Auf den Spuren von Donna Leon:Venedig durch die Augen Brunettis

Die Hauptrolle in den Venedig-Krimis von US-Schriftstellerin Donna Leon, die an diesem Freitag 70 wird, spielt neben Kommissar Brunetti immer die Stadt selbst: ihr Verfall, ihre Schönheit, ihre Eigenart. Szenen aus der Lagunenstadt - und wie der Commissario sie sieht.

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An Alternative View Of The 69th Venice Film Festival

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Die Hauptrolle in den Venedig-Krimis von Donna Leon, die an diesem Freitag 70 wird, spielt neben Kommissar Brunetti immer die Stadt selbst: ihr Verfall, ihre Schönheit, ihre Eigenart. Szenen aus der Lagunenstadt - und wie der Commissario sie sieht.

Donna Leon ist gebürtige Amerikanerin und lebt seit 1981 in Venedig. Mit ihren Romanen über ihre Wahlheimat hat sie ihrer Lieblingsstadt ein Denkmal gesetzt. Neben der Krimihandlung und den venezianischen Alltagsszenen sind es die so facettenreichen wie melancholischen Beobachtungen ihres Protagonisten Commissario Guido Brunetti, die Leons Venedig-Krimis Lokalkolorit verleihen. Am 28. September feiert die Autorin ihren 70. Geburtstag. Zeit für einen Spaziergang In Bildern durch die Gassen, über die Plätze und zu den Sehenswürdigkeiten Venedigs, gesehen durch die Augen ihres Commissario - mit Zitaten aus den Büchern.

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Auf den Spuren von Donna Leon:Vor der Rialtobrücke am Canal Grande

Die Rialto-Brücke in Venedig: Die Venezianer stimmen derzeit über ihre Unabhängigkeit ab.

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"Dann war er am Wasser, die Brücke lag zu seiner Rechten. Wie typisch venezianisch sie doch war, leicht und fast ätherisch von weitem, aber bei näherer Betrachtung fest verankert im schlammigen Untergrund der Stadt."

Venezianisches Finale, Kap. 5, S. 60

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Auf den Spuren von Donna Leon:Auf der Rialtobrücke

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"An der Rialtobrücke angekommen, gab er sich plötzlich einen Ruck, nahm energisch Anlauf und begann die Stufen hinaufzulaufen. Nach dem ersten Dutzend ging ihm die Luft aus, und er fiel ins Schrittempo zurück. Oben verschnaufte er kurz und schaute nach links zu dem Bogen, den der Canal Grande in Richtung San Marco und Dogenpalast beschrieb. Die Sonne blitzte auf dem Wasser, auf dem sich die ersten schwarzköpfigen Möwen der Saison wiegten.

Als er wieder bei Atem war, ging er auf der anderen Seite der Brücke hinunter, und der milde Tag stimmte ihn so zufrieden, dass er gar nicht einmal wie sonst Anstoß an den verstopften Straßen und dem Touristengewimmel nahm."

Sanft entschlafen, Kap. 2, S. 49

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Auf den Spuren von Donna Leon:Die Einzigartigkeit von Venedig

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Wie viele Venezianer hatte Brunetti stets ein Auge für seine Stadt. Oft fiel ihm ein Fenster auf, das er noch nie bemerkt hatte, oder die Sonne erhellte einen Bogengang, und dann zog sich ihm richtiggehend das Herz zusammen, als Reaktion auf etwas, das weit vielschichtiger war als bloße Schönheit. Wenn er darüber nachdachte, kam er zu dem Schluss, dass es etwas mit dem Dialekt zu tun haben mußte, den man hier sprach, mit der Tatsache, daß nicht einmal achtzigtausend Menschen in dieser Stadt lebten, und vielleicht damit, daß er in einem Palazzo aus dem fünfzehnten Jahrhundert in den Kindergarten gegangen war. Wenn er woanders war, fehlte die Stadt ihm auf dieselbe Weise, wie ihm Paola fehlte, und er fühlte sich nur vollständig und ganz, wenn er hier war. Während sie den Kanal hinaufbrausten, genügte ein Blick in die Runde, um den tieferen Sinn all dessen zu beweisen. Er hatte nie mit jemandem darüber gesprochen. Kein Fremder würde es verstehen; und jeder Venezianer würde es überflüssig finden."

Endstation Venedig, Kap. 5, S. 77-78

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Auf den Spuren von Donna Leon:Gondoliere unter der Seufzerbrücke

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Brunetti fragte sich oft, wie es wohl in den Tagen der Serenissima gewesen war, als man diese herrliche Fahrt noch allein mit Ruderkraft machte, sich in einer Stille bewegte, in der keine Motoren brummten und Hupen dröhnten und man nichts als das "Ouie" der Bootsleute und das Platschen der Ruderblätter vernahm. So vieles hatte sich verändert: Die heutigen Kaufleute verkehrten miteinander über diese grässlichen Telefonini, nicht mehr mit Segelschiffen. Die Luft stank nach den Auto- und Industrieabgasen, die vom Festland herüberwehten; kein Seewind schien in der Lage, die Stadt einmal richtig sauberzublasen. Das einzige, was die Zeit unangetastet gelassen hatte, war das tausendjährige Erbe der Käuflichkeit, und Brunetti fühlte sich bei dem Gedanken immer etwas unbehaglich, weil er sich nicht entscheiden konnte, ob er das gut oder schlecht finden sollte."

Sanft entschlafen, Kap. 3, S. 63-64

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Auf den Spuren von Donna Leon:Markusplatz

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Die großen Baumeister der Serenissima hatten nur Menschenkraft zur Verfügung gehabt: Flöße, Seile und Flaschenzüge; und doch hatten sie ein Wunder wie dieses zu erschaffen vermocht. Er dachte an so manches scheußliche Bauwerk, mit dem die heutigen Venezianer ihre Stadt verschandelt hatten: das Hotel Bauer Grünwald, die Banca Cattolica, den Bahnhof - und beklagte nicht zum erstenmal die Folgekosten menschlicher Habgier. Er kam von der letzten Brücke herunter auf die Piazza, und alle Trübsal floh, vertrieben von der Macht einer Schönheit, die nur der Mensch erschaffen konnte. Der Frühlingswind spielte mit den riesigen Fahnen vor der Basilika, und Brunetti musste lächeln, als er sah, wieviel imposanter der über sein scharlachrotes Feld stürmende Markuslöwe war als die drei parallelen Streifen Italiens."

Sanft entschlafen, Kap. 17, S. 248

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Auf den Spuren von Donna Leon:Caffè Florian am Markusplatz

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Brunetti ging die drei flachen Stufen zum Caffè Florian hinauf und trat durch die Doppeltüren aus geschliffenem Glas. Obwohl er zehn Minuten zu früh da war, schaute er rechts und links in all die kleinen Räume, sah aber Barbara Zorzi nirgends. Als ein Kellner im weißen Jackett auf ihn zutrat, bat Brunetti um einen Tisch am Fenster. Ein Teil von ihm wollte an diesem herrlichen Tag mit einer attraktiven jungen Frau im Florian am Fenster sitzen, ein anderer Teil wollte gesehen werden, wie er mit einer attraktiven jungen Frau im Florian am Fenster saß. Er zog einen der zierlichen Stühle mit gebogener Lehne heraus und nahm Platz, dann drehte er sich so, dass er die Piazza überblickte."

Vendetta, Kap. 7, S. 50-51

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Auf den Spuren von Donna Leon:Acqua alta (Hochwasser)

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Als sie die Treppe hinunterkamen, war das Wasser noch weiter gestiegen, und hinter der Tür hörten sie den Regen niederrauschen. Sie nahmen ihre Schirme und traten ins Freie, wo das Wasser ihnen fast bis über die Stiefel reichte. Nur wenige Leute waren unterwegs, so daß sie schnell zur Rialtobrücke gelangten, wo das Wasser noch höher stand. Wären die hölzernen Stege auf ihren Eisenstützen nicht gewesen, ihnen wäre das Wasser in die Stiefel gelaufen, und sie hätten nicht weitergehen können. Auf der anderen Seite der Brücke stiegen sie wieder ins Wasser hinunter und wandten sich Richtung San Polo, beide inzwischen durchnässt und erschöpft vom mühsamen Gehen in der steigenden Flut."

Acqua alta, Kap. 23, S. 326

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Auf den Spuren von Donna Leon:Die verborgene Schönheit Venedigs

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Venedig, einst Hauptstadt der Ausschweifungen eines ganzen Kontinents, war zur verschlafenen Provinzstadt geworden, die nach neun oder zehn Uhr abends buchstäblich aufhörte zu existieren. Im Sommer erinnerte sie sich ihrer Kurtisanenvergangenheit und glänzte, solange die Touristen zahlten und das schöne Wetter anhielt, im Winter aber wurde sie zu einer müden alten Matrone, die darauf bedacht war, möglichst früh ins Bett zu kriechen, und ihre verlassenen Gassen den Katzen und den Erinnerungen an vergangene Zeiten überließ. In diesen Stunden war die Stadt für Brunetti am schönsten, denn gerade dann konnte er, der durch und durch Venezianer war, etwas von ihrer früheren Pracht erahnen. Die Dunkelheit verbarg das Moos, das über die Stufen der Palazzi entlang des Canal Grande heraufkroch, machte die Risse in Kirchenmauern unsichtbar und deckte die Stellen zu, wo der Putz von öffentlichen Gebäuden blätterte. Wie so viele Frauen in gewissem Alter konnte die Stadt nur mit Hilfe trügerischen Lichts ihre verschwundene Schönheit wiedererlangen."

Venezianisches Finale, Kap. 4, S. 47-48

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Auf den Spuren von Donna Leon:Friedhofsinsel San Michele, Venedig

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Früher war er öfter hier gewesen, genaugenommen gehörte es zu seinen frühesten Erinnerungen, daß man ihn als Kind mitgenommen hatte, um das Grab seiner Großmutter zu pflegen, die im Krieg bei einem Bombenangriff der Alliierten auf Treviso ums Leben gekommen war. Er wusste noch, wie bunt die Gräber waren, richtige Blumenteppiche, und wie ordentlich, jedes saubere Rechteck vom nächsten abgegrenzt durch messerscharfe Kanten und kleine Grünstreifen. Und wie trist die Menschen dazwischen - fast alles Frauen -, die mit diesen Bergen von Blumen kamen. Wie grau und schäbig sie ausgesehen hatten, als ob sie all ihren Sinn für Farbe und Adrettheit diesen Geistern in der Erde geopfert hätten, und für sie selbst wäre nichts übriggeblieben.

Und heute, fünfunddreißig Jahre später, waren die Gräber noch genauso ordentlich, die Blumen immer noch von explosiver Farbenvielfalt, aber die Menschen, die dazwischen herum gingen, sahen eher aus, als ob sie zur Welt der Lebenden gehörten, es waren nicht mehr die grauen Gespenster der Nachriegsjahre."

Venezianisches Finale, Kap. 7, S. 82-83

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Auf den Spuren von Donna Leon:Campo San Giovanni e Paolo

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Brunetti entdeckte, dass man das Colleoni-Denkmal endlich von dem Gerüst befreit hatte, hinter dem es jahrelang verschwunden war: Er freute sich über das Wiedersehen mit dem alten Schurken."

Lasset die Kinder zu mir kommen, Kap. 5, S. 57

Das Bild zeigtnden Campo San Giovanni e Paolo mit der Reiterstatue von Bartolomeo Colleoni im Vordergrund, dahinter die Kirche Santi Giovanni e Paolo (oder San Zanipolo). Das weiße Gebäude aus der Frührenaissance links davon ist heute das Krankenhaus SS. Giovanni e Paolo di Venezia.

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Auf den Spuren von Donna Leon:Palazzo Ducale (Dogenpalast)

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman Dogenpalast

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"Als Brunetti durch die nächtlich stille Stadt ging, eilte seine Phantasie ihm wieder voraus (...). Er überquerte die Brücke zu der breiten Uferpromenade vor der Salute. Moros Haus, ein Stück weiter rechts, lag im Dunkeln, obwohl alle Läden offenstanden. (...) Er wandte sich um und blickte über das unbewegte Wasser hinauf zum Kuppelgewirr von San Marco und sah zu den scheckigen Mauern des Palazzo Ducale, dankbar für den Frieden, den er im Angesicht ihrer Schönheit fand. Seltsam, aber offenbar genügte allein der Anblick dieser Harmonie von Farben und Konturen, und schon fühlte er sich besser."

Verschwiegene Kanäle, Kap. 19, S. 214

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Auf den Spuren von Donna Leon:Touristen in Venedig

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"In Anbetracht der Touristenmassen, die um diese Stunde auf die Vaporetti drängten, entschied er sich, zu Fuß zu gehen. Er war zuversichtlich, daß er auf dem Landweg den schlimmsten Horden bis in die Nähe des Rialto würde ausweichen können, und hoffte, daß sich der große Pulk verlaufen würde, sobald er die pescheria hinter sich gelassen hatte. So war es auch, aber schon das kurze Stück, auf dem er sich rempelnd und hakenschlagend durch die Gassen (...) winden musste, machte ihn verdrießlich und brachte seine stets köchelnde Abneigung gegen das Touristenheer zum Sieden."

Die dunkle Stunde der Serenissima, Kap. 19, S. 255

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Auf den Spuren von Donna Leon:In der Lagune von Venedig

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

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"Brunetti hatte zwar einen Großteil seiner Jugend auf Booten und in der Lagune verbracht, aber nie gelernt, selbst ein Boot zu steuern, und so hatte sich seinem Gedächtnis nie eine Skizze der direktesten Routen zwischen verschiedenen Punkten der Lagune eingebrannt. Er wusste, dass Pellestrina voraus lag, etwa in der Mitte dieses schmalen Streifens Land, und er wusste auch, dass sie mit ihrem Boot genau zwischen den schräg aus dem Wasser ragenden Holzpfählen bleiben mussten, aber wären sie vom Weg abgekommen und in das weite Wasser zu ihrer Rechten geraten, es wäre ihm beschämend schwergefallen, sicher wieder nach Venedig zu finden."

Das Gesetz der Lagune, Kap. 4, S. 33

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Auf den Spuren von Donna Leon:Venedig als Kreuzfahrtziel

Venedig Italien Donna Leon Commissario Brunetti Kriminalroman

Quelle: REUTERS

"Das Boot brachte sie ans Ende der Zattere, wo sie weiter vorn ein riesiges Schiff am Kai liegen sahen, das die ganze Umgebung zur Zwergenstadt schrumpfen ließ. 'Mein Gott, was ist denn das?' fragte Vianello, als sie näher kamen. 'Das ist dieses Kreuzfahrtschiff, das hier gebaut wurde. Es soll das größte der Welt sein.' 'Grauenhaft', meinte Vianello, den Kopf im Nacken, um zu den oberen Decks fast zwanzig Meter über ihnen hinaufzusehen. 'Was tut das hier?' 'Der Stadt Geld bringen', bemerkte Brunetti trocken. Vianello blickte ins Wasser, dann zu den Dächern der Stadt hinauf. 'Wir sind die reinsten Huren', meinte er, und Brunetti sah sich außerstande, ihm zu widersprechen."

Feine Freunde, Kap. 8, S. 85-86

Die Bildunterschriften in dieser Galerie entstammen mit freundlicher Genehmigung des Diogenes-Verlags dem Buch "Mit Brunetti durch Venedig" von Toni Sepeda.

© Süddeutsche.de/dd/kaeb/feko/rus
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