Arizona:Im tiefen Tal der Superfelsen

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Unterwegs zum Grand Canyon: Von einer Hochebene aus, kommt man zum spektakulärsten Loch aller Zeiten. Manche Gebirge lassen sich nur bergab erkunden.

Von Bettina Winterfeld

Es lohnt neuerdings tatsächlich wieder, auf dem Weg nach Arizona in Las Vegas Halt zu machen. Seit einiger Zeit nämlich horten sie in der Welthauptstadt der Täuschungen und falschen Versprechungen, inmitten all dieser unechten Eiffeltürme, Ritterburgen und Pappkarton-Pyramiden, tatsächlich Kunst: Chagalls, Modiglianis und Picassos. Alles Originale.

Auf dem Weg nach Arizona kommt man am riesigen Hoover Dam vorbei. (Foto: Foto: Travel Nevada)

Und das ausgerechnet im "Venetian", einem Hotel, so groß wie eine europäische Kleinstadt, das mit künstlichen Kanälen, motorbetriebenen Gondeln und imitierten Sonnenuntergängen auf unnachahmlich amerikanische Weise die Illusion pflegt, Venedig zu sein.

Guggenheim, der Tausendsassa unter den Museen, bringt die Kunst zum Geld. Eine geniale Idee, auch wenn niemand die Frage beantworten kann, warum man in Faketown überhaupt Originale braucht.

Kunst ohne die Niederungen des Casinos

Die cleveren Nachlassverwalter der sammelfreudigen Peggy locken gleich mit zwei Ausstellungshallen: In der einen werden Wechselausstellungen gezeigt, seit längerem ist da eine viel bewunderte, aus New York importierte Motorradshow.

In der anderen, einer von Rem Koolhaas gestalteten Schatzkammer hängen Leihgaben aus der St. Petersburger Eremitage. Hier kann man Kunst genießen, ohne vorher die kommerziellen Niederungen des Casinos passieren zu müssen.

Ein rarer Luxus. Denn um zu einer der Wechselausstellungen zu gelangen, muss man in bewährter Las Vegas-Manier an einer Armada von Slotmachines vorbei. Dabei wäre es angebracht, sein Geld beisammenzuhalten.

Dann könnte man sich beispielsweise eine Harley schnappen und dann - nichts wie weg, ab durch die Wüste! Sich den staubtrockenen, heißen Fahrtwind um die Ohren wehen lassen. So sollte es sein! Ist es aber nicht ganz.

Gut fürs Kino

Keine fünfzig Meilen weiter ist der Traum vom Easy Riding auf ein Mietauto mit Automatikschaltung geschrumpft. Immerhin, es rollt! Der großen Freiheit entgegen, der Wüste, dem Abenteuer. Doch spätestens am Hoover Dam zeigt sich, warum es vielleicht doch keine so gute Idee war, zu lange in Las Vegas herumgetrödelt zu haben.

Und warum Edward Abbey möglicherweise Recht hat, wenn er in seinem Buch "Desert Solitaire" warnte: "Bleiben Sie zu Hause, und lesen Sie ein gutes Buch... Die große amerikanische Wüste ist grauenvoll. Sie können sich verletzen, krank werden, sich verirren. Selbst wenn Sie überleben, was nicht sicher ist, wird es Ihnen da draußen dreckig gehen. Die Wüste ist fürs Kino gut und für gottestrunkene Mystiker, aber sie ist nichts für einen Sonntagnachmittag." Und schon gar nichts für einen Sonntagabend.

Schon bei Tage ist der Anblick der gigantischen Generatoren dieses monströsen Kraftwerks im Niemandsland unheimlich genug. Doch in der Dunkelheit - und erst recht seit dem 11. September, seitdem der sicherheitspolitisch hochsensible Hoover Dam durch Militärkontrollen geschützt wird - erfordert die Überquerung der 221 Meter hohen Staumauer die Aufbietung aller Geisteskräfte.

Martialisch ausgestattete Männer schwenken ihre Taschenlampen beunruhigend ins Auto hinein, und dann geht es im vorgeschriebenen Schritttempo über die gewaltigste Staumauer der westlichen Welt.

Geschafft! Überlebt! Nach einer kleinen Ewigkeit schlägt die Erleichterung in purem Übermut um, das Gaspedal wird bis zum Anschlag durchdrückt. So schnell wie möglich weg von hier! Ein Impuls, der heftig gegen den American way of driving verstößt.

Arizona
:Im tiefen Tal der Superfelsen

Vom Hoover Dam bis zum Grand Canyon: Highway-Impressionen auf dem Weg nach Arizona.

Die Rache folgt auf dem Fuße - in Gestalt eines heftig blinkenden Polizeiautos im Rückspiegel. 80 Meilen anstelle der vorgeschriebenen 65, so etwas kann teuer werden im Land der begrenzten Geschwindigkeiten. Doch der Polizist ist auch nur ein Mann - und der Hinweis auf deutsche Autobahngepflogenheiten ein Volltreffer: "Oh, that must be nice", erwidert der junge Sheriff spontan, mit sehnsuchtsvollem Unterton, und belässt es bei einer Verwarnung.

In den nächsten Stunden behält man den Tacho stur im Blick, fährt gemächlich, aber unbeirrbar einem von Wetterleuchten zuckenden Horizont entgegen. Kurz vor Williams, dem "Tor zum Grand Canyon", entlädt sich der blitzende Himmel in einem Gewitter. Binnen Minuten fällt die Temperatur um fast zwanzig Grad, Hagelkörner knallen gegen die Windschutzscheibe.

Der bekannteste der amerikanischen Nationalparks: der Grand Canyon. (Foto: Foto: Arizona Office of Tourism)

Easy riding!

Jetzt erweist es sich als Vorteil, dass Kleinautos keine Motorräder sind und über funktionierende Heizungen verfügen. Easy riding!

Den letzen Rest Kälte vertreibt das Kaminfeuer im Foyer des Fray Marcos Hotel. Seine Lichtreflexe beleuchten ein imposantes Panoramagemälde: der nahe gelegene Grand Canyon in Öl überm Sofa.

Nebenan, in der Hotelbar, mixt eine blasse Kellnerin ihre letzte Runde Martinis. Ein riskantes Unternehmen - anders ist das mit Tesa an den Tresen gepappte Schild nicht zu deuten.

Diskret, aber unübersehbar weist es die wenigen verbliebenen nighthawks darauf hin, dass der Genuss von Alkohol die Nachkommenschaft schädigen könne. Nun denn, das Leben ist ein langer, gefährlicher Fluss...

Und außerdem steht am nächsten Morgen kein Highway mehr auf dem Programm, sondern die Schiene! Gegenüber dem Bahnhofshotel liegt die Endstation der Grand-Canyon-Bahn. Von hier aus zuckelt eine historische Lok zur größten Schlucht der Welt. Stilvoll schnaubend und schnurgerade über die menschenleere Hochebene des Coconino Plateaus, vorbei an Pinien und Wacholderbäumen.

Nirgendwo auch nur der geringste Hinweis, dass sich die Erde demnächst zum spektakulärsten Loch aller Zeiten auftun wird. Trotz der etwas eintönigen Szenerie ist es wenig ratsam, unterwegs mit einem Big Mac auszusteigen. Denn in den Krüppelwäldchen jenseits der Schienen verstecken sich nicht nur Füchse, Hasen und Rehe, sondern auch hungrige Berglöwen.

Training der Lachmuskulatur

Unaufhaltsam rückt das große Naturschauspiel näher. Damit kein Leerlauf entsteht, bemüht sich ein Trupp bahneigener Animateure um die Lachmuskulatur der Reisenden.

Mit der noch wesentlich beunruhigenderen Gewissheit, dass unter den Rädern Millionen und Abermillionen von Kubikmetern Wasser mühsam in Schach gehalten werden. Ein nicht enden wollender Grusel. Und ein unglaublicher Kraftakt, dabei die wild wuchernde Phantasie in Schach zu halten. Doch was hilft's, wer von Las Vegas aus zum Südrand des Grand Canyon unterwegs ist, der kommt um den Hoover Dam nicht herum.

Ein hagerer Schaffner im Cowboydress reißt grimmige Witze, und ein grauhaariger Zausel, der aussieht wie der kichernde Scherzkeks Sam Hawkins aus den Winnetoufilmen, gibt launige Balladen zum Besten. Als der Zug wegen einer Kuhherde auf den Schienen ins Stocken gerät, johlt der klampfende Barde: "Hey, Leute, gibt das wieder ein feines Steak heute Abend!"

Kurz vor dem "Rim" schwört ein blondes Cowgirl ihre Mitreisenden auf die bevorstehenden "uuhs" und "aahs" ein. Schließlich soll später, im entscheidenden Moment, niemandem das obligate "whow" in der Kehle stecken bleiben.

Und dann, endlich, steht man selbst direkt vor der legendären Erdspalte, stumm und starr vor Bewunderung. Und dankbar darüber, dass hier niemand einen klügeren Kommentar erwartet als die einstudierten Freudenlaute.

Nichts hat einen wirklich auf diesen Anblick vorbereiten können: Weder Dias noch Filme noch die ausschweifendsten Erzählungen. Also hält man den Mund und guckt. Staunt über diese merkwürdig versenkte Welt. Darüber, dass einem die Raubvögel plötzlich zu Füßen kreisen. Und dass es hier erst einmal abwärts gehen soll beim Erkunden der Berge.

Doch vor einer Tour in die Unterwelt hält die Route 66, die legendäre amerikanische Ost-West-Tangente, noch ein Highway-Highlight bereit. Den Ort Seligman und seinen berühmten Friseur, Angelo Delgado. Seligman, ein kleines, staubiges Straßennest, wurde berühmt, weil es früher an einer berühmten Straße lag.

Und weil es ein charismatischer älterer Herr, der hier geboren wurde und nie woanders gelebt hat, für den schönsten und aufregendsten Ort auf der Welt hält.

Ein stationärer Held

Angelo Delgado, ein wahrer Held der Landstraße. Ein stationärer Held. Hundertfach interviewt, fotografiert und mittlerweile selbst im fernen Finnland ein Star. Sein Foto fehlt in keinem Reiseführer, und sein Friseursalon an der Hauptstraße, der einzig nennenswerten Straße überhaupt, ist mit Visitenkarten aus aller Welt tapeziert. Das ZDF war mehrmals hier wie auch ein deutscher Privatsender.

Bereitwillig holt Tochter Myrna, die im benachbarten Andenkenladen die Stellung hält, ihren Vater zum Gespräch. "Dies ist mein 238. Interview seit 1987", strahlt der freundliche alte Herr in Baseballcap und kariertem Hemd und breitet bereitwillig zum 238. Mal sein Leben aus. 1917 kamen seine Vorfahren aus Mexiko hierher, einen Block von hier wurde er geboren.

Und niemals hat er seinen Heimatort verlassen. Hat stattdessen gelassen und genügsam das Leben an sich vorbeiziehen lassen. "Alle sind sie hier vorbeigekommen", erzählt er, "in den dreißiger Jahren, zur Zeit der Großen Dürre und Depression, die Farmer auf dem Weg nach Kalifornien, mit Kind und Kegel und festgezurrten Matratzen, den ganzen Hausrat auf den Kutschen gestapelt. Später folgten die Soldaten und noch später die Touristen. 1972, als die neue Straße gebaut wurde, wurden wir abgekoppelt."

Mit ganzer Kraft hat sich Angelo dafür eingesetzt, dass "seine" Straße den Anschluss an die Welt wieder fand. Er mobilisierte Gott und die Welt, gründete einen Verein und schnippelte weiterhin Haare. So lange, bis die 66 berühmt war. Und Seligman der touristische Höhepunkt einer legendären Route.

Abstieg in die Unterwelt

Vor fünf Jahren erst hat Angelo mit dem Schneiden aufgehört. Heute greift er nur noch zur Schere, wenn Touristen unbedingt einen original Sixtysix-Cut wollen. Und dann, nach einer sternenklaren Nacht, ist es endlich soweit.

Der Höhepunkt der Reise ist zugleich auch ein Abstieg - ein Abstieg in die Unterwelt der Gipfel. Früh am Morgen geht es herunter zum Havasupai Canyon, einer Seitenschlucht des großen Grand Canyons. Maultiere tragen das Gepäck.

Es ist ein komisches Gefühl, eine Bergwanderung mit dem Abstieg zu beginnen. Nach anderthalb Meilen ist der Talboden erreicht, doch auch im sandigen Flussbett ist das Gehen überraschend mühsam. Imposante Felsnasen ziehen vorbei, ausgewaschen zu bizarren Formationen im Laufe der Jahrtausende.

Die Sonne verschwindet hinter Steilwänden. Der Canyon weitet sich, verengt sich, weitet sich wieder. Öffnet sich schließlich zu einem großen Talkessel.

Hier leben die Indianer vom Stamm der Havasupai. Verstreute Häuser, auf den Dächern vereinzelte Parabolantennen, in den Vorgärten grasen Maultiere. Die Zelte werden neben einer hunderte von Metern steil aufragenden Felswand aufgeschlagen. Direkt an einem türkisblauen Fluss, dessen glasklares Wasser einen wunderbaren Naturpool ergibt.

In den nächsten Tagen gilt es, die umliegenden Schluchten und Felsrücken zu erkunden, die erfrischenden Wasserfälle in einer überraschend grünen Umgebung. Nachts werfen die Karbidlampen Schatten auf die Felswand.

Silent Movie, die einzige Form des Entertainments, wenn das Dinner beendet, die letzten Teller gespült sind. Still und sehr eindrucksvoll. Las Vegas, der Highway 66 und auch der Rest der Welt sind in unendliche Ferne gerückt. In ein anderes Zeitalter, eine andere Geschichte.

Informationen

Anreise: Flüge von Frankfurt und München mit United Airlines und Lufthansa Nach Las Vegas ab 450 Euro.

Museen: Das Guggenheim Hermitage Museum zeigt "Art through the ages", Meisterwerke der Malerei von Tizian bis Picasso, noch bis zum 2. März 2003 und "The art of the motorcycle" bis zum Jahresende, beide im Hotel "Venetian"; Telefon 001/7024142440, im Internet unter www. guggenheim.com sowie www.guggenheimlasvegas.org, der Eintritt kostet 15 Dollar.

Allgemeine Auskünfte: Arizona Office of Tourism, Telefon 0221/233 6408 oder E-mail: arizona@getitacross.de, www.arizonaguide.com oder bei Mangum Management GmbH, Telefon 089/23662162, Fremdenverkehrsbüro von Las Vegas.

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