Australischer Nachrichten-Fluss:Das letzte Original

Schneller als jede Flaschenpost: Briefe und Päckchen mit dem Boot ausfahren. Aber nicht nur das, sondern auch Lebensmittel, Zeitungen und den neuesten Klatsch. Ein Besuch bei Australiens letztem Flussboten.

Len Staples hat Mühe mit seiner Zigarette: Der lauwarme Fahrtwind bläst die Kippe immer wieder aus. Deshalb ist ein Feuerzeug an diesem Vormittag das meistbenutzte Utensil von Australiens letztem Fluss-Postboten.

Len Staples fährt fünf Mal pro Woche auf dem Hawkesbury River nördlich von Sydney die Post aus. Aber nicht nur das: Brote, Zeitungen, Orangensaft-Kästen, Milch und der neueste Klatsch sind ebenfalls an Bord der "Hawkesbury Explorer" sowie rund 30 Fahrgäste. Denn der Ausflug mit "Australias Last Riverboat Postman" ist längst auch eine Touristenattraktion.

Wer die Postsäcke auf ihrer Schiffstour begleiten will, muss früh aufstehen. Der Regionalzug verlässt Sydney um 8.15 Uhr am Morgen, eine Stunde später ist der Bahnhof des Dörfchens Brooklyn erreicht. Um Punkt 9.30 Uhr fährt dort die "Hawkesbury Explorer" ab. Knapp vier Stunden ist das Schiff unterwegs, legt dabei 45 Kilometer zurück und steuert ein Dutzend Orte an.

Ein Ticket kostet 45 australische Dollar (27 Euro), eine Reservierung brauchen nur Gruppen. Das Schiff fährt montags bis freitags in jedem Fall, auch wenn mal keine Touristen da sein sollten. "Aber das habe ich erst zweimal erlebt", sagt Len.

Delfine inmitten einer Mittelgebirgs-Landschaft

Brooklyn und der Hawkesbury River gehören noch zum Einzugsbereich von Sydney, manche Einwohner pendeln täglich in die Weltstadt zur Arbeit. Das Gebiet des Flusses, der unweit von Brooklyn in den Pazifik mündet, ist allerdings eine völlig andere Welt.

An manchen Stellen wirkt das breite, von bewaldeten Hügeln umsäumte und sachte strömende Gewässer wie ein Stausee in einem deutschen Mittelgebirge. Dass es doch etwas anderes ist, beweisen nicht zuletzt die Flossen, die manchmal aus dem Wasser ragen: Wale, Delfine und auch Haie verirren sich bisweilen und folgen dann dem Fluss landeinwärts.

Der Hawkesbury River ist aber auch ein Rückzugsgebiet für Leute, die einfach ihre Ruhe haben wollen, in einem Ferienhaus am Wochenende oder grundsätzlich jeden Tag. "Nur zwei von den zwölf Orten, die wir heute ansteuern, haben eine Straßenanbindung", erzählt Len Staples.

Der Fluß ersetzt die Straßen

Gleich am ersten Stopp werden die Lebensmittel von Bord gebracht: Salat, Brot und Joghurt sind für ein Schullandheim hinter den Hügeln bestimmt. Die kleinen Häuser stehen nahe am Wasser, am Pier liegen Boote mit Außenborder. "Die Menschen nutzen die hier, wie andere Autos fahren", sagt Len.

"Etwa 2000 Menschen in der Region leben ohne Straßenzugang. Für die ist der Fluss die Lebensader." Zum Teil macht Len an den folgenden Orten dann nicht mehr an den Anlegestellen fest, sondern es fliegen nur Postsäcke und Zeitungspakete durch die Luft.

Ein Bindeglied zwischen den Farmen im Hinterland und der Küste ist der Hawkesbury River seit der Frühzeit der europäischen Besiedlung Australiens. Den Fluss-Postboten gibt es seit 1910, seit etwa 30 Jahren dürfen auch Touristen mitfahren. Für sie ist es ein interessanter Einblick in einen Lebensstil fast ohne Hektik - und damit auch eine Möglichkeit, einen deutlichen Kontrast zur Großstadt Sydney zu finden, ohne sich allzu weit von ihr entfernen zu müssen.

Der Ort Marlow ist der Wendepunkt für den Fluss-Postboten, es geht zurück nach Brooklyn. Hat er keine Angst vor E-Mails, die ihm die Arbeit abnehmen könnten? "Nein", sagt Len Staples, rückt auf der Nase die Sonnenbrille zurecht und lächelt. "Es ist zwar heute weniger Post als früher. Aber viele Menschen hier draußen sind älter und besitzen gar keinen Computer." Um die Touristenattraktion müsse man sich also keine Sorgen machen. Und dann greift Len zum Feuerzeug, denn seine Zigarette ist während des Wendemanövers wieder mal ausgegangen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: