Bad Gastein/Graukogel:Ein Platz in der Nische

Der geschichtsträchtige Graukogel ist ein Gegenentwurf zum Betrieb der großen Skigebiete - und ein Rückzugsgebiet für Nostalgiker.

Klaus von Seckendorff

Leise rieselt der Schnee. Und das Wunderbare ist: Man kann ihn tatsächlich rieseln hören. Nimmt ihn wahr als zartes Geräusch, während der Doppelsessel geruhsam an Höhe gewinnt.

Bad Gastein; Gasteinertal Tourismus

Skifahren in Bad Gastein: allein mit den Bergen.

(Foto: Foto: Gasteinertal Tourismus)

Auf altmodische Art geht es gipfelwärts durch Waldschneisen, die den Graukogel-Neuling mit Reimen ködern. Erwin Linsinger, bis 1980 Patron des Hoteldorfs "Grüner Baum" im nahen Kötschachtal, hat an hohen Fichten Tafeln anbringen lassen mit Reimen zum Lob des Bad Gasteiner Hausberges.

"Könnte man öfter so wie eben, dem Alltag lautlos sanft entschweben." Wie wahr, auch wenn's ein wenig nach Prospekt klingt. Es gibt sogar Fans des Graukogels, die sich nach dem Einersessel zurücksehnen, der noch bis ins Jahr 2000 Skiläufer zur Mittelstation gebracht hat.

Obwohl es an manchem Morgen grausig kalt bergauf ging, genossen sie die Einladung zur Besinnung, zum Lauschen auf Schneegeriesel und Bächleinglucksen. Ohne Nachbarn im Sessel, unabgelenkt glücklich, auch wenn unterwegs zu lesen war, was nicht bestritten werden soll: "Hast Du die Richtige zur Seite, macht der Graukogel noch mehr Freude."

Umso größer ist der Schock, dass seit der vergangenen Saison die "Graukogel Alm" auf halber Höhe für wattstarke Pistenbeschallung sorgt. Am Donnerstagnachmittag will der neue Wirt Günther damit jüngeres Publikum anziehen und von der anderen Talseite weglocken, wo Stubnerkogel und Schlossalm Event-Skilauf und Internet-Zugang bieten.

Unter die 10000 Songs auf der Computer-Festplatte hat Günther vorsichtshalber neben Techno auch Rock-Evergreens gemischt und bewährte Schlager. Wolfgang Petrys "Das darf doch nicht wahr sein" könnte zur Lieblingsnummer der Graukogel-Traditionalisten aufsteigen.

Aber erstens beschränkt sich die laute "Ha-le-lu-ja-oh-la-la"-Stimmungsmache auf einen bescheidenen Umkreis und wenige Stunden pro Woche. Und zweitens trifft sich die "Old School" der Stammgäste sowieso eine Etage weiter oben, gleich neben dem Ausstieg der Graukogelbahn II.

Auch hier, in knapp 2000 Meter Höhe, sind neue Wirtsleute am Werk. Sigrid und Peter führen das "Berggasthaus" ganz im Sinne ihres Vorgängers, der schon 1956 eine erste Hütte bewirtschaftet hat und 1980 das Almgasthaus baute.

Sogar die Knoblauchsuppe im Brottopf haben sie von "Mr.Graukogel", dem legendären Toni, als Spezialität übernommen. Hausgemachte "Liver dumpling soup" (Leberknödelsuppe) und lockere Topfenknödel werden serviert. Nichts erinnert an den gastronomischen Terror jener Selbstbedienungsarenen, wie sie fürs Gegenmodell zum Graukogel typisch sind: für den als Massenbetrieb organisierten Skizirkus.

Vielen Ortsansässigen schmeckt es beim Peter so gut, dass sie ihre Dauerkarte für den Lift sogar im Sommer nutzen, um ohne Skistiefel bei ihm einzukehren. Im Winter profitiert der Graukogelwirt davon, dass am Lieblingsberg der Bad Gasteiner immer mehr Pistengeher auf fellgebremsten Tourenskiern steil bergauf unterwegs sind: Menschen, die bewusst die Anstrengung suchen. "G'sund ist es halt, und außerdem hab ich kein Geld für den Lift", schildert, ziemlich außer Atem, ein 65-Jähriger im karierten Flanellhemd das Motiv für seinen zweistündigen Kraftakt.

Abfahrt erst nach Mitternacht

Jeden Mittwochabend trifft sich die Szene der Stirnlampenträger im "Berggasthaus Graukogel" zum Ripperl-Essen mit anschließender Abfahrt, oft erst nach Mitternacht. Auffallend viele gut trainierte junge Leute sind dabei, die für die Überwindung von 900 Höhenmetern kaum mehr als eine Stunde brauchen. "Das Gute am Graukogel ist, dass nicht viel los ist, sonst würde das Aufsteigen am Pistenrand keinen Spaß machen", sagt ein Einheimischer, der nach Skilehrer aussieht.

Dass es dunkel wird, bis späte Gasthaus-Gäste ihre Skier für die Talfahrt anschnallen, empfinden viele als besonderen Reiz. "Sie müssen mal in einer Vollmondnacht herauf kommen", empfiehlt Hüttenwirt Peter. "Dann versammeln sich hier hundert und mehr Leute, die fasziniert sind von der Piste im Mondlicht."

Früh am nächsten Morgen verwandelt sie sich ein weiteres Mal. Dann wird sie zum Schulweg für die drei Kinder des Hüttenwirts. Mit Rucksack oder Ranzen auf dem Rücken fahren sie ins Tal ab, bevor die Sessellifte in Gang kommen. Oft auf unverspurtem Neuschnee, meist auf direktem Weg, obwohl es an Alternativen nicht fehlt, weil sich gleich vor der Hüttentür die ganze Vielfalt der Graukogel-Routen auftut.

Seinen Ruf als Revier für Anspruchsvolle verdankt der Skiberg vor allem zwei abwechslungsreichen schwarzen Pisten: der FIS-Rennstrecke und einer landschaftlich besonders reizvollen Variante, die Begegnungen mit Schneehühnern und gelegentlich sogar Gämsen verspricht.

Skurrile Erstversuche

Eine wichtige Rolle spielte auch Österreichs erste Skiweltmeisterschaft, die 1958 am Graukogel ausgetragen wurde, als Krönung des Bad Gasteiner Aufstiegs vom weltberühmten Kurort zum kaum weniger spektakulären Wintersport-Treffpunkt mit noblen Geschäften und einem "Wirbel von lebenslustigen Menschen aus ganz Europa".

Das eben zitierte Bad Gasteiner Badeblatt verweist stolz auf den "ersten Sessellift des Landes Salzburg", der als Umnutzung eines Materiallifts der Wehrmacht im Oberpinzgau im Dezember 1945 am Graukogel eröffnet und zweieinhalb Jahre später spektakulär erweitert wurde.

Weil 1948 außerdem in der Nähe des berühmten "Kurhauses Bellevue" ein Lift hinauf zur Bellevue-Alm errichtet wurde, war man anderen Wintersportzentren voraus: Bad Gastein, bis zur Erschließung des Graukogels in den kalten Monaten des Jahres wie ausgestorben, besaß in den späten vierziger Jahren als einziger Ort Österreichs drei Skilifte mit einer Gesamtlänge von fast vier Kilometern.

Längst vergessen sind angesichts solcher Errungenschaften die skurrilen Erstversuche in Sachen Wintersport kurz nach der Jahrhundertwende, als ein Herr Scherfler und ein Herr Höllerer das allererste Graukogel-Rennen ausgetragen hatten. Höllerer auf Ski, Scherfler zu Fuss - und letzterer gewann.

Ein Platz in der Nische

Das "Gastein Museum" im Ortszentrum zeigt WM-Plakate in stilreinem Fifties-Design und Szenen einer Wochenschau von 1958: Ganze Bundesheerkompanien treten da auf frisch gerodeten Hängen an und präparieren so die Abfahrtsstrecken für die Weltelite im Allgemeinen. Und einen Herren namens Toni Sailer im Besonderen.

Viermal konnten die Österreicher Sailer als Medaillengewinner feiern. In den Sechzigern und Siebzigern sorgte dann eines der schwierigsten Damenrennen dafür, dass der Graukogel als sportliche Herausforderung präsent blieb mit sonntäglichen Fernsehübertragungen.

1988 fand das nach dem Bad Gasteiner Wappenzeichen benannte Silberkrug-Rennen allerdings zum letzten Mal statt. Zu hoch erschien der Aufwand, den Graukogel den Anforderungen moderner Weltcup-Rennen anzupassen. Hannes Blumschein spricht dagegen von "Peanuts in der Vier-Millionen-Dimension", die gut angelegtes Geld gewesen wären.

Beckenbauer und Lauda zu Besuch

Seit Blumschein vom Gault Millau zu Österreichs "Hotelier des Jahres 1988" gekürt wurde, hat er selbst so manche Million in die fünf Häuser des Hoteldorfs "Grüner Baum" investiert. Gemütlichkeit allein bringt auch am Fuß des Graukogels keine anspruchsvollen Gäste. Bei einem von Niki Lauda und Franz Beckenbauer geschätzen Quartier, in dem Luis Trenker von 1973 bis zu seinem Tod im Jahr 1990 Stammgast war, erwartet die Kundschaft zeitgemäßen Komfort.

Ihrem Hausberg verzeihen die Hotelgäste schon eher, wenn Schneekanonen, beheizbare Liftsitze und Plexiglas-Bubbles als Schutzhauben für ungemütliche Tage fehlen. Ausgerechnet wenn es in Sportgastein stürmt oder im Angertal neblig ist, rücken besonders viele Skifahrer an.

Dann bieten die Waldschneisen Schutz, und der Graukogel erfüllt seine "Nischenfunktion im Ski-Mix des Gasteinertales". So sieht man es zumindest bei der Bergbahnen AG, die den Lift als eine nicht kostendeckende Zugabe zum Kernskigebiet zwar in Betrieb hält, aber in keiner Weise ausbauen will.

Wie in den Fifties und Sixties

Nicht nur Einheimische wie der Skilehrer Hansi Gruber aus dem nahen Bad Hofgastein wissen den Graukogel so zu schätzen, wie er ist - altmodisch, von vielen übersehen und gerade deshalb reizvoll: "Weder Parkplatznot noch Wartezeiten an den Liften; kaum nervende Anfänger auf den steilen Hängen. Ich geh' da gerne mit Privatgästen hin, verspreche ihnen ein Skierlebnis wie in den Fifties oder Sixties, fahr' den Berg ein paar Mal ganz. Und zum Schluss gibt's eine sportliche Schussfahrt ab dem ehemaligen Silberkrug-Start."

Hannes Blumschein allerdings, Schwiegersohn des Reimeschmieds Linsinger, träumt gelegentlich von einer irrwitzigen Liftverbindung "waagrecht von der Mittelstation des Graukogels direkt hinüber zum Stubnerkogel".

Als Anbindung an den Gasteiner Skizirkus? Dann doch lieber "so wie eben dem Alltag lautlos sanft entschweben". Ein wenig fröstelnd im Doppelsessel sitzen und ganz leise den Schnee rieseln hören.

Infos:

Anreise: Über die Autobahn von München nach Salzburg, von dort über die Tauernautobahn Richtung Süden bis Bischofshofen, Ausfahrt Gasteinertal. Die Bahnfahrt mit dem Eurocity ab München kostet ca. 40 Euro.

Weitere Auskünfte: Gasteinertal Tourismus GmbH, Tauernplatz 1, 5630 Bad Hofgastein, Tel.: 00 43/643 23 39 30, www.gastein.com; Gasteiner Bergbahnen AG, Postfach 3, Ort 5630 Bad Hofgastein, Telefon: 00 43/64 32 64 55 0, www.skigastein.com

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