Australien (SZ):Erste Ausfahrt Paradise Beach

Ein Traum auf der Harley-Davidson: 3000 Kilometer über Highways und Waldwege im Süden von Australien.

Michael Allhoff

(SZ vom 17.07.2001) - Der Mythos hat die Farbe schwarz. 300 Kilo Edelstahl auf zwei Rädern. Ein chromblitzender V2-Motor mit 88 Kubik-Inch geballter Kraft. Helm auf, Handschuhe an, Start. Dann bullert die Maschine los. In einem Donnergrollen, das nur eine Harley-Davidson so satt auf die Straße bringt.

Australien (SZ): Motorradfahrer sind Abenteurer. Und Harley-Davidson, der Mythos aus Milwaukee, lebt von dieser Faszination.

Motorradfahrer sind Abenteurer. Und Harley-Davidson, der Mythos aus Milwaukee, lebt von dieser Faszination.

(Foto: sonstige)

Die ohrenbetäubende Ouvertüre einer 3000 Kilometer weiten Rundreise durch Australien - von Sydney über Melbourne zur Great Ocean Road. Downunder, irgendwo zwischen Bondi Beach und Surfers Paradise.

In Sydney beginnt die Reise

Am Stadtrand von Sydney tost der Verkehr sechsspurig über den Highway 66. Rush-Hour. Richtung Innenstadt stehen die Autos im Stau. Stadtauswärts hat man freie Fahrt. Es geht immer gen Westen, auf dem alten Hume-Highway.

Die meistbefahrene Fernstraße Australiens verbindet auf 1200 Kilometern Strecke die Millionen-Metropolen Sydney und Melbourne. Bei Tempo 100 zerrt der Fahrtwind am Körper. Er flaut nur hin und wieder im Windschatten PS-starker Trucks ab, chromglitzernder Roadtrains in australischer XXL-Konfektion. Die Fahrt ins Ungewisse verspricht dem Fahrenden prickelnden Nervenkitzel. Motorradfahrer sind Abenteurer. Und Harley-Davidson, der Mythos aus Milwaukee, lebt von dieser Faszination.

Als Bill Harley und Arthur Davidson im Jahr 1903 ihr erstes motorisiertes Zweirad in den USA präsentierten, ahnten sie nicht, dass die Harley-Davidson Motor Company eines Tages die stilvollsten Motorräder der Welt bauen würde.

Zu beiden Seiten der Asphaltpiste rollen grüne Hügel zum Horizont, ganz so, als würden die Wogen des Pazifischen Ozeans - zu Land erstarrt - im australischen Outback auslaufen. Vereinzelt ragen gigantische, Jahrhunderte alte Bäume aus dem Grün wie die Masten versunkener Segelschiffe. Die mächtigen Eukalyptusbäume sind Zeugen einer Zeit, als noch dichte Regenwälder die Great Dividing Range im Südosten Australiens begrünten.

Der Snowy River National Park wirkt wie ein Wunderwald

Der Snowy River National Park zum Beispiel. Südlich der Landeshauptstadt Canberra erstreckt sich das Schattenreich dieses Wunderwaldes. Irgendwann endet der Asphalt in einer Schotterpiste. In Schrittgeschwindigkeit tuckert man durch einen ursprünglichen Dschungel. Der Waldweg schlängelt sich in engen Kurven über Berge und steile Schluchten. Der Nationalpark am Fuß des Mount Kosciuszko, mit 2228 Metern höchster Gipfel Australiens, ist so abgelegen, dass einem den ganzen Tag kein Mensch begegnet.

Stop am Ufer eines Gebirgsbaches. Es riecht nach Moos und feuchter Erde. Die Laubkronen 30.40 Meter hoher Südbuchen lassen kaum einen Sonnenstrahl in das Dickicht sickern. Ein umgestürzter Baumriese liegt am Boden. Seine Rinde ist von Flechten überzogen und fühlt sich an wie ein Schwamm.

Mit Feuer, Axt und Motorsäge haben europäische Siedler die temperierten und tropischen Regenwälder Australiens fast vollkommen vernichtet. Heute grasen Millionen von Merino-Schafen auf einer kahl gerodeten Erde. Derart entblößt wirkt die agroindustrielle Farmlandschaft nahezu obszön. Allein die verbleibenden Waldflecken - geschätzte zwei Prozent des einstigen Urwalds - stehen wie grüne Archen unter dem Schutz der Vereinten Nationen und sichern die Reste der einzigartigen Flora und Fauna auf dem Fünften Kontinent.

Es sind archaische Inseln der Fruchtbarkeit, umgeben von kultivierten Öde aus Mais- und Baumwollfeldern, Weingärten und Weideland.

Auf der Karte sieht der Umweg kurz aus. Tatsächlich dauert die Fahrt nach Paradise Beach den ganzen Tag. Südlich von Eden liegt das Dorf, dessen Name wie eine große Verheißung von Schönheit, Glück und Müßiggang klingt. Landschaftlich gleicht Paradise Beach einem special effect. Schimmernd schwingt sich der einsame Strand in den schönen Ozean.

An der Tasmanischen See ziehen sich haushohe Dünen bis zum Horizont

Die kristallklaren Wellen der Tasmanischen See plätschern sanft im Sand. Haushohe Dünen ziehen sich bis zum Horizont. Und über dieser surrealen Szenerie leuchtet ein wolkenloser Himmel, so blau wie Curaçao.

550 Einwohner zählt Paradise Beach. Alte Menschen zumeist. "Permanents" nennen sich die Pensionäre, die im Gegensatz zu den Wochenend-Besuchern aus Melbourne das ganze Jahr über in Paradise Beach leben - und dort wohl auch sterben werden. Im Dorf gibt es keinen Pub und keine Tankstelle, keine asphaltierte Straße, nur einen Kiosk und, seit neuestem, einen Golfplatz. Schlichte Häuser ducken sich hinter den Dünen, weit verteilt über das vier Kilometer lange Küstenareal. Paradise Beach gleicht einer Schrebergarten-Kolonie, die sich aus dem Ruhrpott an die Südküste Australiens verirrt hat.

"Die Fremden klettern auf die Dünen", sagt Ron Bewsell, "schauen auf den endlosen Strand und können zunächst kaum glauben, was sie da sehen." Der ehemalige Ingenieur ist 72 und lebt seit 40 Jahren am Strand des Paradieses. Früher ist Ron im Beach-Buggy zur nächsten Bucht gefahren. Haie angeln. Drei Meter lange Prachtexemplare hat er aus der Tasmanischen See gezogen. "Yeah, we eat 'em, sharks taste really good!" schwärmt der Rentner. Angeln ist immer noch sein Hobby, neben Golfen. Nur mit dem Buggy ist Schluss, seitdem der Strand am Zipfel des Ninety-Miles-Beach zum Nationalpark deklariert worden ist. Die zwei "crazy Germans", die 1956 Paradise Beach besuchten, sind ihm unvergesslich.

"Die haben einen Hai gefangen und in ihren VW-Käfer geladen, doch er war zu groß für den Kofferraum," lacht er: "Da haben sie ihn kurzerhand auf den Beifahrersitz gepackt."

Nur vier Stunden Fahrt über den Princes Highway trennen Paradise Beach von Melbourne, doch dazwischen liegen Welten. In einem Netz aus Highways brummt man auf dem South-East-Freeway durch gesichtslose, nicht enden wollende Vorstädte. Gas geben, schalten, bremsen. Autos hupen im "stop and go" der Ampelkreuzungen von Dandenong, Springvale und Oakleigh. Dann rollt die Maschine in der Dämmerung auf der Princes Bridge über den Yarra River, man klappt das Visier auf, schaut hoch zu den gleißenden Glastürmen der City vor dem Opalblau der Nacht und schließt in einem Augen-Blick wieder Frieden mit diesem Kontinent der Kontraste.

Melbourne, modern und elegant

Melbourne heute: Modern und elegant, charmant, aber auch altmodisch und umgeben von einem Hauch von Nostalgie. In der kosmopolitischen Drei-Millionen-Metropole an der Hobson Bay lebt ein Völkergemisch aus 140 Nationalitäten. Im Zentrum erinnern viktorianische Villen und der prächtige Bahnhof Flinders Street Station an den historischen Boom dieser Stadt: den Goldrausch von 1851.

Ein Tief über dem Pazifik unterbricht die Tour. Dicke Wassertropfen umspülen sintflutartig Schaufenster und sammeln sich zu Pfützen unter den Arkaden. An diesem verregneten Samstag Nachmittag wirkt selbst Melbourne trist und melancholisch. Die Harley bleibt in der Garage. Zeit für ein paar Drinks mit Freunden. Für eine lange Nacht, die erst bei Sonnenaufgang endet, ohne dass irgend jemand Lust hätte, schlafen zu gehen.

Das Viertel Prahran bietet eine schrille Melange aus Jazz-Bars, Hängematten und Marihuana

Prahran heißt das Viertel zwischen Bohème und Hautevolee. Edle Designer-Boutiquen liegen in der Chapel Street, Tür an Tür mit vergammelten Coffee-Shops, wo Sandwiches mit Kängurufleisch verkauft werden. In den Jugendstil-Pubs der Toorak Road sitzen trinkfeste Freizeit-Philosophen und Exzentriker zusammen. Prahran präsentiert sich dem Reisenden in einer schrillen Melange aus Jazz-Bars und Tabakläden, Änderungs-Schneidereien, Parfümerien, Geschäften mit Reizwäsche, Hängematten und Marihuana.

Im "Revolver" an der Chapel Street wummert dröhnender Drum&Bass. Der Kult-Club in einem heruntergekommenen Hinterhaus ist Treffpunkt der Melbourner Szene, die sich zeitenübergreifend gibt als eine Mixtur aus Punk und Trash, Techno und Flower Power. Man betritt einen Raum mit verschweißten Stahlträgern und Glasregalen, Pop-Art an den Wänden, davor plüschige, weinrote Sofas im Stil der 60er Jahre. Auf der Theke fällt der Bierschaum in den Gläsern zusammen, weil sich die Spieler, konzentriert über den Billard-Tisch gebeugt, in einer neuen Partie verloren haben. Anstoß zum Neuner-Ball. Ein lauter Knall, gefolgt vom Klacken der Kugeln über das grüne Tuch.

Die Welt ist rund und hat in dieser Nacht nur ein einziges Ziel: Pool-Billard spielen bis zum Sonnenaufgang. Welche Papiere man braucht, um in Australien zu bleiben? "No worries, mate," sagt Dan in breitem Aussie-Slang. "Just have a go!" Sein Rat klingt so simpel wie hanebüchen. "Vergiss das Rückflugticket," meint er, "siedle dich im Outback an und zieh dein Ding durch!"

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