Waren gehen mit dem Schiff zwischen der griechischen Hafenstadt Ouranoupolis und dem Athoshafen Dafni hin und her.

Nur zehn Männer, die keine orthodoxen Christen sind, dürfen pro Tag einreisen. Die Anzahl der orthodoxen Pilger ist auf hundert beschränkt. Niemand kann länger bleiben als drei Nächte. Es gibt Ausnahmegenehmigungen für Wissenschaftler, die die Kunstschätze in den Klöstern studieren wollen.

In dem von Fremden weniger besuchten serbischen Kloster Hilander (Helandariou), das in der Klosterhierarchie auf Athos den vierten Rang einnimmt, hat gerade der Dachstuhl des Wohntraktes gebrannt. Die wertvollsten Kunstschätze - Ikonen, Bücher, Wandmalereien - befanden sich in einem anderen Teil und konnten gerettet werden.

Eine einzige Möglichkeit

Zu Schaden ist niemand gekommen, aber große Teile des Gebäudekomplexes sind zerstört. Das Kloster liegt weitab von den Wanderwegen in einem Tal im Norden der Halbinsel. Es ist bis auf weiteres geschlossen.

"Wenn Sie nur einen Tag Zeit haben, besteht keine Chance, nach Athos zu kommen. Die Fahrt mit dem Touristenboot ist die einzige Möglichkeit, die Klöster an der Westküste aus einiger Entfernung zu sehen", erklärt Herr Vasilis.

Vom Boot aus können sogar Frauen ihre Blicke gegen die Klostermauern werfen. Wer seinen Fuß auf den Strand der Athosrepublik setzen will, muss die Beglaubigung einer Institution vorlegen, dass er ein berechtigtes Interesse am Besuch hat.

Das Schreiben soll an die Athener Botschaft oder an das Konsulat in Thessaloniki gerichtet werden. Von dort erhält man eine Empfehlung. Die wird dann mit dem gewünschten Einreisedatum an das griechische Außenministerium weiter geleitet. Von Mai bis Oktober sind die Besucherquoten ausgeschöpft.

Aufenthaltsgenehmigung für drei Tage

Schließlich erhält man eine amtlich bestätigte Terminvormerkung. Damit kann man nach Ouranoupolis fahren. Und wenn man um acht Uhr im Warteraum der Athosverwaltung steht, den Reisepass und alle Papiere vorlegt, bekommt man eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Tage, das "Diamonitirion".

Das Schiff nach Dafni geht um halb zehn. Die Fahrt dauert zwei Stunden. Von Dafni fährt ein Bus die Schotterstraße hinauf in die Hauptstadt Karyes - das einzige öffentliche Verkehrsmittel.

Gefährte, die von einem Ottomotor angetrieben werden, seien auf Athos nicht gebräuchlich, sagt Herr Vasilis. "Es gelten Ausnahmeregelungen", ergänzt er und lässt auf seiner Stirn Falten sehen. Man geht zu Fuß. Verpflegung und Übernachtung in den Klöstern sind kostenlos.

Eremiten in der Schwebe

"Und karg", betont Herr Vasilis. "Wer nach Sonnenuntergang kommt, steht vor verschlossenen Türen. Aber Wein gibt es immer", sagt Herr Vasilis. Wir nähern uns der Küste beim Kloster Dionisiou.

Mönche auf dem Berg Athos; AP

Mönche vor dem Xenofondos-Kloster.

(Foto: Foto: AP)

Es gibt zwanzig Klöster auf Athos, die nach einer komplizierten Rangordnung gestaffelt sind. Dionisou belegt den fünften Rang in der Hierarchie. Jedes Kloster entsendet für ein Jahr einen gewählten Vertreter in den Rat von Athos, der dreimal wöchentlich in der Hauptstadt tagt.

Die Mönchsrepublik ist autonom. Es gibt einen griechischen Gouverneur, der dem Innenministerium untersteht. Geistiges Oberhaupt ist das Ökumenische Patriarchat in Istanbul. Die Athosrepublik gibt es seit mehr als tausend Jahren. Sie ist ein letztes Relikt des byzantinischen Reiches.

Sonnenuntergang um Mitternacht

Es gilt die byzantinische Tageszeit, bei der Mitternacht auf die Stunde des Sonnenuntergangs fällt, und es gilt der Julianische Kalender, der dem westeuropäischen dreizehn Tage hinterher ist.

Herr Vasilis beugt sich über die Reling. Drüben fährt ein Geländewagen über eine rötliche Sandpiste. Auf Athos leben heißt, so weit wie möglich von der Welt entfernt sein und so nahe wie möglich an Gott und an der Mutter Gottes.

"Den Männern, die da wohnen", sagt Herr Vasilis und atmet tief ein, "schlägt nicht nur eine andere Stunde, sie leben in einer anderen Welt. Askese, Kontemplation, Gebet". Manche erzählen, es gebe Einsiedler, die so stark fasten, dass ihr Körper schwebt.

Herr Vasilis hat noch keinen schweben sehen. Aber es gibt Eremiten, erzählt er, die sich an ein Seil binden und mit den Fußspitzen Tag und Nacht am Abgrund stehen. Klar schlafen sie auch mal in einer Höhle.

Aber meistens sind sie weg - weggetreten, Delirium. Bis die Seele genug hat. Dann zieht ein Nachfolger ein und sammelt die Knochen seines Vorgängers zusammen. "Null Rentenprobleme", sagt Herr Vasilis und lacht. Vor uns liegt in Sichtweite eine der letzten real existierenden utopischen Welten und zugleich eine der ältesten und rätselhaftesten.

Utopien als Gegenbilder

Besitzlosigkeit, Gehorsam, Selbstlosigkeit, Frauenlosigkeit, körperliche und geistige Askese. Ein totales Gegenbild zu unserem Leben. Utopien sind Gegenbilder zum Alltag.

Aber sind sie auch allgemein akzeptierte Wunschbilder? Alle, die versucht haben, Utopien zu verwirklichen, sind gescheitert. Warum funktioniert die Athosrepublik noch? Weil sie nur etwa 2000 Mitglieder hat? Weil sie keine Gültigkeit für die gesamte Welt beansprucht?

Weil niemand gezwungen wird, auf dem Athosberg zu leben? Weil nur diejenigen hier sind, die sich so ein Leben zutrauen? Haben die Rundfunk und Fernsehen da drüben? Herr Vasilis nickt und zuckt mit den Schultern. Er hatte nie den Wunsch, Mönch zu sein. Ein Leben ohne Frauen? Ohne Ottomotoren? Er lacht.

Eremiten in der Schwebe

Mönche auf dem Berg Athos; AP

Eine Gruppe von Mönchen singt auf dem Berg Athos.

(Foto: Foto: AP)

"Der Mensch ist nicht dafür gemacht, auf dem Wasser zu laufen", sagt Herr Vasilis, "wir wollen doch alle reich und berühmt werden." Er deutet auf seine Aktentasche. Wir erfahren über Lautsprecher die Namen und die Bedeutung der Klöster, die drüben in die Wildnis geklebt sind.

Jede Klosterstadt ist ein Entwurf des himmlischen Jerusalem. Wir fahren an einem Kloster nach dem andern vorbei. Rote Dächer, grüne Dächer. Das Ganze erinnert an eine Fahrt auf dem Mittelrhein, wo die Burgen erklärt werden und schließlich Heines Lied von der Loreley angestimmt wird.

Überall Andenkenkitsch

Die Gäste auf dem Schiff stehen Schlange an der Theke und ordern Cola, Bier und Sandwich. Kommt man so dem Athos näher? Am Nachmittag steuert Herr Vasilis eine Taverne an, die direkt an der Hafenmole von Ouranoupolis liegt. Die Läden quellen über von Andenkenkitsch.

Um halb drei kommt die Fähre aus Dafni. Zuerst landen Lastwagen, dann Müllwagen, dann Geländewagen. "Der Athos ist steinreich. Die Klöster zahlen keine Steuern", sagt Herr Vasilis.

Hinter den Lastwagen kommen Mönche in schwarzen Kutten und Hüten und dann die Besucher in Wanderkleidung. Die Mönche ziehen Rollenkoffer aus Aluminium hinter sich her. Einige haben Handys am Ohr. Menschen von einem anderen Stern sind das nicht. Niemand schwebt.

Herr Vasilis trinkt sein drittes Glas. "Ein paar Ouzo, und Sie können den Zustand der Levitation an sich selbst erfahren", sagt er und verlangt nebst dem Ouzo für seinen individuellen und exklusiven "Begleitservice" eine, wie er sagt, für einen Experten angemessene Anerkennung.

Die Finger Chalkidikis sind voller Wunder. Auf dem östlichen liegt die Mönchsrepublik. Auf dem mittleren in Porto Carras trafen sich im Juni 2003 die Vertreter einer ganz anderen Utopie, nämlich die Staatschefs der Europäischen Union.

Strandurlaub - von wegen

Auf dem westlichen Finger, Kassandra genannt, liegt wieder eine andere utopische Welt. Das "Sani Resort" ist eine Urlaubsutopie. Poollandschaften, Hoteldörfer mit Luxusunterkünften, Restaurants und Bars. Das alles um einen künstlichen Yachthafen gruppiert. In einem Pinienwald stehen Privatvillen. Man biegt von der Hauptstraße ab und kommt ins Grüne. Die Landschaft erinnert an Süddeutschland.

Sein Vater habe das Areal gekauft - ein Sumpfgebiet - und alle hätten gelacht, erzählt Andreas Andreadis, Generaldirektor der "Sani-Resort"-Firmengruppe.

In den sechziger Jahren habe noch kein Mensch in Griechenland an Strandurlaub gedacht. Die Familie Andreadis ließ die Gegend trockenlegen und baute ein Hotel. Inzwischen ist daraus eine geschlossene Ferienwelt geworden, eingefügt in 1600 Hektar Wald und Feld mit einem Kilometer langen Strand, von dem aus man bis zum Olymp schauen kann.

Herr Andreadis wohnt unter Eichen über der Steilküste. "Natürlich gibt es die Bausünden der siebziger Jahre", sagt er und meint damit das "Sani Beach Hotel", eine Betonburg an der Spitze der Bucht. "Solche Architektur gibt es überall. Sollen wir abreißen, was unsere Väter gebaut haben?", fragt unser Gastgeber.

Der Komfort der Mönchspritschen

Die neuen Wohneinheiten in Feriendorfbauweise sind meist zweigeschossig und verschwinden zum Teil hinter Bäumen. Dafür nehmen sie mehr Platz ein. Können künstliche Feriendörfer natürliche Dörfer ersetzen? Liegen natürliche Dörfer immer am feinsten Sandstrand? Können Bauernbetten oder Mönchspritschen und die Toilette über den Hof Philipp-Stark-Design ersetzen? Das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wir sitzen über dem Wasser und genießen ein Menue, das aus allem besteht, was das Land zu bieten hat. Ein griechisches Gastmahl. Und während die Mücken sich voll saugen, sind wir plötzlich in einem Diskurs über das Glück. "Vielleicht sind die glücklichsten Momente Gespräche über das Glück", meint Herr Andreadis.

Askese und Luxus. Zwei Welten wie Feuer und Wasser auf zwei getrennten Landzungen. Die einen lassen sich auf die Athos-Utopie ein, weil für sie Verzicht eine der letzten Herausforderungen ist.

Für die anderen ist Entrückung nur im Luxus möglich. Leben auf Dauer ist für uns Durchschnittsmenschen weder in einem Athoskloster, noch im "Sani Resort" möglich. Aber beide sind Schlupfwinkel, und sie basieren auf dem Prinzip der Levitation. Du fühlst dich erhoben über den Alltag. Vielleicht ist das der Grund, warum die Orte funktionieren. Jeder auf seine Weise.

Eremiten in der Schwebe

Informationen

Anreise: Olympic Airways fliegt täglich von Düsseldorf, Frankfurt, München und Stuttgart ab 198 Euro nach Thessaloniki

Unterkunft: Sani Resort, ca. 70 Kilometer südlich vom Flughafen Thessaloniki am Westrand des westlichen Chalkidiki-Fingers Kassandra gelegen (Abholservice). Das Hotelensemble bestehend aus Sani Beach Hotel, Sani Beach Club, Porto Sani Village, den neu eröffneten Asterias Suites und ist von April bis Oktober geöffnet. Preise und Reservierung über Internet: www.saniresort.gr

Athos: Alle Bedingungen zum Besuch der Athos-Republik im Internet: www.inathos.gr

Weitere Auskünfte: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, Neue Mainzer Str. 22, 60311 Frankfurt, Tel.: 069/25 78 27-0, Fax: -29, E-Mail: info@gzf-eot.de, Internet: www.gnto.gr

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